Das war lange anders. Besonders in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg litt die Gesellschaft unter dem – vor allem männlichen – Alkoholkonsum. Die Folgen waren gravierend: 1984 lag die Lebenserwartung der russischen Männer bei knapp 62 Jahren, Deutsche wurden neun Jahre älter. 1985 verlor die Sowjetunion fast ein Drittel der gesamten Ernte – weil die Landarbeiter sich lieber betranken. Im selben Jahr zog Michail Gorbatschow, Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei, die Notbremse. Mit einer umfassenden Anti-Alkohol-Kampagne rettete er laut Weltgesundheitsorganisation bis zu 1,6 Millionen Menschen das Leben. Doch seine Gesetze waren streng: Alkohol wurde rationiert und nur zwischen 11 und 19 Uhr verkauft, Betrunkene mit Haft- oder hohen Geldstrafen belegt, Brauereien und Schnapsbrennereien geschlossen und sogar Rebstöcke auf einer Fläche halb so groß wie das Saarland zerstört. Bücher und Lieder wurden umgeschrieben, Szenen mit Alkoholbezug aus Theaterproduktionen und Filmen herausgeschnitten. Gorbatschow meinte es richtig ernst. Schnell hatte er deshalb seine Spottnamen weg. Die besten: Mineralsekretär und Limonaden-Joe – nach einem Cowboy aus einer tschechischen Westernparodie, der ein Dorf voller Whiskytrinker von einem Softdrink namens Kolaloka überzeugt. Aktuelle Ausgabe Dieser Text erschien in der 16. Ausgabe von KATAPULT. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 19,90 Euro im Jahr. KATAPULT abonnieren