Ungewöhnlich: Trotz der Coronapandemie blieb die Zahl der Organspenden 2020 in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr konstant. 913 Verstorbene spendeten insgesamt 2.941 Organe. Damit waren es nur 19 Personen weniger als 2019. In Ländern wie den Niederlanden oder Großbritannien kam es besonders zu Beginn der Pandemie, in den Monaten März bis Mai, zwischenzeitlich zu einem Rückgang von bis zu 68 Prozent. In Frankreich waren es sogar über 90 Prozent. Zur gleichen Zeit stiegen in Deutschland die Spenden sogar um 11,5 Prozentpunkte. Wie gelang es Deutschland, dessen Organspendezahlen im europäischen Vergleich seit Jahren eher niedrig sind, während der Pandemie trotzdem so gut abzuschneiden?  Das Coronavirus hat die Politik und Krankenhäuser vor immer neue Herausforderungen gestellt, etwa: Wie können alltägliche medizinische Leistungen auch für nicht-Covid-infizierte Patient:innen sicher durchgeführt werden? Operationen für Menschen, die dringend ein lebensnotwendiges Organ brauchen, lassen sich nicht einfach aufschieben. Aus Sorge vor einer Überlastung des Krankenhauspersonals und der Intensivbetten, aber auch einfach aufgrund von Unwissenheit über die Ansteckungsgefahr bei Transplantationspatient:innen wurden weltweit zunächst viele Operationen ausgesetzt. Denn die bei dem Verfahren eingesetzten Medikamente schwächen das Immunsystem, weshalb ein höheres Infektionsrisiko vermutet wurde.  Grafik herunterladen Organspende? Jein! Mit der Nutzung von PCR-Tests stieg im Frühsommer 2020 in Europa die Zahl der Transplantationen wieder. Deutschland konnte mit Blick auf die anfänglichen Entwicklungen in Italien und mithilfe des Erfahrungsaustauschs mit Ärzt:innen weltweit frühzeitig Vorkehrungen treffen. Im März 2020 wurde beispielsweise ein digitales Intensivregister eingerichtet, in das Krankenhäuser ihre Behandlungskapazitäten eintragen müssen. Die Koordinierung der einzelnen Stellen zeigte, dass medizinisch begrenzte Ressourcen wie Intensivbetten effektiver ausgelastet und Organtransplantationen unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen weiterhin durchgeführt werden konnten. Dadurch stieg die Zahl der Transplantationen in den ersten Monaten des letzten Jahres sogar. Nun zeigen auch Studien, dass das Immunsystem transplantierter Patient:innen ausreichend stark bleibt und kein erhöhtes Infektionsrisiko besteht.  Trotz der Erfolgsmeldungen ist klar: Die 2.941 im letzten Jahr gespendeten Organe reichen bei Weitem nicht für die 9.192 Menschen, die Anfang dieses Jahres in Deutschland auf der Warteliste für Niere, Lunge, Herz, Leber, Darm oder Bauchspeicheldrüse standen. Dieses Defizit ist kein neues Phänomen, stattdessen gibt es sogar einen fast stetigen Rückgang von Organtransplantationen. Fehlt es am Interesse der Deutschen? Jein. Schon seit Jahren stehen die Menschen hierzulande der Organspende positiv gegenüber. Eine endgültige Entscheidung darüber, ob sie ihre eigenen Organe spenden würden oder nicht, haben einer repräsentativen Umfrage zufolge aber nur 62 Prozent getroffen. Noch weniger haben das auch in einem Organspendeausweis oder einer Patientenverfügung schriftlich festgehalten. Bei Verstorbenen, die 2019 für eine Organspende infrage gekommen wären, hatte dies nicht einmal jeder Sechste. Noch ernüchternder sind die Daten einer Studie der Universitätsklinik Essen: Gerade einmal knapp ein Prozent der 2.044 unfallchirurgischen Patient:innen, die dort zwischen Februar 2017 und März 2019 behandelt wurden, besaßen einen Organspendeausweis. Einen Entschluss zu fassen und diesen zu dokumentieren, ist aber entscheidend, damit ein Organ überhaupt gespendet werden kann.  Grafik herunterladen Ausland spendet, Deutschland profitiert In Deutschland gilt derzeit noch eine Form der sogenannten Zustimmungsregelung. Ein Organ kann nur mit der persönlichen Einwilligung oder der eines Angehörigen nach dem Tod entnommen werden. Im Eurotransplant-Verbund, einer europaweiten Vermittlungsstelle von Spenderorganen, ist Deutschland damit das einzige der acht beteiligten Länder ohne Widerspruchsregelung. In Belgien, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich, Ungarn, Slowenien und Kroatien ist jede:r grundsätzlich Organspender:in, solange er oder sie dem nicht widerspricht. Davon profitiert vor allem Deutschland: Insgesamt 538 Organe wurden 2019 aus dem Ausland importiert, aber nur 335 exportiert. Es gibt Länder, in denen die Spendenbereitschaft besonders hoch ist: In Belgien etwa kamen 2019 auf eine Million Einwohner:innen 30,3 Spenden von Verstorbenen, in Spanien (ebenfalls Widerspruchsregelung) waren es sogar 49. Mit 11,2 Spenden übersteigt Deutschland so gerade noch die kritische Marke von zehn, die als inoffizielle Richtlinie für ein funktionierendes Organspendesystem gilt. Ob die Einführung einer Widerspruchsregelung das Spendenaufkommen vergrößern würde, ist umstritten. Schließlich liegen die Raten etwa in den Niederlanden mit 14,9 Spenden je eine Million Menschen und Luxemburg mit 11,7 (im Jahr 2018) nicht deutlich höher. Dennoch bleibt die Hoffnung, dass eine solche Regelung die Zahl der Organspenden in Deutschland erhöht. Grafik herunterladen Bitte vor dem Sterben rechtzeitig Bescheid geben Deshalb stimmte der Bundestag im Januar 2020 über die Einführung der Widerspruchsregelung ab. Doch es blieb bei dem Gesetzentwurf, denn dessen Kritiker sahen das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen gefährdet. Allerdings wurde die bestehende Zustimmungslösung um ein bundesweites Onlineregister erweitert. Ab März 2022 sollen Ärzt:innen so einen unmittelbaren Zugriff auf die Organspendeentscheidung verstorbener Patient:innen haben – sofern eine solche Entscheidung vorliegt. Zudem soll in Bürgerämtern Informationsmaterial bereitliegen, sollen Fahrschulen das Thema in der Führerscheinausbildung behandeln und Hausärzt:innen mehr beraten, um die Bevölkerung stärker für das Thema zu sensibilisieren.

Für diese Aufklärungsarbeit ist die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zuständig, der jedoch trotz erhöhten Arbeitsaufwands nicht mehr Mittel zugesagt wurden. Auch das neue Onlineregister wurde kritisiert: Transplantations- und Intensivmediziner:innen beklagen, dass die Einsicht nur nach und nicht vor der Feststellung des Hirntodes eines Patienten möglich sein soll. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO), die deutschlandweit die Organspenden koordiniert, befürchtet, dass dies zu weniger Organspenden führt. Denn um anderen Organe spenden zu können, müssen diese weiterhin am Leben gehalten werden. Diese medizinische Vorgehensweise kann aber nur gewählt werden, wenn der Patientenwille so früh wie möglich bekannt ist. Der Bundesrat hat nun eine Änderung des Gesetzentwurfs angekündigt. Damit sollen Ärzt:innen bereits bei der Vermutung eines Hirnfunktionsausfalls Einsicht in das Onlineregister bekommen. Die Feststellung des Hirntodes ist die wichtigste Voraussetzung, um eine Organtransplantation in Deutschland durchzuführen. Denn der unumkehrbare Ausfall der Hirnfunktion gilt als sicheres Todeszeichen. Der Hirntod muss durch zwei voneinander unabhängige Ärzt:innen diagnostiziert werden, die verschiedene, zeitlich versetzte Reflextests beim Patienten vornehmen. Beide sind vom späteren Transplantationsverlauf ausgeschlossen. Damit weitere Schritte eingeleitet und das Organ transplantiert werden kann, muss der Fall an die DSO weitergeleitet werden. Diese prüft dann, ob eine Zustimmung zur Spende vorliegt. Diese Erkennungs- und Meldepflicht schien bislang in vielen, besonders in kleineren Krankenhäusern vernachlässigt worden zu sein – denn Organspenden sind dort ein eher seltener Vorgang. So wurde in 937 dieser 1.091 Krankenhäuser ohne Neurochirurgie 2019 keine einzige Organspende durchgeführt. Eine Todesfallanalyse der DSO aus demselben Jahr verdeutlicht, dass 1.027 zusätzliche Patient:innen Organe hätten spenden können. Deutschland wäre so auf 23,6 Spender pro eine Million Einwohner gekommen. Grafik herunterladen Zehn Jahre Wartezeit Um mehr Transparenz beim Meldeverfahren möglicher Spenden zu schaffen und die Zusammenarbeit zwischen Entnahmekrankenhäusern und der DSO zu stärken, wurde 2019 das Transplantationsgesetz reformiert. Seitdem werden Krankenhäuser und Ärzt:innen, die Transplantationsbeauftragte sind, für jede Organtransplantation vergütet. Zu den Aufgaben von Transplantationsbeauftragten zählt es, mögliche Organspender:innen zu erkennen und den Transplantationsverlauf zwischen Ärzt:innen, Entnahmekrankenhäusern und der DSO zu koordinieren. Diese werden mit der Gesetzesreform dafür von ihrem eigentlichen Job freigestellt. So nahm innerhalb eines Jahres die Zahl der Kontaktaufnahmen zur DSO um 2,5 Prozent zu. Auch die Nachfrage nach Organspendeausweisen stieg laut BZgA in den ersten drei Monaten des Jahres 2020 auf mehr als 2,4 Millionen; 2017 waren es im gleichen Zeitraum gerade einmal 500.000. Doch dann brachen die Zahlen wieder ein. Der durch die politische Debatte ausgelöste Enthusiasmus wurde von der Pandemie erstickt. Ein Organmangel besteht aber weiterhin. Er führt dazu, dass jedes Jahr über eintausend Menschen von der Warteliste gestrichen werden, weil sie entweder wegen ihres Gesundheitszustands nicht mehr für eine Transplantation infrage kommen – oder gestorben sind. Grob überschlagen betrifft das eine von vier bis fünf Personen. Für die restlichen Wartenden dauert es im Schnitt acht bis zehn Jahre, bis überhaupt ein passendes Organ zur Verfügung steht. In den Niederlanden sind es durchschnittlich zwei Jahre. Mit jedem verstrichenen Jahr verschlechtert sich aber auch der Zustand des oder der Patient:in und so auch die Wahrscheinlichkeit, zu überleben.

Dich zu Lebzeiten für oder gegen eine Organspende zu entscheiden, ist sinnvoll, auch damit Angehörige nicht mit dieser Entscheidung belastet werden. Sprich mit ihnen darüber und/oder vermerke deine Entscheidung im Organspendeausweis – dort kannst du der Organentnahme gegebenenfalls auch widersprechen. Einen Organspendeausweis erhältst du online auf www.organspende-info.de, www.bzga.de oder www.dso.de sowie telefonisch unter 0800/90 40 400. Aktuelle Ausgabe KATAPULT ist gemeinnützig und unabhängig. Wir finanzieren uns durch Spenden und Abos. Unterstütze unsere Arbeit und abonniere das Magazin gedruckt oder als E-Paper ab 19,90 Euro im Jahr! KATAPULT abonnieren