Was machen Minister, nachdem sie das Kabinett verlassen haben? Die meisten sind auch ein Jahr später noch in der Politik tätig, aber fast jeder fünfte wechselt in einen Job, in dem er für große Firmen arbeitet oder deren Interessen durchzusetzen versucht. Der Weg aus der Politik auf eine Stelle im privaten Sektor ist damit der zweithäufigste Karriereweg von Ministern oder Kanzlern, die aus der Regierung ausscheiden. Ehemalige Kabinettsmitglieder und deren Mitarbeiter sind bei Konzernen und Verbänden begehrt, weil sie wichtige Kontakte mitbringen und den Gesetzgebungsprozess gut kennen. Dieser Wechsel aus der Politik in die Wirtschaft und andersherum wird als Drehtüreffekt bezeichnet und von verschiedenen Organisationen sowie Teilen der Bevölkerung kritisch gesehen. Download Graphic Das Problem mit den Kontakten Das Thema Lobbyarbeit rückt vor allem dann in den Fokus, wenn ein hochrangiger Politiker nach seiner Karriere in einen Aufsichtsrat wechselt. Ein besonders prominentes Beispiel ist Gerhard Schröder, der bis 2005 Bundeskanzler war. Wenige Monate nach Ende seiner Amtszeit übernahm er den Aufsichtsratsvorsitz der Nord Stream AG, eines Zusammenschlusses verschiedener Energieunternehmen. Ganz plötzlich? Nein. Bereits während seiner Kanzlerschaft hatte Schröder das Großprojekt der Ostseepipeline Nord Stream gefördert. Sein wenig schmeichelhafter Spitzname: »Laufbursche Putins«. Auch der ehemalige Kanzleramtschef Ronald Pofalla wechselte – in den Vorstand der Deutschen Bahn. Daniel Bahr, ehemals Gesundheitsminister, ging zum Versicherungskonzern Allianz. Zwar sind solche Wechsel nicht die Regel, verdeutlichen aber das Problem: Vertreten ehemalige Minister und Staatssekretäre nur kurz nach ihrer politischen Karriere große Unternehmen oder bestimmte Interessengruppen, weckt dies in der Bevölkerung Misstrauen. Die Befürchtung: Sie könnten ihre guten Kontakte und ihr Insiderwissen ausnutzen, um den Konzernen einen Vorteil zu verschaffen. Besonders heikel wird es, wenn das neue Arbeitsfeld thematisch in der Nähe des einstigen politischen Mandats angesiedelt ist. Der frühere Entwicklungsminister Dirk Niebel etwa bestimmte in seiner Amtszeit über Geschäfte der Rüstungsindustrie. Beispielsweise genehmigte er als Mitglied des zuständigen Gremiums den Export von über 200 Panzern nach Saudi-Arabien. Am Bau der Panzer war auch das Rüstungsunternehmen Rheinmetall beteiligt – für das Niebel ein Jahr später lobbyierte. Download Graphic Download Graphic 18 Monate abkühlen Prinzipiell sind Wechsel in die Wirtschaft oder umgekehrt in die Politik erlaubt. Und sie sind auch nicht per se problematisch. Doch um einen direkten Übergang aus der Politik in Unternehmen und Verbände zu verhindern, beschloss der Bundestag im Jahr 2015 ein neues Gesetz über eine Karenzzeit für Kanzler, Minister und parlamentarische Staatssekretäre. Das Ziel: eine Abkühlphase, bevor Lobbytätigkeiten aufgenommen werden dürfen. Wer in die freie Wirtschaft wechseln will, muss das der Bundesregierung mitteilen. Ein Gremium prüft im Anschluss, ob Interessenkonflikte vorliegen, die eine Auszeit von bis zu 18 Monaten notwendig werden lassen. Wen wählte die Bundesregierung, das zu überprüfen? Jemanden, der genau weiß, wie Seitenwechsel funktionieren: Theo Waigel. Nach seiner Amtszeit als Finanzminister wechselte er in die Wirtschaft – und zwar ohne Auszeit. Für die Initiative Lobbycontrol ist das Gesetz daher nicht konsequent genug. Sie setzt sich für Transparenz ein und fordert eine Karenzzeit von mindestens drei Jahren. Außerdem bemängelt die Initiative, dass das Gesetz keine Sanktionen vorsieht, sollte die Karenzzeit nicht eingehalten werden. Ein weiteres Problem ist, dass die Regelung zur Karenzzeit auf unteren politischen Ebenen intransparent ist und nur selten angewandt wird. Bei beamteten Staatssekretären oder Abteilungsleitern greift zum Beispiel das Beamtengesetz. Es besagt, dass eine Tätigkeit nach Ausscheiden aus dem politischen Betrieb dann verboten ist, wenn dadurch »dienstliche Interessen beeinträchtigt« würden. Laut Lobbycontrol ist diese Regelung »schwach«, weil hier keine klaren Kriterien existieren, wann eine Beeinträchtigung vorliegt. Außerdem entscheidet das Ministerium oder die jeweilige Dienststelle, also der ehemalige Arbeitgeber, selbst darüber, ob die angestrebte Tätigkeit unproblematisch ist. Anders als die Wechsel von prominenten Politikern bleibt die Lobbyarbeit von Personen auf niedrigeren Ebenen von der Öffentlichkeit meist unbemerkt, auch wenn sie nicht weniger wichtig ist. Recherchen des Portals Abgeordnetenwatch zeigen, dass auch Büroleiter und Referenten von Bundestagsabgeordneten bei Lobbyverbänden beliebt sind. Sie verfügen über sehr gute Kontakte und Fachwissen. Ein Beispiel ist Thomas Hugendubel, der seit 2019 für das Pharmaunternehmen Roche arbeitet. Zuvor war er Büroleiter eines CDU-Bundestagsabgeordneten, der in seiner Partei unter anderem für den Bereich Arzneimittelversorgung und Apotheken zuständig war. Download Graphic Download Graphic Bevor 2015 die Regelung zur Karenzzeit eingeführt wurde, konnten ehemalige Minister und Kanzler direkt nach ihrer Amtszeit als Lobbyisten tätig werden. Diesen Umstand nutzte die Sozialwissenschaftlerin Nora Dörrenbächer, um auszuwerten, welcher Tätigkeit Minister und Kanzler in dem Jahr nach ihrem Ausscheiden aus dem Kabinett und zehn Jahre später nachgingen. Dörrenbächer untersuchte die Karrierewege von Ministern und Kanzlern zwischen 1949 und 2014. Außerdem ging es ihr um die Frage, ob bestimmte Faktoren einen Wechsel der ehemaligen Politiker in den privaten Sektor wahrscheinlicher machten. Hierzu untersuchte Dörrenbächer Variablen wie die Parteizugehörigkeit, die vorherige Beschäftigung sowie das Ressort der Minister, in dem sie arbeiteten. Das Ergebnis: Von insgesamt 168 Ministern und Kanzlern blieben rund 60 Prozent (101 Personen) in dem Jahr nach ihrem Mandat in der Partei politisch aktiv, 18 Prozent (31 Personen) wechselten in einen hochkarätigen Job in der Privatwirtschaft, zum Beispiel zu Lobbyfirmen oder in den Beirat eines großen Unternehmens. Das ist der Drehtüreffekt. Der Rest der Leute nahm unter anderem andere öffentliche Ämter wahr oder ging in den Ruhestand. Zehn Jahre nach dem Ausscheiden aus der Politik stieg der Anteil derjenigen, die die Drehtür in die Wirtschaft genutzt hatten, auf 24 Prozent an. Ob ein Minister in die Wirtschaft wechselt oder später als Lobbyist arbeitet, lässt sich nicht anhand ökonomischer Rechts-links-Einordnungen erklären. Unter den 31 ehemaligen Politikern, die die Drehtür in die Wirtschaft in dem Jahr nach ihrer Amtszeit genutzt hatten, kamen jeweils zehn aus SPD und CDU/CSU, acht aus der FDP, einer von den Grünen und zwei Minister waren parteilos. Allerdings hat das Ministerium, für das die Politiker arbeiteten, einen Einfluss auf den möglichen Wechsel. Laut Dörrenbächer gingen vor allem Politiker aus dem Wirtschafts- und dem Finanzministerium in den privaten Sektor. Diese Politikbereiche haben üblicherweise viel Kontakt zu Lobbyisten. Außerdem scheint der vorherige Beruf des Politikers ausschlaggebend zu sein: Kamen die Minister direkt aus einem Job in der Privatwirtschaft in das Ministeramt, wechselten sie nach dem Ausscheiden aus der Politik auch häufig wieder zurück in den privaten Sektor. Download Graphic Kanada als Vorbild Lobbykritische Verbände fordern mehr Transparenz. Auch Thomas von Winter, Politikwissenschaftler an der Universität Potsdam, merkt an, dass mit mehr Durchsichtigkeit Spekulationen rund um Lobbyarbeit und Lobbyisten verhindert werden könnten. Wie das funktionieren kann, zeigt Kanada. Dort gibt es eine gesetzliche Abkühlphase von fünf Jahren. In dieser Zeit dürfen einstige Amtsträger keine bezahlte Lobbytätigkeit übernehmen. Außerdem ist sehr transparent, wer wohin wechselt. Ein umfangreiches Register erfasst frühere Ämter, Klienten und Inhalte der Lobbyarbeit. Verstöße gegen das Gesetz und die Verhaltensregeln können in Kanada mit einer Geld- oder Gefängnisstrafe sanktioniert werden. So wie bei Bruce Carson. Von 2006 bis 2008 war er Berater des damaligen Regierungschefs Stephen Harper. Trotz fünfjähriger Abkühlphase arbeitete Carson schon vorher als Lobbyist. Die Folge: eine Geldstrafe von 50.000 Kanadischen Dollar und ein einjähriges Lobbyverbot. Die Rechtsgrundlage scheint gut zu funktionieren – und es gibt viel zu tun. Im Jahr 2014 beispielsweise wurden allein im Bundesstaat British Columbia 153 Einhaltungsüberprüfungen abgeschlossen, 18 formelle Untersuchungen durchgeführt und sechs Strafen verhängt. Aktuelle Ausgabe KATAPULT ist gemeinnützig und unabhängig. Wir finanzieren uns durch Spenden und Abonnements. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 19,90 Euro im Jahr. KATAPULT abonnieren