Veranstaltungsbranche während der Pandemie
„So ein bisschen Weltuntergangsstimmung” – Interview mit Bookingagent Artur Kasper
Von Julius Gabele und Veliko Kardziev
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KATAPULT: Hallo Artur und willkommen beim Interview. Die Pandemie hat die Veranstaltungsbranche ordentlich zerlegt. Du arbeitest bei „Der Bomber der Herzen”, einer der bekanntesten Konzertagenturen Deutschlands. Ihr organisiert Touren für größere deutschsprachige Acts wie Bilderbuch, RIN, Haiyti und Celo & Abdi, aber auch internationale Künstler*innen wie Macklemore und Raury. Haiyti hat dich auf Social Media mal als den „besten Booker der Welt” bezeichnet, aber was ist eigentlich genau dein Job?
ARTUR KASPER: Vielen Dank für das Interview. Ich weiß nicht genau, wann Haiyti das so formuliert hat, aber wenn, dann freuts mich. Als Bookingagent vertrete ich Künstler:innen im Bereich „Live”. Das heißt, ich bin für die Vorbereitung der Touren und die Deals mit Veranstalter:innen verantwortlich. Ich bringe meine Künstler:innen auf Festivals und verhandle Gagen und Slots – alles, was eben so dazu gehört.
KATAPULT: Ich hab im Kopf, dass du letztes Jahr auf Twitter mal geschrieben hast „Morgen wieder ne Tour verschieben – gar kein Bock”. Ich habs jetzt nicht mehr gefunden und vielleicht erinnere ich mich da einfach falsch, aber wie muss ich mir deinen Job in den ersten Monaten nach Beginn der Pandemie vorstellen?
ARTUR: So ein bisschen Weltuntergangsstimmung war auf jeden Fall dabei. Die ganzen Tourneen, die für Frühjahr 2020 geplant waren, mussten wir dann auf einmal in den Herbst schieben – und dann vom Herbst ins Frühjahr, vom Frühjahr wieder in den Herbst. Also sehr viel Schieben und alle andere Agenturen haben ihre Touren gleichzeitig geschoben. Das heißt, das war ein Kampf um freie Termine. Damit hab ich mich in der Pandemie die meiste Zeit beschäftigt – viel Planspiel, ohne richtig zu wissen, ob das überhaupt stattfindet. Das ist jetzt so zum vierten Mal oder so. Mittlerweile ist man da ein bisschen abgestumpft und zieht einfach durch.
KATAPULT: Ich hab das Gefühl, dass vor allem die Touren großer internationaler Stars selbst während der höchsten Inzidenzzahlen in Europa nur immer so ein paar Monate nach hinten geschoben wurden, obwohl eigentlich allen schon klar war, dass diese Termine irgendwie komplett unrealistisch sind. Kennst du die Gründe dafür, dass die Auftritte nur für einen kurzen Zeitraum nach hinten geschoben wurden?
ARTUR: Ich glaube echt ganz naiv, die Hoffnung, dass irgendwie durch ein Wunder oder durch ein Wundermittel alles wieder normal wird. Und man will am Ende nicht der Idiot sein, der irgendwie als einziger ein halbes Jahr später tourt, während alle anderen schon wieder touren dürfen. Ich hab halt auch immer nur alles ein halbes Jahr nach hinten verschoben. Gleichzeitig hab ich aber schon ein anderes Routing fertiggemacht für ein weiteres halbes Jahr später als Back-up. Also man hat quasi zwei Mal verschoben, immer mit nem zweiten Back-up zu einem späteren Zeitpunkt in der Hinterhand.
KATAPULT: Für viele Künstler:innen sind Konzerte die wichtigste Einnahmequelle. Musstest du manchmal Überzeugungs- oder, ich sag mal „Beruhigungsarbeit” leisten, wenn du Künstler:innen mit schlechten Nachrichten angerufen hast oder ihnen mitteilen musstest, dass ihre Touren wieder verschoben werden müssen? Ich will jetzt nicht, dass du irgendwelche Namen nennst oder so, ich stell mir das einfach ziemlich emotional vor und kann die Sorgen und den Unmut der Artists da komplett nachvollziehen.
ARTUR: Man ist auch oft allgemein emotionale Stütze und Künstler:innen suchen dann auch eine Person, die irgendwie die Übersicht hat und sagen kann, wann es wieder losgeht. Nur ich wusste da leider auch nicht mehr als der Rest der Menschheit und konnte mich auch nur auf die aktuellsten Entwicklungen stützen. Ich konnte da nicht wirklich weiterhelfen. Aber klar, Sorgen und Nöte hatten wir alle, auch die Bookingagent:innen. Man ist da eh immer im Austausch mit den Künstler:innen – in guten und schlechten Zeiten.
KATAPULT: Du hast es ja grad schon angesprochen, aus der gesamten Veranstaltungsbranche gabs ja immer wieder Hilferufe nach staatlicher Unterstützung. Wie sah das bei euch aus? Gab es Hilfe? Kam die an?
ARTUR: Die größte Hilfe war die allgemeine Kurzarbeitsregelung. Ich bin auch immer noch in Kurzarbeit – auch wenn es jetzt wieder mehr zu tun gibt. Aber von so speziellen Hilfen hab ich nicht richtig was mitbekommen. Ich glaube auch, dass die Kulturbranche einfach auch nicht die Lobby hat wie jetzt Fußball oder die Automobilbranche, weswegen oft auch unterschätzt wird, wie groß der wirtschaftliche Anteil der Kulturbranche am Bruttoinlandsprodukt ist. Ich hab das Gefühl, diese Branche wird immer noch belächelt und nicht als „richtiger Job” angesehen.
KATAPULT: Welches Fazit ziehst du aus den ganzen Streaming-Events des letzten Jahres? Ist das ne Option, die man auch in Zukunft nutzen könnte, um mehr Leute zu erreichen, oder bleibt das eher eine Art Notlösung, um sowohl Künstler:innen als auch ihren Fans ein bisschen das Gefühl von Live-Konzerten zu geben?
ARTUR: Das war ne schöne Abwechslung in dieser Zeit, aber es nicht das gleiche. Für die Künstler:innen ist der Austausch mit dem Publikum wichtig. Das hab ich auch nochmal gemerkt, als wir jetzt wieder langsam mehr Open-Air-Veranstaltungen machen konnten. Das ist ein ganz anderes Gefühl. Man kann das natürlich auch koppeln und sagen, wir streamen und haben Publikum. Aber reine Streaming-Events würde ich in Zukunft eigentlich vermeiden, wenn es auch möglich ist, vor Publikum zu spielen. Das machts im Endeffekt aus, das ist die ganze Magie dahinter.
KATAPULT: Du hast es grad schon erwähnt, eure Künstler:innen hatten schon wieder die ersten Konzerte auf kleineren Festivals. Was sind die größten Veränderungen bei deiner Arbeit, wenn du sie mit der Zeit vor der Pandemie vergleichst? Wie sieht dein Arbeitstag heute aus?
ARTUR: Homeoffice ist immer noch Standard bei uns. Ansonsten muss ich mich jetzt wieder an das alte Tempo gewöhnen. Das Tempo ist jetzt schon fast wie vor der Pandemie, was Mails und Telefonate angeht. Aber die größten Unterschiede gibts bei den Shows selbst. Hier gelten ja meistens Abstandsregeln oder es sind Picknick-Konzerte. Da muss man dann schon zwischendurch auch eingreifen, falls die Leute in der Situation zu komfortabel werden, nach vorne gehen und anfangen zu moshpitten. Da muss man seinen Künstler:innen halt sagen, „ihr müsst da kurz ne Ansage machen, dass die Leute zurückgehen und kurz Spaßbremse spielen”, damit die Richtlinien weiter eingehalten werden und wir das Konzert nicht abbrechen müssen.
KATAPULT: Du bist neben deiner Arbeit als Booker das Gesicht des Youtube-Formats „Punchline Quiz”, bei dem du Rapper:innen Lines vorliest und die müssen dann Günther Jauch-mäßig erraten, von welcher Kollegin oder welchem Kollegen die Line gerappt wurde. Gerade während der Pandemie, wie wichtig sind dir solche Nebenprojekte?
ARTUR: Das ist ja eigentlich ein Relikt aus meiner Zeit im Musikjournalismus und ich hatte das Format eigentlich aufgegeben. Da kam eineinhalb Jahre nichts und Corona ist tatsächlich der einzige Grund, warum das Format wieder angelaufen ist. Das ist ein positiver Sideeffekt über den ich mich sehr freue und der mir auch finanziell hilft, die Zeit in dieser Kurzarbeitsphase zu überbrücken. Deswegen freut es mich auch, dass das wieder so gut angelaufen ist und so gut aufgenommen wird. Das macht mir immer noch sehr viel Spaß und ich hoffe, dass ich dafür auch in Zukunft weiterhin Zeit haben werden.
Autor:innen
Ehemaliger Redakteur bei KATAPULT. Er ist Chefredakteur von KATAPULT Kultur und für die Produktionsleitung des Magazins verantwortlich. Er hat Geographie an der Universität Augsburg und der Universitat de Barcelona studiert. Er ist zudem als freiberuflicher Fotograf tätig.