Im Frühjahr 2019 wurde der Jura-Professor Xu Zhangrun von der renommierten Pekinger Tsinghua Universität mit einem Lehrverbot belegt, von seinen akademischen Pflichten entbunden und einer Untersuchung unterzogen. Sein Vergehen: Er hatte eine Reihe von Essays veröffentlicht, die sich mit der Politik von Staatsoberhaupt Xi Jinping beschäftigten. Unter anderem kritisierte der Jurist einen zunehmenden Personenkult und die Abschaffung der Amtszeitbegrenzung für den Präsidenten. Solche Maßnahmen betreffen nicht nur Liberale wie Xu – selbst eher regierungsnahe Forscher müssen in China mit Zensur und Repressalien rechnen, wenn sie sensible Themen anpacken. Seit Xi Jinping 2012 die Macht übernommen hat, werden Zivilgesellschaft, Medien und Universitäten immer strenger kontrolliert, gewisse Themen sind in Forschung und Lehre tabuisiert. Unliebsame Publikationen verschwinden von Lehrplänen und aus Buchläden, internationale Wissenschaftsverlage werden dazu gedrängt, kritische Aufsätze zu zensieren. Führen einflussreiche Hochschulrankings in die Irre? Viele chinesische Wissenschaftler sind brillant – aber wie exzellent kann eine Universität wirklich sein, in der Zensur, Überwachung und Denkverbote Alltag sind? Diese Frage wirft der neue Academic Freedom Index (AFi) auf. Kein einziges der einflussreichen globalen Hochschulrankings ziehe den Aspekt der Wissenschaftsfreiheit in Betracht. „Damit führen sie wichtige Akteure in die Irre und ermöglichen es repressiven Staats- und Hochschulbehörden, die akademische Freiheit einzuschränken, ohne einen Reputationsverlust zu erleiden“, so die Kritik der Autoren. Der AFi ist eine Zusammenarbeit von Forschern der Berliner Denkfabrik Global Public Policy Institute, der Universität Erlangen-Nürnberg, der Menschenrechtsorganisation Scholars at Risk und des Göteborger V-Dem Instituts. Er basiert auf den Einschätzungen von 1.810 Experten. Indikatoren sind: die Freiheit zu forschen und zu lehren, die Freiheit des akademischen Austauschs und der Veröffentlichung, die institutionelle Autonomie der Forschungseinrichtungen, die Integrität des Campus (gemeint ist die Abwesenheit von Überwachung und Einschüchterung) sowie die Freiheit der akademischen und kulturellen Meinungsäußerung. Grafik herunterladen »Intellektuelle sollen der Partei dienen« In zehn Staaten hat sich laut ihren Daten die Freiheit der Wissenschaft in den letzten fünf Jahren deutlich verschlechtert, darunter Brasilien, Pakistan, die Türkei und Indien. In fünf habe sich die Lage im selben Zeitraum signifikant verbessert, darunter Armenien, Äthiopien, Gambia und Sri Lanka. Blickt man noch etwas weiter zurück, lässt sich anhand der Daten beobachten, wie sich die Situation für Forscher in Hongkong in den letzten Jahren stetig verschlechterte. Auch das Schwinden akademischer Freiheiten in China seit 2009 wird offensichtlich. Bedenklich ist die Entwicklung auch in einem europäischen Land: Ungarn, wo Ministerpräsident Viktor Orbán unlängst eine gesamte Universität ins Wiener Exil drängte. Doch nicht nur von autoritären Politikern und ihren Sicherheitsdiensten geht Gefahr aus. Auch die Kommerzialisierung der Universitäten kann ihre institutionelle Autonomie und somit auch die Freiheit zu forschen und zu lehren gefährden. In China ließ das Regime Ende 2019 das Bekenntnis zur Gedankenfreiheit aus der Charta der angesehenen Fudan-Universität in Shanghai streichen. Stattdessen wurden Passagen ergänzt, die die Treue der Universität zur Kommunistischen Partei beschwören. „Intellektuelle sollen der Partei dienen. Das war schon immer die Regel“, kritisierte Peidong Sun, eine Soziologin an der Hochschule. Studenten wehrten sich gegen das Vorgehen des Bildungsministeriums und protestierten, indem sie die Hymne der Uni sangen, in der von „akademischer Unabhängigkeit und Gedankenfreiheit“ die Rede ist. Videos der Aktion verbreiteten sich rasant im Netz. Dann griffen die Zensoren ein. Aktuelle Ausgabe KATAPULT ist gemeinnützig und unabhängig. Wir finanzieren uns durch Spenden und Abonnements. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 19,90 Euro im Jahr. KATAPULT abonnieren