Beinahe unbeschadet war Sachsen im Frühjahr 2020 durch die Pandemie gelangt. Doch in der zweiten Welle sind die Infektionszahlen so außer Kontrolle geraten wie nirgends sonst. In einigen Kreisen ist das Gesundheitssystem an seine Grenzen gelangt. Anfang Dezember fiel in den sechs Krankenhäusern im Erzgebirgskreis jeder dritte Mitarbeiter erkrankt aus. In Aue hatte die Stadtverwaltung Probleme, arbeitsfähig zu bleiben. Im Ordnungsamt fehlte die halbe Belegschaft. Momentan sind im Erzgebirgskreis weiterhin 98,7 Prozent der Intensivbetten belegt. In Mittelsachsen und im Vogtlandkreis sind es 96 beziehungsweise 94 Prozent. Corona-Leugner haben die Lage lange damit verharmlost, dass die Übersterblichkeit in Deutschland kaum ausgeprägt gewesen sei – doch das liegt nicht daran, dass das Virus keine Gefahr wäre, sondern an den getroffenen Gegenmaßnahmen und einem verhältnismäßig guten Gesundheitssystem. Der Blick in viele andere Länder zeigte seit März immer wieder, welche Gefahr von der Pandemie ausgeht. Allein in den USA wurden etwa 370.000 Tote mehr gezählt als in den Vorjahren. Auch in Ländern wie Belgien oder Spanien offenbart die Sterbestatistik eine massive Übersterblichkeit für das Jahr 2020. Natürlich ist dabei nicht nur das Virus direkt für die vielen Toten verantwortlich. So war wegen der Pandemie beispielsweise auch vielerorts der Zugang zur Gesundheitsversorgung eingeschränkt. Und wo diese unter der Belastung durch zu viele Covid-19-Erkrankte an ihre Grenzen geriet, konnten auch andere medizinische Notfälle nicht mehr angemessen versorgt werden. Die neuesten Zahlen für Sachsen zeigen nun, wie sich auch in Teilen Deutschlands eine erhebliche Übersterblichkeit einstellt. Daten des Statistischen Bundesamtes belegen, dass in der 50. Kalenderwoche des vergangenen Jahres etwa 88,5 Prozent mehr Menschen starben als im Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2019 – das sind 970 zusätzliche Tote. Auch in den sieben Wochen zuvor konnte man eine stetig wachsende Übersterblichkeit beobachten – und das trotz Eindämmungsmaßnahmen. Deutschlandweit lagen die Sterbezahlen in der 50. Kalenderwoche 23 Prozent über dem Durchschnitt der Vorjahre. Download Graphic Wie konnte es in Sachsen so weit kommen? Die Ursachen sind vielfältig. Klar ist: Die Landesregierung unter der Leitung von Michael Kretschmer (CDU) reagierte zu spät. Ein Beispiel: Als im benachbarten Tschechien im Oktober die Infektionszahlen außer Kontrolle gerieten und zwischenzeitlich die höchsten weltweit waren, galten in Sachsen gelockerte Quarantänebestimmungen. Verständlich wären Ausnahmeregeln für osteuropäische Arbeitnehmer in Sachsen gewesen. Doch 24 Stunden lang konnte jedermann problem- und grundlos in Sachsen herumreisen und so schlimmstenfalls andere infizieren. Erst Mitte November steuerte die Landesregierung gegen. Klargestellt werden muss: Es gibt keine Belege dafür, dass Reisende für die Lage in Sachsen verantwortlich sind. So waren einige der am stärksten betroffenen Landkreise Sachsens im Norden des Bundeslandes zu finden – weit entfernt von der Grenze. Aber Kretschmers Vorgehen zeigt, wie sorglos die Regierung handelte. Auch setzte Kretschmer im Herbst auf die Eigenverantwortung der Bürger und Landräte – ein Fehler, wie sich rasch herausstellte. Viele Lokalpolitiker handelten nicht rechtzeitig. Inwiefern die Angst vor der AfD und ihrer Anhängerschaft Landesregierung und Landräte trieb, ist unklar. Seit Monaten spielen die Politiker der rechtsextremen Partei die Gefahren der Pandemie herunter und inszenieren sich stattdessen als Stimme der Maskenverweigerer und Kritiker der Eindämmungsmaßnahmen. Die statistische Auffälligkeit: Je mehr AfD-Wähler in einem Kreis leben, desto höher sind die Infektionszahlen dort – und das nicht nur in Sachsen. Die Vermutung liegt nahe, dass dieser Zusammenhang maßgeblich für die Lage verantwortlich ist. Allerdings können weitere mögliche Einflüsse wie sozioökonomische Faktoren nicht ausgeschlossen werden. Und das Agieren der AfD nimmt auch nicht die Landes- und Lokalpolitiker aus der Verantwortung. Die Daten des Statistischen Bundesamts sind hier zu finden. Aktuelle Ausgabe KATAPULT ist gemeinnützig und unabhängig. Wir finanzieren uns durch Spenden und Abonnements. Abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 19,90 Euro im Jahr. KATAPULT abonnieren