Polens nationalkonservativer Präsident Andrzej Duda verpasste am Sonntag die absolute Mehrheit und muss nun in zwei Wochen in eine Stichwahl gegen Rafał Trzaskowski, den Kandidaten der liberal-konservativen Bürgerplattform und Oberbürgermeister Warschaus. Duda erhielt 43,5 Prozent der Stimmen. Trzaskowski liegt bei 30,5 Prozent. Es folgen der parteilose moderat-katholische Publizist Szymon Hołownia (13,9 Prozent) und der rechtsradikale Krzysztof Bosak (6,8 Prozent). Der linksliberale Robert Biedroń und der sozialkonservative Władysław Kosiniak-Kamysz konnten keine drei Prozent der Stimmen gewinnen. Bedenklich ist ein Blick auf die jungen Wähler: Unter den 18 bis 29-Jährigen errang ersten Nachwahlbefragungen zufolge der rechtsextreme Bosak mit schätzungsweise 23 Prozent die zweitmeisten Stimmen hinter Trzaskowski. Die Wahlbeteiligung war mit 64 Prozent deutlich höher als noch vor fünf Jahren. Andrzej Duda, formal parteilos, agiert in der Regel als Erfüllungsgehilfe von Polens rechtskonservativer Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und winkt seit Jahren fast alle Gesetze umstandslos durch. Seit ihrem Wahlsieg 2015 baut die PiS Polen nach ihren Vorstellungen um. Kritiker werfen ihr vor, das Land in einen autoritären illiberalen Staat zu verwandeln. Die Justizreformen der Regierung werten Wissenschaftler, Europäische Union und die Opposition als Angriff auf die Fundamente des Rechtsstaats und der Demokratie. Immer wieder kommt es deshalb zu Konflikten mit der EU, die Polen mehrfach vor den Europäischen Gerichtshof gebracht hat (mehr dazu in unserem Hintergrundartikel). Der öffentliche Rundfunk ist heute ein rechter Propagandasender, auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen fiel Polen von Platz 18 auf Rang 62. Sexuelle Minderheiten werden diskriminiert, die PiS sieht sich auf einem Kreuzzug gegen die „LGBT-Ideologie“, die laut ihrem mächtigen Parteichef Jarosław Kaczyński die „polnische Identität, die Nation und den Staat“ bedrohe. Neben diesem autoritären rechtskonservativen Kurs steht die PiS aber auch für eine populäre Sozialpolitik. Trzaskowski, der dem liberalen Flügel seiner Partei angehört, erklärte am Sonntag vor seinen Anhängern, dass die zweite Wahlrunde darüber entscheiden werde, ob Polen einen Präsidenten bekomme, der der Regierung genau auf die Finger sehe, oder jemanden, der seine eigene Unterschrift nicht achte. Als Warschauer Bürgermeister hat er einen toleranten Kurs gegenüber LGBT eingeschlagen. Trzaskowski befürwortet eingetragene Lebenspartnerschaften, den Justizreformen der PiS will er entgegentreten. In Umfragen zur Stichwahl ist er zurzeit gleichauf mit Duda. Polens Staatsoberhaupt ist dafür verantwortlich, die Verfassung zu hüten. Es kann einem Gesetz seine Unterschrift verweigern. Zudem ernennt der Präsident Richter und entscheidet auch über den Vorsitz des Obersten Gerichts. Die Berufungspolitik von PiS und Duda ist ein permanenter Konfliktpunkt in der polnischen Politik. Die Opposition wirft ihnen vor, die Gewaltenteilung zu schwächen und das Oberste Gericht mit loyalen Juristen zu besetzen. Erst Mitte Mai, kurz nach dem ursprünglichen Wahltermin, hatte Trzaskowski die Kandidatur von Małgorzata Kidawa-Błońska übernommen, deren Kampagne blass geblieben war. Duda hingegen kratzte in Umfragen zwischenzeitlich an der Marke von 60 Prozent, weswegen Jarosław Kaczyński alles daran gesetzt hatte, die Wahlen als reine Briefwahl inmitten der Corona-Pandemie stattfinden zu lassen. Der Widerstand eines kleinen Bündnispartners verhinderte dies. Aktuelle Ausgabe KATAPULT ist gemeinnützig und unabhängig. Wir finanzieren uns durch Spenden und Abonnements. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 19,90 Euro im Jahr. KATAPULT abonnieren