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Das politische System Frankreichs ist zentralistisch. Die wichtigen Entscheidungen werden also in der Hauptstadt Paris getroffen. In den Regionen wird vergleichsweise wenig entschieden. Die Regionalwahlen, die am 20. und 27. Juni stattfinden werden, sind trotzdem bedeutsam. Sie gelten als Stimmungstest für die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr.
Den aktuellsten Prognosen zufolge könnte die rechtspopulistische Partei Rassemblement National unter Führung Marine Le Pens als große Siegerin aus den Wahlen hervorgehen. In gleich drei Regionen wird sie laut Umfragen auch im zweiten Wahlgang die stärkste Kraft sein. Es wäre das erste Mal, dass die Rechtspopulisten die Mehrheit in einem Regionalparlament bekämen. Einige sprechen diesbezüglich von einem “Tabubruch”.
Gewählt werden die regionalen Parlamente im Normalfall in zwei Wahlgängen. Alle Parteien und Bündnisse, die im ersten Wahlgang mehr als zehn Prozent der Stimmen gewinnen konnten, treten im zweiten Wahlgang an. Hier genügt dann die relative Mehrheit, um einen sogenannten Mehrheitsbonus von 25 Prozent zu bekommen. Das soll stabile Mehrheitsverhältnisse garantieren. Holt also im zweiten Wahlgang die stärkste Partei auch nur eine Stimme mehr als die zweitstärkste, fallen ihr 25 Prozent der Sitze im Regionalparlament zu. Die restlichen 75 Prozent der Sitze werden je nach Stimmenanteil im zweiten Wahlgang verteilt. Der zweite Termin entfällt nur in dem Fall, dass eine Partei bereits im ersten Urnengang die absolute Mehrheit der Stimmen gewinnt, also mehr als 50 Prozent. Damit ist bei den diesjährigen Wahlen jedoch in keiner Region zu rechnen.
Alle gegen die Rechten?!
Bereits 2015 bekam das Rassemblement National - damals noch unter dem Namen Front National - im ersten Wahlgang landesweit die meisten Stimmen. In sechs der dreizehn Regionen Zentralfrankreichs wurde die Partei stärkste Kraft. Im zweiten Wahlgang kassierten die Rechtspopulisten dann jedoch eine krachende Niederlage. Sie konnten die Mehrheit in keiner Region halten. Zurückzuführen ist das auf die sogenannte “republikanische Front”. So heißt in Frankreich der Zusammenschluss moderater Kräfte gegen die Rechtspopulisten. Parteien, die im ersten Wahlgang noch gegeneinander antraten, arbeiten im zweiten Wahlgang zusammen, um mehr Stimmen zu bekommen - und auf diese Weise rechtspopulistische Mehrheiten zu verhindern. Bisher funktionierte dieser Mechanismus ziemlich verlässlich. Dies könnte sich nun jedoch ändern.
Der Hauptgrund hierfür sind die konservativen Republikaner (Les Républicains). Viele ihrer Mitglieder sehen inzwischen die ursprünglich liberale Partei La Republique en Marche (LREM) von Präsident Emmanuel Macron als größte Bedrohung. Seit ihrer Gründung 2015 ist LREM zunehmend bürgerlich-konservativ geworden. Die Folge: Les Republicains befürchten, Stimmen an LREM zu verlieren. Eine Zusammenarbeit lehnen viele Republikaner daher ab - selbst wenn dies zulasten der Rechtspopulisten gehen würde. Bei der Präsidentschaftswahl 2022 könnte es zur Konfrontation kommen. Auszugehen ist nämlich von einem Duell zwischen Emmanuel Macron und Marine Le Pen. Halten die Konservativen Macron auch dann für das größere Übel, könnte Frankreich zukünftig von einer Rechtspopulistin regiert werden.
Auch die Grünen vor einer Premiere
Die französischen Grünen konnten bereits bei den Kommunalwahlen 2020 Erfolge feiern. Aktuelle Prognosen sehen sie jetzt in der Region Pays de la Loire vorne. Ebenso wie für das Rassemblement National wäre die Führung einer Regionalregierung für die Grünen eine Premiere. DiePartei wird ihre guten Ergebnisse von 2020 jedoch nicht flächendeckend wiederholen können. Dafür sind sie in den ländlichen Regionen zu schwach.
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Authors
Tobias Müller
geboren 1986, ist seit 2020 Redakteur bei KATAPULT. Er hat Politikwissenschaft und Geschichte in Freiburg und Greifswald studiert und wurde mit einer Arbeit im Bereich politische Ideengeschichte promoviert. Zu seinen Schwerpunkten zählen die deutsche Innenpolitik sowie Zustand und Entwicklung demokratischer Regierungssysteme.