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Derzeit stehen 166 Namen und 15 Unternehmen beziehungsweise Organisationen aus Belarus auf der Sanktionsliste der Europäischen Union. Auf diese Sanktionen einigten sich im August 2020 die EU-Außenminister, um gegen führende Personen des belarussischen Regimes vorzugehen. Die betroffenen Personen sollen an den Wahlfälschungen in Belarus im Juni 2020 sowie den brutalen Niederschlagungen der darauffolgenden Proteste beteiligt gewesen sein. Im November 2020 wurde dann der belarussische Diktator Aljaksandr Lukaschenka direkt mit Sanktionen belegt. Seitdem darf er nicht mehr in die EU einreisen.
Lukaschenkas Reaktion: weiterhin brutales Vorgehen gegen die Opposition, Ausweisung regimekritischer Personen und massenweise Inhaftierungen. Die Sanktionen der EU blieben bestehen und das Verhältnis zu den Nachbarstaaten kühlte weiter ab. Der südliche Nachbar Ukraine fror seine diplomatischen Beziehungen nach den Wahlen komplett ein, Litauen bot den belarussischen Regimekritikern Zuflucht. Lettland legte sich während der Eishockey-WM mit dem großen Nachbarn an und hisste nicht die Flagge des Regimes, sondern die der Opposition. Die diplomatischen Beziehungen mit Polen sind ebenfalls seit längerem in der Krise. Einziger Freund: Russland und dessen Präsident Wladimir Putin.
Freundschaft im Osten
Belarus und Russland sind vertraglich formal in einer Union vereinigt. Das erklärte Ziel von Präsident Putin ist es, die Integration Russlands in den euro-asiatischen Raum voranzutreiben. Im Fall von Belarus gab es jedoch jenseits von Zoll- und Verteidigungsabkommen mit Belarus keine ernsthaften Fortschritte. Auf mündliche Zusagen des belarussischen Diktators folgten meist wenig bis gar keine Taten. Putin lässt ihn aber gewähren, weil Lukaschenka mit einer Annäherung an die EU droht, wenn ihm der russische Weg nicht gefällt. So oder so zählt für den belarussischen Despoten vor allem der eigene Machterhalt. Das zeigt auch das brutale Vorgehen gegen die bürgerliche Opposition mit Misshandlungen, Vergewaltigungen und dem Einsatz von scharfer Munition gegen Demonstranten.
Aktuell halten sich angeblich um die 10.000 Menschen im gesamten Grenzgebiet von Belarus zur EU auf. Die belarussische Polizei und das Militär bringen diese an die Grenzen zu Lettland, Litauen und seit neuestem vor allem Polen. Dort treffen sie auf Stacheldraht, Zäune, Militär und Polizei aus den Nachbarstaaten. Ein Übertritt in die EU ist quasi unmöglich. Doch zurück geht es auch nicht. Bewaffnete belarussische Truppen sorgen dafür, dass die Menschen den Grenzbereich auf keinen Fall verlassen. Es fallen immer wieder Schüsse, Reizgas wird eingesetzt. Die Situation ist angespannt. Lukaschenka benutzt Geflüchtete aus dem Nahen Osten, um die EU unter Druck zu setzen.
Nach Europa und dort erfrieren
Der belarussische Machthaber behauptet, dass es innerhalb der EU mafiöse Strukturen gäbe. Aus diesen kämen die Gelder, mit denen Geflüchtete aus dem Nahen Osten nach Minsk geflogen und von dort an die Grenze geleitet würden. Dabei leugnet Belarus nicht einmal, dass reihenweise Touristenvisa ausgestellt werden, mit denen die Menschen legal einreisen. Die NATO nutze laut Lukaschenka die aktuelle Situation sowieso nur, um Truppen an der Ostgrenze zusammenziehen zu können. Als Reaktion darauf postierte das belarussische Militär unter anderem verstärkt Flugabwehreinheiten an der Grenze zur EU. Eine undurchsichtige Situation, in der Moskau aber zu Belarus steht und ebenfalls die EU als verantwortlich für die Fluchtbewegungen bezeichnet. Belarus kann sich auf die Unterstützung seines Partners aus dem Osten verlassen.
Welche Rolle Russland spielt, bleibt erst einmal unklar. Klar ist aber, dass Putin auf jeden Fall eine Rolle spielt. Lukaschenka, durch Sanktionen und Handelsverbote in die Enge getrieben, ist auf russische Hilfe und Unterstützung angewiesen. Das schwächt seine Position in Moskau und stärkt Putin. Die EU beschuldigt auch die russische Fluggesellschaft Aeroflot, Geflüchtete nach Minsk geflogen zu haben. Das dementiert diese entschieden. Nach Angaben der EU-Kommission sind es wohl 33 Länder, aus denen Menschen nach Belarus transportiert werden. Unter ihnen die Türkei, Irak und Ägypten, auf welche die EU bereits Druck ausgeübt hat, die Flüge zu stoppen. Die Türkei hat mittlerweile reagiert: Menschen aus Syrien, Jemen und dem Irak bekommen in Instanbul keine Flugtickets mehr. Auch Iran, Katar, Syrien und Libyen gehören zu den Staaten, die wegen Verbindungen nach Berlarus von der EU-Kommission untersucht werden.
Die EU hat noch keinen Plan vorgelegt, wie sie den Vorgängen an ihrer östlichen Außengrenze begegnen möchte. Bis das passiert, werden die baltischen Staaten und Polen weiter auf sich allein gestellt sein und die EU droht erneut innerlich zerrissen zu werden. So wie schon Anfang 2020, als der türkische Staatspräsident Erdogan Geflüchtete an die Grenze zu Griechenland lotste und dann mehr Geld von der EU einforderte, um die Migration einzudämmen. Die Griechen reagierten mit Gewalt und Abschottung, damals mit Erfolg: die Geflüchteten mussten umkehren. Die Reaktion der EU war jedoch alles andere als souverän. Heute steht man wieder vor einem ähnlichen Problem und wieder ist nicht klar, wie es weitergeht. Währenddessen sinken die Temperaturen in der Grenzregion unter den Gefrierpunkt, fehlt es an Wasser, Nahrung und Kleidung. Regelmäßig werden neue Leichen erfrorener Geflüchteter gefunden, so etwa vor zwei Tagen.
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Authors
Ole Kracht
geboren 1994, ist seit 2020 Redakteur bei KATAPULT. Seine Arbeitsschwerpunkte sind aktuelle Berichterstattung sowie die Betreuung der Social-Media-Kanäle.
Jan-Niklas Kniewel
KATAPULT