Auf dem Gelände der ehemaligen Marieval Indian Residential School im kanadischen Saskatoon, wurden 751 anonyme Gräber entdeckt. Die meisten davon gehören indigenen Kindern. Erst knapp vier Wochen zuvor wurden die Überreste von 215 Kindern auf dem Gelände der ehemaligen Kamloops Indian Residential School gefunden. Einige von ihnen waren nicht einmal drei Jahre alt. Die sogenannten Residential Schools gab es in Kanada von etwa 1870 bis 1997. Die insgesamt 139 Schulen wurden meist von Kirchen und religiösen Organisation auf Anweisung des Staats betrieben. Ziel dieser Schulen war es, „alle Aspekte der indigenen Kulturen zu eliminieren“ und die indigene Bevölkerung christlich umzuerziehen. Die kanadische Regierung war der Auffassung, dass Kinder einfacher umerzogen werden können als Erwachsene. Deshalb wurden etwa 150.000 indigene Kinder der First Nation, Inuit und Métis aus ihren Familien gerissen, teilweise entführt und gezwungen, in diesen Internaten zu leben. Dort wurden den Kindern Identifikationsnummern tätowiert, ihnen wurden ihre langen Haare abgeschnitten, sie mussten andere Kleidung tragen und sie durften nicht mehr auf ihren eigenen Sprachen kommunizieren. Diese Entfremdung und der Verlust ihrer Kultur bedeutete für viele Kinder eine Identitätskrise. Darüber hinaus erlebten viele Schülerinnen extremen Missbrauch. Die Kinder wurden schlecht ernährt und wurden sogar dazu gezwungen ihr eigenes Erbrochenes zu essen, wenn sie krank waren. Etliche Kinder wurden sexuell missbraucht und anschließend wurden schwangere Mädchen zur Abtreibung gezwungen, dabei war die medizinische Versorgung in den Schulen sehr schlecht. Schätzungen zufolge starben rund 6.000 Kinder in den Residential Schools oder beim Versuch, von dort zu fliehen. Bisher konnten erst knapp 4.000 von ihnen identifiziert werden. Tote wurden oft anonym und teilweise in Massengräbern begraben. Nach der Entdeckung der Überreste Ende Mai, forderten Vertreterinnen indigener Gruppen, alle früheren Residential Schools untersuchen zu lassen. Papst will sich nicht entschuldigen Die katholische Kirche betrieb etwa die Hälfte dieser Schulen. Der Erzbischof von Ottawa-Cornwall entschuldigte sich im Juni 2021 für die Rolle, die seine Kirche beim kulturellen Völkermord spielte. Er fordert, dass auch Papst Franziskus Verantwortung übernimmt und sich bei der indigenen Bevölkerung Kanadas entschuldigt. Das fordert auch Kanadas Premierminister Justin Trudeau seit Jahren. 2008 entschuldigte sich der damalige Premierminister Stephen Harper bei der indigenen Bevölkerung Kanadas und bat sie um Verzeihung. Die United Church of Canada, der größten protestantischen Glaubensgemeinschaft des Landes, entschuldigte sich bereits 1998 für ihr Mitwirken am Völkermord. Die presbyterianische und die methodistische Kirche entschuldigten sich ebenfalls. Der Papst hingegen lehnt bisher jegliche Verantwortung ab. Er gedachte Anfang Juni der 215 toten Kinder, die in auf dem Gelände der katholisch geführten Schule in Kamloops gefunden wurden, vermied allerdings eine Entschuldigung. Bis heute weigert sich die katholische Kirche, viele der Dokumente über die Schule zu veröffentlichen. Diese könnten helfen, weitere anonyme Grabstätten ausfindig zu machen. Download Graphic Viele Kanadier sind der Meinung, dass die Residential Schools längst der Vergangenheit angehören. Doch die letzte Schule wurde erst 1997 in der Provinz Nunavut geschlossen. Noch 2015 gab es rund 80.000 Überlebende dieser Schulen und zahlreiche Angehörige. Viele Familien haben ihre Kinder nie wieder gesehen. In den Schulen wurden Geschwister voneinander getrennt und Briefe von Familienmitgliedern wurden nie an die Kinder weitergeleitet. Auch heute noch werden Indigene in Kanada diskriminiert. In einer Studie von 2019 gaben über die Hälfte der indigenen Befragten an, gelegentlich oder regelmäßig aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer ethnischen Zugehörigkeit diskriminiert zu werden. In Kanada leben rund 1,7 Millionen indigene Menschen, die rund fünf Prozent der Bevölkerung ausmachen. Update vom 15.07.2021
Mitte Juli 2021 wurden erneut in der Nähe von Vancouver über 160 undokumentierte und unmarkierte Gräber nahe einer ehemaligen Residential School gefunden. Die Kupper Island Residential School wurde von der katholischen Kirche gegründet und wurde von 1890-1975 betrieben. Download Graphic Transparenzhinweis: Wir haben am 16.07.2021 nachträglich noch die letzte Grafik hinzugefügt. Sie dient als Ergänzung des weiteren Fundes weiterer Gräber. Aktuelle Ausgabe KATAPULT ist gemeinnützig und unabhängig. Wir finanzieren uns durch Spenden und Abonnements. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 19,90 Euro im Jahr. KATAPULT abonnieren