Studie: „,It Gets Really Boring if You Stay at Home’: Women, Work and Temporalities in Urban India” von Asiya Islam (August 2020) Zu Hause bleiben nervt. Das ist die Meinung vieler junger Frauen im städtischen Indien. Asiya Islam, Forscherin an der Universität Cambridge, untersuchte zwischen August 2016 und Mai 2017 das Arbeitsleben von 18 unverheirateten Inderinnen im Alter zwischen 19 und 23 Jahren, die vor allem in Dienstleistungsjobs beschäftigt waren – zum Beispiel in Cafés, Callcentern, Einkaufszentren und Büros in Delhi. Islam ging dabei der Frage nach, was die Erzählungen dieser Frauen aus der unteren Mittelschicht im Kontext der wirtschaftlichen Veränderung Indiens nach 1990 über ihre Erwartungen und Chancen auf dem neuen städtischen Arbeitsmarkt verraten. Die Forscherin beobachtete die Frauen bei ihrer Arbeit, aber auch innerhalb von Weiterbildungsmaßnahmen und zu Hause im Privaten. Anschließend interviewte sie die Frauen sowie die Ausbilder der Weiterbildungsmaßnahmen. Das Ergebnis: Die Frauen finden es langweilig, zu Hause herumzusitzen. Ein Job strukturiert den Alltag. Hat man keine Arbeit, entfällt diese Routine. Den ganzen Tag daheim zu bleiben, bedeute häufig, andere Familienmitglieder im Haushalt zu unterstützen. Nach Dienstschluss aber fehle den Frauen zufolge die Kraft, dabei mitzuhelfen. In den 1990er-Jahren setzte eine wirtschaftliche Umstrukturierung in Indien ein, die den Arbeitsmarkt nachhaltig veränderte. Es gibt seitdem beispielsweise immer mehr Dienstleistungsjobs – und in diesen arbeiten meistens Frauen. Forschungsarbeiten fokussierten sich bei diesem Thema häufig auf Männer. Falls sie doch auf die Situation von Frauen eingingen, behandelten sie meist deren Versuch, finanzieller Not zu entkommen oder eine Karriere anzustreben. Islam jedoch interessierte sich für die Erfahrungen dazwischen. In ihrer ethnografischen Studie analysiert die Forscherin die Beobachtungsprotokolle und das Interviewmaterial. So deckt sie das gesamte Arbeitsleben der jungen Frauen ab – also sowohl ihre Beschäftigung und Phasen der Arbeitslosigkeit als auch unbezahlte Arbeit zu Hause. Diese verrichten häufig Ehefrauen. Zwar gibt es eine grundsätzliche Erwartungshaltung, irgendwann zu heiraten. In Indien bedeutet das aber häufig, dass der Mann nach der Hochzeit zum Alleinernährer wird – dass er also seinen Job behält. Frauen müssen oft zu Hause bleiben und für den Haushalt sorgen. Mithilfe eines Jobs können die Frauen aber Ehe, Mutterschaft und Familienleben zeitlich hinauszögern. In Teilen gelingt es ihnen so, sich von sozial erwünschten Geschlechterrollen zu lösen. In den meisten der untersuchten Fälle handelte es sich dabei nicht um besonders lukrative Jobs: Die Löhne waren etwa auf Mindestlohnniveau und von den Chefs gab es praktisch keinerlei Wertschätzung. Viele der Frauen wollten ihre Stelle kündigen und suchten nach einer neuen. Um sich ein Stück weit selbst zu erfüllen, kamen für sie auch Weiterbildungsmaßnahmen infrage – vor allem aber, um nicht zu Hause festzusitzen. Dies sei auf Dauer nämlich schlecht für den psychisch-mentalen Zustand. So sei es über das Arbeitsleben etwa deutlich einfacher, Freundschaften zu schließen. Aktuelle Ausgabe Dieser Text erschien in der 20. Ausgabe von KATAPULT. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 19,90 Euro im Jahr. KATAPULT abonnieren