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Die Überfahrt auf die Kanarischen Inseln gilt als eine der gefährlichsten Migrationsrouten der Welt. Die meisten Menschen brechen im Süden Marokkos oder in der Westsahara auf. Andere starten ihre Reise aus dem Senegal oder sogar aus Guinea – eine Entfernung von 1.500 bis 2.500 Kilometern. In einfachen Holz- und Gummibooten versuchen sie dem Atlantischen Ozean zu trotzen. Laut der International Organisation for Migration starben oder verschwanden im Jahr 2020 bis Mitte November bereits mehr als 500 Menschen bei der Überfahrt, 25 Prozent mehr als im gesamten Vorjahr. Die Dunkelziffer ist wahrscheinlich hoch. Etwa 17.000 Menschen haben es bisher auf die Inselgruppe geschafft, mehr als sechsmal so viele wie 2019.
Lange Zeit hatte die Route an Bedeutung eingebüßt. Noch 2006 hatten 35.490 Menschen die Kanaren erreicht. Doch im selben Jahr eröffnete die europäische Grenzschutzagentur Frontex ihr erstes Büro in Westafrika – im Senegal. Mit Schiffen und Hubschrauber riegelte man den Seeweg ab, bilaterale Abkommen machten es möglich, die Boote der Migranten einfach wieder zurückzudrängen. Rasch brach die Zahl der Überquerungen ein. Warum versuchen nun so viele erneut die gefährliche Reise? Zum einen macht die Europäische Union mit ihrer Abschottungspolitik immer mehr andere Migrationsrouten in Afrika dicht. Und dann ist da die Pandemie, die die wirtschaftliche Not vielerorts verschärft hat. Hinzu kommen ganz lokale Gründe. Marokko hat etwa mit einer Dürre zu kämpfen und im Senegal sind die Fischgründe erschöpft – nicht zuletzt wegen der Raubzüge europäischer und chinesischer Schiffe.
Spanien will die Migranten rasch wieder abschieben und plant, etwa ein Rückführungsabkommen mit dem Senegal zu reaktivieren, das wegen der Pandemie ausgesetzt worden war. Außerdem will Madrid den Einsatz von zusätzlichen Polizisten, Marineeinheiten und mehr Luftüberwachung. Vielleicht gelingt es Spanien, auch diesen Weg nach Europa rasch wieder zu schließen. Doch solange sich die EU nicht um langfristige Lösungen schert, ist es nur eine Frage der Zeit, bis Menschen eine andere Route finden – und sei sie noch so gefährlich.
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Authors
Jan-Niklas Kniewel
KATAPULT