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Nach Auszählung von 99,97 Prozent der Stimmen geht der Nationalkonservative Andrzej Duda mit einem Wähleranteil von 51,1 Prozent aller Wahrscheinlichkeit nach siegreich aus dem Rennen um die polnische Präsidentschaft hervor. Sein Herausforderer Rafał Trzaskowski, Kandidat der liberal-konservativen Bürgerplattform und Bürgermeister Warschaus, erhielt 48,9 Prozent der Stimmen. Die Wahlbeteiligung war mit 68,2 Prozent die zweithöchste seit dem Fall des Eisernen Vorhangs.
Unter der Herrschaft der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) wandelt sich Polen seit 2015 immer mehr zu einem illiberalen Staat. Die Justizreformen der Regierung greifen die Fundamente des Rechtsstaats und der Demokratie an, sagen Kritiker der Nationalkonservativen. Sexuelle Minderheiten werden diskriminiert. Der formal parteilose Duda hat all dies mitgetragen. Ein Wechsel im Präsidentenamt hätte die Vormacht der PiS gebrochen und die Regierung dazu gezwungen, auf einen kompromissbereiten Kurs umzuschlagen.
Trzaskowski siegt bei den Jüngeren und in den Städten
Duda hatte im ersten Wahlgang 43,5 Prozent der Stimmen erhalten, Trzaskowski wählten 30,5 Prozent. Die Frage war nun, für wen sich die Wähler der ausgeschiedenen Kandidaten entscheiden würden.
Stark hatte mit 6,8 Prozent Krzysztof Bosak von der rechtsradikalen Konfederacja abgeschnitten. Nicht nur Duda, sondern auch Trzaskowski wollte dessen Anhänger abgreifen. Diese Wähler sind in Wirtschaftsfragen oft libertär eingestellt, fordern, dass der Staat sich heraushält und verabscheuen die PiS wegen ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik – trotz Übereinstimmungen in gesellschaftspolitischen Angelegenheiten. Trzaskowski schimpfte also über einen „unterdrückerischen Staat“, der die Steuern weiter erhöhen wolle. Mit ihm als Präsidenten werde es das nicht geben, versprach er und ging gar so weit, seine Teilnahme am „Unabhängigkeitsmarsch“ in Aussicht zu stellen. Diese Großdemonstration der Nationalisten in Warschau zieht jedes Jahr Tausende Neofaschisten und Rechtsextreme an. Nach ihrer Teilnahme im Jahr 2018 hatten Duda und die PiS im vergangenen Jahr einen eigenen Marsch organisiert.
Nachwahlbefragungen zufolge hat sich tatsächlich fast die Hälfte der Bosak-Wähler, die auch an der zweiten Runde teilgenommen haben, für Trzaskowski entschieden. Die Anhänger der anderen Kandidaten konnte er mit großem Vorsprung für sich gewinnen. Ebenso wählte die Mehrheit der Unter-50-Jährigen den Oppositionellen. Auch in den größeren Städten dominierte er. Und doch hat es nicht zum Sieg gereicht. Die Stimmen der Alten, Armen und der Landbevölkerung haben Duda das Amt gesichert.
Dudas deutsche Verschwörung
Der 48-Jährige setzte im Wahlkampf auf emotional heftig polarisierende Themen. So erfand er eine deutsche Verschwörung gegen seine Kampagne, weil deutsche Unternehmen Anteile an ihm kritisch gesonnenen Medien halten. Auch einen deutschen Korrespondenten griff er an. Das PiS-geführte Außenministerium bestellte schließlich sogar deutsche Diplomaten ein, um diese für die vermeintliche Wahlkampfbeeinflussung zu rügen.
Zudem blieb Polens Präsident seiner Kampagne gegen die „LGBT-Ideologie“ treu, die laut den Nationalkonservativen die polnische Nation gefährde. Ein Verbot von Adoptionen durch Homosexuelle wolle er in die Verfassung aufnehmen, weil es sich dabei um „Experimente“ an Kindern und eine Art „Versklavung“ handle. Trzaskowski hatte sich als Warschauer Bürgermeister für die Rechte von sexuellen Minderheiten eingesetzt. Auch im Wahlkampf betonte er seine Unterstützung für die Möglichkeit eingetragener Lebenspartnerschaften, die im nationalen Recht bisher nicht vorgesehen sind. Doch gegen ein Adoptionsrecht für homosexuelle Paare sprach auch er sich aus.
Unterstützt vom PiS-treuen öffentlichen Rundfunk
Ein großer Teil der konservativen Landbevölkerung, die der PiS zur Macht verholfen hat, dürfte sich dabei gar nicht so sehr für rechtsnationale Identitätspolitik oder den Zustand der Rechtsstaatlichkeit interessieren. Wichtig ist ihr das sozialpolitische Programm der PiS – ein Bereich, den die Bürgerplattform während ihrer Regierungszeit vernachlässigt hat. Zu den Reformen der Nationalkonservativen gehörte ein für polnische Verhältnisse großzügiges Kindergeld, bessere Mindestlöhne, deren Ausweitung auf bis dato nicht abgedeckte Beschäftigungsarten, höhere Renten und eine Wiederabsenkung des Renteneintrittsalters.
Duda inszenierte sich als Garant dieser populären Maßnahmen. Der PiS-treue Rundfunksender TVP vermischte die Ängste vor einem Rückbau des Sozialstaats durch die Bürgerplattform mit der ebenfalls seit Jahren unerbittlich geführten Debatte über die Entschädigung von Jüdinnen und Juden. Deren Wohnungen, Werkstätten und Fabriken waren während des Holocaust in das Privateigentum christlicher Polen übergegangen. TVP verkündete: „Experten haben keine Zweifel. Der Geldstrom, der jetzt polnischen Familien zugute kommt, wird austrocknen, wenn Rafał Trzaskowski danach strebt, jüdische Forderungen zu befriedigen.“ Dabei äußerte sich auch der Oppositionskandidat ablehnend über Restitutionen.
Die Nationalkonservativen können nun bis 2023 weitgehend ungehindert den Umbau des Staates weiter vorantreiben. Dieser bedeutet weitere Konfrontationen mit der Europäischen Union, wenn Duda nicht den Mut findet, sich der Regierung hin und wieder entgegenzustellen. Er hätte eigentlich nichts zu befürchten: Eine dritte Amtszeit ist in der Verfassung nicht vorgesehen.
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Authors
Jan-Niklas Kniewel
KATAPULT