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Jährlich fallen weltweit rund 380 Milliarden Kubikmeter Abwasser an. Durch das Wachstum der Weltbevölkerung wird sich diese Menge bis 2050 auf schätzungsweise 570 Milliarden Kubikmeter erhöhen. Globale Lösungen für die Abwasserklärung werden deshalb immer nötiger. Denn während in vielen europäischen und westlichen Staaten im Schnitt 80 bis 100 Prozent der Einwohner an das Abwassernetz angeschlossen sind, ist die Lage im Rest der Welt oft deutlich schlechter. Für viele Länder fehlen zwar belastbare Daten, die Angaben schwanken zwischen zwei und 100 Prozent. Insgesamt gelangen aber rund 80 Prozent der weltweiten Abwässer ungeklärt in die Umwelt. Das stellt ein enormes Problem dar, denn sie beinhalten nicht nur Essensreste und menschliche Ausscheidungen. Auch Chemikalien und Giftstoffe werden auf diesem Wege in die Natur gespült.
Weltweit sind mindestens zwei Milliarden Menschen auf Wasserquellen angewiesen, die durch Fäkalien verunreinigt sind. Über das Trinkwasser können so Cholera, Diarrhö, Typhus und viele weitere Krankheiten übertragen werden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht von jährlich über 800.000 Toten allein aufgrund von Durchfallerkrankungen aus.
Dabei trifft es vor allem Kinder. Laut WHO und dem UN-Kinderhilfswerk Unicef stellen diese Zahlen aber nur die Spitze des Eisbergs dar, denn viele der Todesfälle werden nicht gemeldet oder nicht mit verunreinigtem Wasser in Verbindung gebracht. Die WHO schätzt, dass 2016 fast zwei Millionen Todesfälle hätten vermieden werden können, wenn es eine sichere Wasserversorgung und sanitäre Einrichtungen gegeben hätte.
Abwasser enthält die fünffache Menge an Energie, die für dessen Klärung notwendig ist
Neben der notwendigen Abwasserreinigung könnten moderne Kläranlagen den betroffenen Ländern weitere Vorteile bieten. Ein Team um den Umweltwissenschaftler Manzoor Qadir hat eine Studie über das Potenzial von Abwässern als Energie- und Nährstoffquelle veröffentlicht. Darin berechnete er erstmals die gesamte weltweite Abwassermenge und zeigt Möglichkeiten auf, wie diese nutzbar gemacht werden kann. Denn in dem Wasser, das aus Dusche, Spüle und Toilette kommt, steckt nicht nur Schmutz, sondern auch viele Nährstoffe. Qadir zufolge könnten daraus weltweit rund 26 Millionen Tonnen Stickstoff, Kalium und Phosphor pro Jahr gewonnen werden. Das würde nicht nur 13 Prozent des weltweiten Düngemittelbedarfs decken, sondern auch einen Umsatz von fast 14 Milliarden US-Dollar erzielen. Phosphor kann aktuell mit einer Effektivität von 25 bis über 90 Prozent aus dem Abwasser gewonnen werden, je nach Investition und Technik. Um dieses Potenzial jedoch voll ausschöpfen zu können, sind laut Qadirs Team in den kommenden Jahren weitere Forschung und Investitionen notwendig.
Es klingt paradox, doch Abwasser enthält die fünffache Menge an Energie, die für dessen Klärung notwendig ist. Die organischen Bestandteile etwa können in methanhaltiges Biogas umgewandelt werden. Schon heute versorgen sich einige Kläranlagen nur durch das Abwasser mit dem benötigten Strom, die Umrüstung findet vielerorts aber nur langsam statt. Doch das volle Potenzial der Energiegewinnung ist noch nicht ausgeschöpft: Es gibt bereits energiepositive Klärwerke, also Anlagen, die sowohl sich selbst mit Strom und Wärme versorgen als auch Städte und Gemeinden.
Wenn man die von Qadir prognostizierten Abwassermengen nimmt, könnte man im Jahr 2030 mehr als 195 Millionen Haushalte mit Strom aus der Abwasserklärung versorgen, 2050 wären es sogar fast 240 Millionen. Das würde die Klärung des Abwassers nicht nur deutlich nachhaltiger machen, sondern auch für Standorte attraktiv, die aktuell nur wenig oder gar kein Abwasser klären. Besonders lohnt es sich für Regionen, in denen Menschen unzuverlässig oder gar nicht mit Strom versorgt werden. Auch die Abhängigkeit von weniger umweltfreundlichen Energiequellen würde so sinken.
Zu viele Keime in recyceltem Wasser
Unter anderem in Wien wurde dieses Konzept der energiepositiven Kläranlage bereits umgesetzt. Dort hat man das Hauptklärwerk um sechs jeweils 30 Meter hohe Faulbehälter erweitert. In diesen Behältern gärt der Klärschlamm, der zuvor aus dem Abwasser gefiltert, angedickt und auf 38 Grad Celsius erhitzt wurde. Luftdicht abgeschlossen, bauen Bakterien die organischen Inhaltsstoffe ab. Es entsteht ein Klärgas, das in Blockheizkraftwerken verbrannt wird. Die Wiener Kläranlage deckt so ihren Energiebedarf vollständig selbst und spart dadurch jährlich rund 40.000 Tonnen CO2 ein. Das Konzept dahinter ist nicht neu, es wurde jedoch bisher meist nur zur Verringerung der Schlammmenge und zur Einsparung von Entsorgungskosten genutzt.
Einen anderen Weg geht der Stadtstaat Singapur. Das Land war seit jeher von Wasserlieferungen abhängig, vor allem vom Nachbarstaat Malaysia. Mittlerweile deckt Singapur einen Großteil seines Wasserbedarfs eigenständig. Umkehrosmoseanlagen reinigen das Abwasser so, dass es wieder in den Wasserkreislauf zurückgeführt werden kann. Bei dem Prozess wird das Schmutzwasser durch Mikrofilter und Membranen gepresst und ultraviolett bestrahlt. Auf diese Weise sichert das Land mittlerweile rund 40 Prozent seines Trinkwasserbedarfs. Diese Art der Trinkwassererzeugung steht jedoch in der Kritik, Bedenken äußert unter anderem der australische Mikrobiologe Peter Collignon: Recyceltes Wasser sei zwar sinnvoll für Industrie und Landwirtschaft, als Trinkwasser aber zu gefährlich. Die Fülle an Keimen und Erregern sowie der komplizierte Reinigungsprozess seien ein großes Risiko.
Trotz all der Innovationen herrscht weiterhin ein großes Ungleichgewicht hinsichtlich der Verteilung von Trinkwasser, wie der Weltwasserbericht 2021 zeigt. Afrika beispielsweise beherbergt lediglich neun Prozent der weltweiten Süßwassermenge. Diese sind darüber hinaus auch sehr ungleich verteilt. Sechs zentral- und westafrikanische Staaten verfügen über 54 Prozent der gesamten Wasserressourcen des Kontinents. Demgegenüber müssen sich über 20 afrikanische Staaten nur sieben Prozent der Reserven teilen. Mit dem Projekt »Africa Water Vision 2025« will die Afrikanische Union dem entgegenwirken. Wasserspeicher sollen sicherer und nachhaltiger werden. Aber auch bestehende Umweltprobleme sollen angepackt werden, wie beispielsweise die zunehmende Entwaldung, Verschmutzung und die Folgen fehlender sanitärer Einrichtungen.
Auch in Lateinamerika, der Karibik, Asien und dem Pazifikraum bündeln sich ähnliche Probleme: Wassermangel führt zu Konkurrenz einzelner Wirtschaftszweige um das vorhandene Wasser. Hinzu kommt die Wasserverschmutzung, die hier vor allem auf industrielle Verunreinigung und fehlende Abwasserklärung zurückzuführen ist. Den Staaten fehlt es oft an Mitteln, mutwillige Verschmutzung zu ahnden. Gleichzeitig fehlt es hinsichtlich der Klärung von Abwässern und Wasserrückgewinnung noch an Anreizen, obwohl es mit Malaysia, Japan und weiteren Staaten auch positive Beispiele gibt. Während in Europa der technologische Fortschritt zu immer moderneren Klärwerken führt, fehlen anderswo schon die einfachsten Anlagen.
Angesichts der steigenden Bevölkerungszahl und damit der zunehmenden Abwassermenge braucht es nachhaltige Konzepte zur Abwasserklärung. Für große, zersiedelte Länder bieten sich dezentrale, autarke Lösungen an. Dabei könnte die Kombination aus Abwasserklärung, Energieversorgung, Nährstoffgewinnung und der Verbesserung der Lebensqualität die notwendigen Anreize für Investitionen in moderne Anlagen schaffen.
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Authors
Ole Kracht
geboren 1994, ist seit 2020 Redakteur bei KATAPULT. Seine Arbeitsschwerpunkte sind aktuelle Berichterstattung sowie die Betreuung der Social-Media-Kanäle.