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Häusliche Gewalt

14.600 Betten fehlen in Deutschlands Frauenhäusern

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Jeder Mensch hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, heißt es im Artikel 2 im Grundgesetz der Bundesrepublik. Tatsächlich sind Frauen in Deutschland täglich von Gewalt betroffen. Mehr als einmal pro Stunde wird hier eine Frau durch ihren Partner gefährlich verletzt. Das zeigen Zahlen der Kriminalstatistischen Auswertung zu Partnerschaftsgewalt des Bundeskriminalamtes. Für das Jahr 2018 meldete das Amt 140.755 Opfer von Partnerschaftsgewalt. Die Opfer wurden verletzt, bedroht, gestalkt, genötigt, eingesperrt und in 324 Fällen sogar getötet oder ermordet. In 81 Prozent der Fälle waren die Opfer Frauen. Die Dunkelziffer ist wahrscheinlich wesentlich höher.

Durch die aktuelle Coronakrise könnte sich die Situation weiter verschärfen. Viele sind durch die Quarantänemaßnahmen dazu gezwungen, sich vorwiegend zu Hause aufzuhalten – auch wenn sie dort Gewalt erleben. Anlass zur Sorge geben Berichte aus China: So hätten sich beispielsweise in der Provinz Hubei während der zweimonatigen Quarantäne doppelt so viele Frauen bei Frauenhäusern gemeldet; bei der Polizei ging im Februar im Vergleich zum Vorjahr die dreifache Anzahl an Beschwerden über gewalttätige Partner ein. Berichte aus Großbritannien und den USA weisen seit Ausbruch der Pandemie ebenfalls auf einen Anstieg häuslicher Gewalt hin.

Hilfe suchen sich die Betroffenen in Deutschland oft in sogenannten Frauenhäusern, die Frauen und ihren Kindern in Notlagen zu jedem Zeitpunkt Schutz bieten können, so zumindest die Idee. Doch deren Kapazitäten sind begrenzt, auch wenn sie mit großem Zulauf während der Quarantänezeit rechnen. Das bestätigt Elisabeth Oberthür, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit des Vereins Frauenhauskoordinierung in Berlin, gegenüber KATAPULT. Um die 350 Frauenhäuser in Deutschland ist es auch im Normalzustand schlecht bestellt. Längst nicht alle Hilfesuchenden bekommen einen Platz.

Dabei hat der Europarat bereits 2006 in einer Empfehlung einen Frauenhausplatz pro 7.500 Einwohner – Männer, Frauen und Kinder – als angemessen bezeichnet. Bei insgesamt 6.800 Plätzen kommt die Bundesrepublik derzeit gerade mal auf eine Quote von 1:12.000. 2017 ratifizierte Deutschland die sogenannte Istanbul-Konvention des Europarats, nach der es pro 10.000 Einwohner einen sogenannten Family Place geben soll. Demnach müsste es in Deutschland eigentlich 21.400 Plätze geben. Das Problem ist die Finanzierung. Es ist nicht einheitlich geregelt, inwieweit die Häuser vom Staat unterstützt werden. Manche verfügen über Eigenmittel oder bekommen kommunale Zuschüsse. Allerdings muss jede zehnte Frau selbst für ihren Aufenthalt zahlen – dabei ist jede fünfte Bewohnerin nicht erwerbstätig. Ein Aufenthalt kann so die prekäre Situation der Frauen zusätzlich verschlechtern.

In Frauenhäusern befinden sich vermehrt Frauen, deren finanzielle Situation besonders eingeschränkt ist. Das belegt die Statistik des Vereins Frauenhauskoordinierung, der seit 1999 Daten darüber erhebt. Für das Jahr 2018 lagen Zahlen von 7.172 Frauen aus 180 unterschiedlichen Frauenhäusern vor. Demnach sind die Bewohnerinnen zum Großteil zwischen 20 und 40 Jahre alt und blieben in der Hälfte der Fälle kürzer als einen Monat im Haus. Der Anteil der Bewohnerinnen, die nicht in Deutschland geboren wurden beziehungsweise nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben, steigt. Schulbildung und berufliche Qualifikation sind in der Regel gering, verglichen mit der weiblichen Allgemeinbevölkerung. Auch dadurch sind sie armutsgefährdet. Menschen mit höherem Einkommen könnten sich eher Alternativen zum Frauenhaus suchen, so die Autorinnen der Statistik.

Die Schutzsuchenden sind also Frauen, die es gesellschaftlich sowieso schon schwer haben. Ein Aufenthalt im Frauenhaus kann die Lage gleichzeitig verschlechtern. Wer beispielsweise keinen Aufenthaltsstatus hat, bekommt ohne die notwendigen Papiere im Anschluss nicht direkt eine neue Wohnung. Auch das haben die Bewohnerinnen der Erhebung zufolge rückgemeldet. Deswegen kann sich der Aufenthalt im Frauenhaus verlängern, wenn es keinen Ort gibt, an den die Betroffene zurückkehren kann, ohne damit ihre psychische oder seelische Gesundheit zu gefährden.

Um einen besseren Schutz für betroffene Frauen zu gewährleisten, fordern Politikerinnen und Politiker von SPD und den Grünen einen Rechtsanspruch auf einen Frauenhausplatz und finanzielle Unterstützung. Damit wären diese Einrichtungen keine freiwillige Leistung der Kommunen mehr, sondern rechtlich bindend, und der Bund würde Länder und Kommunen entlasten. Doch davon, dass jeder Frau per Gesetz ein Platz in einer Schutzeinrichtung zusteht, ist Deutschland momentan noch weit entfernt. Um die Situation zu verbessern, will die Bundesregierung in diesem Jahr 30 Millionen Euro in Einrichtungen für von Gewalt betroffene Frauen investieren und diese damit aus-, um- oder neuzubauen oder zu sanieren.

Oberthür vom Verein Frauenhauskoordinierung betont, dass das derzeitige Gebot des Daheimbleibens ein verstärkender Faktor, kein ursächlicher ist: “Häusliche Gewalt ist und war in Deutschland auch vor der Corona-Pandemie ein großes und in allen Gesellschaftsteilen verbreitetes Problem.” Zur Sorge über einen Anstieg der Gewalt kommt die Angst vor der Schließung der Frauenhäuser durch Krankheitsfälle. Zwar betreffe das bisher kein Haus in Deutschland, aber es sei nicht absehbar, wie viele langfristig offen bleiben können. Dass die Häuser mitten in der Krise neue Bewohnerinnen aufnehmen können, sei zudem mehr als unwahrscheinlich. Im Gegenteil: Durch die Einhaltung von Hygienevorschriften können weniger Hilfsbedürftige aufgenommen werden. Schließlich müssen Frauenhäuser die Gesundheit ihrer Bewohnerinnen sicherstellen.

Sind Sie selbst oder eine Ihnen vertraute Person von häuslicher Gewalt betroffen? Hier können Sie anonym Kontakt aufnehmen:

Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen: 08000 116 016
Hilfetelefon Sexueller Missbrauch: 0800 22 55 530

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Footnotes

  1. Bundesamt für Justiz (Hg.): Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
 Art 2, auf: gesetze-im-internet.de (ohne Datum).
  2. Bundeskriminalamt (Hg.): Partnerschaftsgewalt. Kriminalstatistische Auswertung – Berichtsjahr 2018, Wiesbaden 2019, S. 4.
  3. Ebd., S. 24.
  4. Ebd., S. 6.
  5. Wanqing, Zhang: Domestic Violence Cases Surge During COVID-19 Epidemic, auf: sixthtone.com (2.3.2020).
  6. World Health Organization (Hg.): COVID-19 and violence against women, auf: who.int (7.4.2020).
  7. Mail vom 2. April 2020.
  8. Europarat (Hg.): Blueprint of the Council of Europe Campaign to Combat Violence against Women, including Domestic Violence, o. O. 2016, auf: coe.int.

  9. Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (Hg.): Die Istanbul Konvention, auf: autonome-frauenhaeuser-zif.de (ohne Datum).

  10. Deutscher Bundestag (Hg.): Frauenhäuser in Deutschland, auf: bundestag.de (27.5.2019).
  11. Ebd., S. 9.
  12. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Bundesinvestitionsprogramm „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“, auf: bmfsfj.de (28.2.2020), S. 5.
    [13 ] Hecht, Patricia: „Es wird dramatisch“, auf: taz.de (19.3.2020).

Authors

Juli Katz
ist seit 2019 Redakteurin bei KATAPULT und vor allem für die Berichterstattung über sozialpolitische Themen zuständig.

Zu ihren journalistischen Schwerpunkten zählen Kultur- und Arbeitsthemen.

Ehemalige Praktikantin bei KATAPULT.

War 2020 Praktikantin bei KATAPULT.

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