Skip to content

Energiewende

Der Kohleausstieg kommt - zu langsam

By

Share article

Klimaschützer:innen sehen Europa beim Kohleausstieg nicht nur aufgrund des auf dem Kontinent erzeugten CO2-Ausstoßes in der Pflicht. Es gehe auch um eine Signalwirkung für jene Weltregionen, die aktuell noch stärker auf Kohleenergie setzen als Europa. Gemeint ist vor allem Südostasien. Aber auch Australien und Russland machen gegenwärtig wenig Anstalten, die Kohleförderung zu drosseln.

Aus klimapolitischer Perspektive notwendig wäre ein europaweiter Ausstieg bis 2030. Gerade in Südost- und Osteuropa sehen viele Regierungen jedoch eine deutlich spätere Abkehr von der Kohleenergie vor. Polen und Serbien etwa wollen erst 2050 aussteigen. Und auch Deutschland liegt mit dem Ausstiegsdatum 2038 hinter den Forderungen von Klimaschützer:innen und Wissenschaftler:innen zurück.

Schnellerer Ausstieg möglich

Unter anderen die Grünen fordern einen Ausstieg bis 2030. Das sei möglich, wenn gleichzeitig erneuerbare Energien ausgebaut und der CO2-Preis erhöht würden. Letzteres geschieht bereits - und hat Folgen. Viele Kohlkraftwerkbetreiber wollen ihre Kraftwerke aufgrund des ansteigenden CO2-Preises früher stilllegen als ursprünglich geplant. Ob die hierdurch entstehende Energielücke bis 2030 mit Hilfe von Erneuerbaren gefüllt werden kann, ist allerdings umstritten. Ohne Gaskraftwerke, so die Meinung von Expert:innen, wird es nicht gehen. Bestenfalls könnten diese aber in Zukunft mit dem umweltfreundlicheren Wasserstoff betrieben werden.

Mittelfristig sollen die Gaskraftwerke aber nur als Absicherung fungieren - etwa für den Fall fehlenden Windes oder ausbleibenden Sonnenscheins zur Gewinnung von Wind- und Solarernergie. Der Ausbau der Erneuerbaren vollzieht sich im Moment allerdings zu langsam. Analysen zufolge bedürfte es beispielsweise doppelt so vieler neuer Windräder wie dieses Jahr gebaut werden werden. Dass es nicht schneller geht, liegt beispielsweise am Personalmangel in den zuständigen Behörden. Wo kein Personal, da keine Genehmigungen für den Bau neuer Windkraftanlagen - gerade angesichts zu erwartender Klagen gegen die erteilten Genehmigungen. Der Staat wird also Geld in die Hand nehmen müssen, um die Behörden personell besser auszustatten.

Ohne Kohle kein Ausstieg

Dies gilt auch für die Förderung der Gaskraftwerke, die auch aufgrund dessen niemand bauen möchte, dass sie mittelfristig eben nur als Notfalloption vorgesehen sind. Das schmälert aus privatwirtschaftlicher Perspektive die Anreize, zu investieren. Ein letzter Kostenpunkt eines früheren Ausstiegs aus der Kohleenergie ist die sozialverträgliche Abwicklung der Kohleindustrie, an der noch immer Tausende Arbeitsplätze hängen, etwa in der Lausitz. Der ursprüngliche Plan zwischen Bund und Ländern sah Hilfen in Höhe von 40 Milliarden vor, um den Strukturwandel bis 2038 zu begleiten. Dieses Geld müsste früher ausgegeben werden, wenn der Ausstiegstermin vorgezogen werden soll. Und auch dann ist nicht sicher, ob die Rechnung aufgeht. Die Milliareden sollen nämlich vor allem in die kommunale Infrastruktur fließen - beispielsweise in neue Straßen, Schulen und Kindergärten -, um auf diese Weise Unternehmen dazu zu bewegen, sich in den betroffenen Regionen anzusiedeln. Eine Garantie hierfür gibt es jedoch nicht.

Aktuelle Ausgabe

KATAPULT ist gemeinnützig und unabhängig. Wir finanzieren uns durch Spenden und Abonnements. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 19,90 Euro im Jahr.

KATAPULT abonnieren

Footnotes

  1. Hiltscher, Lilli: Bleibt die Kohle auf dem Vormarsch?, auf: tagesschau.de (7.10.2021).
  2. Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen (Hg.): Kohleausstieg, auf: gruene-bundestag.de (ohne Datum).
  3. Beutler, Annette: Das Problem des schnelleren Kohleausstiegs, auf: zeit.de (24.9.2021).
  4. Ebd.
  5. n-tv (Hg.): RWE-Chef: Kohleausstieg 2030 ist machbar, auf: n-tv.de (9.10.2021).
  6. Geißler, Ralf: Neue Jobs für ausgekohlte Landschaften, auf: mdr.de (29.4.2021).

Authors


Tobias Müller
geboren 1986, ist seit 2020 Redakteur bei KATAPULT. Er hat Politikwissenschaft und Geschichte in Freiburg und Greifswald studiert und wurde mit einer Arbeit im Bereich politische Ideengeschichte promoviert. Zu seinen Schwerpunkten zählen die deutsche Innenpolitik sowie Zustand und Entwicklung demokratischer Regierungssysteme.

Translators

Latest Articles

“Most people who I know left or are about to leave the country“

Last Thursday the KATAPULT had the chance to speak to a young woman in Russia about the situation inside the country. Originally it was planned as a video-interview. However the newest regulations in Russia which suppress the freedom of press and punish the spreading of information against the government are punishable with  a prison sentence of up to 15 years. That’s why the interview will now be published as completely anonymized text. The photos were sent by the interviewee. Her name and hometown has been verified by KATAPULT.

Russia's war against Ukraine. Russia's war against the world

This morning started with good news: No regional hub of Ukraine is occupied by the Russians. Very good news, considering the last eight days.

Today, we hired the first 15 Ukrainian journalists

14 of the 15 are women. Four are currently fleeing West. Some are in calmer regions of Ukraine, while some are in violent war zones.