Die Bürger:innen Berlins stimmen heute über eine Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen ab, die mehr als 3.000 Wohnungen besitzen und mit “Gewinnerzielungsabsicht” wirtschaften. Das Volksbegehren der Initiative “Deutsche Wohnen und Co. enteignen” strebt an, die rund betroffenen 240.000 Wohnungen in demokratisch verwaltetes Gemeineigentum zu überführen. Hierbei würden die bisherigen Besitzer entschädigt. Die Höhe der Entschädigung beliefe sich in Berlin, je nach Schätzung und Berechnungsmodell, auf 11 bis 39 Milliarden Euro. Allerdings ist der Berliner Senat auch im Falle eines positiven Ausgangs des Volksentscheids nicht dazu verpflichtet, diese Vergesellschaftung auf den Weg zu bringen. Ohne Zweifel würde der politische Druck auf den Berliner Senat aber größer werden. Was meint eigentlich Vergesellschaftung? Eine Vergesellschaftung macht nicht den Staat zum neuen Eigentümer, sondern: die Gesellschaft. Die Volksinitiative “Deutsche Wohnen und Co. enteignen” sieht für die Hauptstadt die Schaffung einer Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) vor. Diese würde von Abgeordneten, Mitarbeiter:innen, Mieter:innen und Bürgerschaft geführt und kontrolliert. Der größte Vorteil einer AöR besteht aus Sicht der Initiative darin, dass diese nicht an einer Profitmaximierung interessiert ist, sondern an den Bedürfnissen der Berliner Bürgerschaft. Über Wohnraum und dessen Nutzung, so die Überlegung, sollte vor Ort und demokratisch entschieden werden.

Jetzt schon entschieden ist, dass die Mieten für die Wohnungen, die in den Besitz der AöR übergehen würden, gedeckelt wären - und zwar bei 4,04 Euro pro Quadratmeter nettokalt. Aktuell bezahlen Berliner Mieter:innen im Durchschnitt rund sieben Euro. Ist eine Vergesellschaftung verfassungswidrig? Doch die Initiative wird auch kritisiert. Zum Beispiel vom Staatsrechtler Ulrich Battis. Er meint, dass die geplante Vergesellschaftung verfassungswidrig sei. Seines Erachtens würden Landesgesetze, die eine Vergesellschaftung in die Wege leiten, vom Bundesverfassungsgericht kassiert werden, unter anderen aus folgenden Gründen:

1. Die Vergesellschaftung sei unverhältnismäßig. Das heißt, um die angestrebten Ziele zu erreichen und die Mietsituation in Berlin zu entspannen, gäbe es weniger drastische Mittel.

2. Die Grenze von 3.000 Wohnungen im Bestand, ab der die Vergesellschaftung greifen würde, sei willkürlich und verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz.

3. Das Land Berlin habe überhaupt keine Kompetenz, um derart drastisch in den Wohnungsmarkt der Hauptstadt einzugreifen. Diese liege vielmehr beim Bund. 

4. Zur Entschädigung der bisherigen Eigentümer müsste die AöR, an der auch das Land Berlin beteiligt wäre, Kredite aufnehmen. Diese verstießen aber gegen die im Grundgesetz festgeschriebene Schuldenbremse.

Mattis hatte bereits beim Berliner Mietendeckel prognostiziert, dass dieser verfassungswidrig sei - und Recht behalten. Und auch seine Bedenken gegenüber einer Vergesellschaftung der rund 240.000 Wohnungen in Konzernbesitz scheinen gewichtig.

Mattis’ Gutachten ist allerdings umstritten. So äußert die Berliner “tageszeitung” Zweifel an seiner Unabhängigkeit. Mattis habe noch vor einem Jahr die Auffassung vertreten, dass eine Vergesellschaft gemäß Art. 15, GG verfassungskonform sei. Im aktuellen Gutachten, das pikanterweise vom immobilienwirtschaftsnahen Verein “Neue Wege für Berlin” in Auftrag gegeben wurde, ändert Mattis seine Meinung vollständig. Nach Meinung von Vertretern des Volksbegehrens ein klarer Fall von Gefälligkeitsarbeit. Was trumpft im Grundgesetz: Privateigentum oder Gemeinwohl? Auch inhaltlich gibt es Zweifel an Mattis’ Ausführungen. Vor allem die These, der zufolge eine mögliche Vergesellschaftung gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit verstoßen würde, wird von rechtswissenschaftlicher Seite hinterfragt. Ein solcher Konflikt sei nur dann anzunehmen, wenn das Grundrecht auf Eigentum gegenüber dem ebenfalls grundgesetzlich festgeschriebenen Recht auf Vergesellschaftung bevorzugt würde. Dies sei aber verfassungsrechtlich keineswegs sicher. Schon aufgrund dessen nicht, dass Art. 15 des Grundgesetzes seit 1949 nicht nennenswert zur Anwendung gekommen ist. Überhaupt sei unklar, ob das Prinzip der Verhältnismäßigkeit im Fall von Art. 15, GG sinnvoll zur Anwendung kommen könne.

Und auch mit Blick auf die vermeintlich fehlende Gesetzgebungskompetenz des Landes Berlin kommen andere Gutachten zu von Battis abweichenden Ergebnissen. So meint etwa der Wissenschaftliche Dienst des Berliner Senats, dass “das Land Berlin für dieses Sachgebiet die Kompetenz zur Gesetzgebung [hat]”. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags formuliert zurückhaltender, stimmt in der Sache aber zu.

Sollten die Berliner:innen für die Vergesellschaftung von Deutsche Wohnen und Co. stimmen, dürften dessen ungeachtet dieser Befunde viele Fragen gestellt und Klagen erhoben werden. Dann würde Art. 15 GG aufhören, eine theoretische Möglichkeit zu sein. Stattdessen würde die Sache vor den Gerichten verhandelt werden - ganz praktisch. Aktuelle Ausgabe KATAPULT ist gemeinnützig und unabhängig. Wir finanzieren uns durch Spenden und Abonnements. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 19,90 Euro im Jahr. KATAPULT abonnieren