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Clickbait-Experiment

Wer klickt Zschäpes Brüste?

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Hohe Klickraten werden im Netz oft durch aktuelle, extreme oder sexistische Nachrichten erreicht. Vor zwei Tagen hat KATAPULT diese drei Merkmale in eine gefälschte Nachricht einfließen lassen und beobachtet, welche Leser auf eine solche Veröffentlichung reagieren.

Besonders geeignet für das Experiment schien Beate Zschäpe zu sein. Sie ist die Hauptangeklagte im NSU-Prozess (Aktualität), wurde wegen zehnfachen Mordes angeklagt (Rechtsextremismus) und hat offensichtlich Brüste (Sexismus).

Die Überschrift »Skandal: Beate Zschäpe zeigt Brüste im Gerichtssaal« rief Abneigung und zugleich Neugier hervor. Wer die Nachricht anklickte, dachte, ein Video sehen zu können, das Zschäpes Brüste zeigt. Ankündigungen solcher Art, sogenannte Clickbaits, werden mit einer hohen Wahrscheinlichkeit angeklickt. Viele deutsche Medien haben sich deshalb erfolgreich auf diese gewinnbringende Art des Klickfangs spezialisiert.

Normalerweise veröffentlicht KATAPULT Artikel zu wissenschaftlichen Studien und Statistiken. Die Klickraten sind in diesem Bereich vergleichsweise niedrig und können nur durch gute Grafiken auf ein mittleres Niveau gehoben werden.

Inwieweit unterscheiden sich die mäßigen Ergebnisse der Wissenschaftsartikel von jener Veröffentlichung, die auf niedere Instinkte abzielte? Die Antwort lautet: fünf. Der Zschäpe-Artikel wurde pro Einblendung auf Facebook etwa fünfmal häufiger geklickt als ein herkömmlicher Beitrag von KATAPULT.

Bei diesem Experiment wurde lediglich das Facebookverhalten analysiert, weil KATAPULT dort eine größere Anzahl von potenziellen Lesern erreichen kann. Das macht das Experiment repräsentativ.

Die »Gefällt-mir«-, »Teilen«- und Kommentarfunktion unter dem Beitrag blieb weitestgehend ungenutzt. Die Klickrate pro Einblendung war jedoch außerordentlich. Bei 9.000 Einblendungen wurde etwa 3.000 mal auf den Link geklickt (33,3 Prozent). Das ist eine bisher unerreichte Quote. KATAPULTs bisher stärkster Facebookpost »Apple so stark wie Holland« hatte eine Quote von 1.200 Klicks auf 16.300 Einblendungen (7,3 Prozent). Viele andere Veröffentlichungen hatten eine deutlich geringere Reichweite.

Zielgruppenanalyse

Anhänger der NPD oder die der Katholischen Kirche - wer war für die falsche Nachricht besonders empfänglich? Neben der oben erklärten Auswertung wurde auch eine Zielgruppenanalyse vorgenommen. Dafür wurde der Beitrag von Beate Zschäpe mit der jeweils gleichen Summe von 13 Euro bei genau den Facebooknutzern beworben, denen die NPD, FAZ, Bild, Katholische Kirche oder die Netzfrauen »gefällt«.

Facebook arbeitet mit einem Algorithmus, der den beworbenen Post häufiger in den Timelines der jeweiligen Zielgruppe anzeigt, je öfter dieser angeklickt wurde. Das bedeutet: Je häufiger eine Zielgruppe klickt, desto mehr wird die Werbeanzeige pro ausgegebenen Euro ausgeliefert.

Das Ergebnis ist auf den ersten Blick wenig überraschend: Die höchste Reichweite und auch Klickquote wurde bei den Sympathisanten der Bild-Zeitung erzielt. Für die Bildleser ist das wenig erstaunlich. Sie lesen die Bild genau deshalb, weil sie auf der Suche nach solchen Nachrichten sind.

Überraschender ist jedoch, dass Platz zwei, drei und vier gar nicht so weit entfernt sind. Die Anhänger der Katholischen Kirche, der NPD und die Leser der FAZ haben aus der Sicht eines Werbetreibenden sehr gute Ergebnisse erzielt. Abgeschlagen auf dem letzten Platz sind die Netzfrauen mit nur 3.000 erreichten Personen – wahrscheinlich Off-Topic oder einfach Desinteresse. Ob Kirche oder Bild, für alle Zielgruppen liegen sehr hohe Reaktionsquoten vor.

Die Anzeige wurde in allen Zielgruppen deutlich mehr von Männern geklickt als von Frauen und sie hat größeres Interesse bei Nutzern über 40 Jahren erzielt, als bei den unter 18-jährigen.

Katapult-magazin.de hatte an einem Tag so viele Besucher wie sonst in einer Woche. Das ist normal. Jeder Mensch folgt niederen Instinkten und das wird auch so bleiben. Das Internet bietet den perfekten Raum, um sie zu bedienen.

KATAPULT möchte genau das Gegenteil machen - das, was deutlich seltener im Netz zu finden und aufwendiger ist: Wissenschaft, Statistik und gute Karten. Unterstützen Sie uns gerne dabei – in welcher Form auch immer.

Edit: 01.12.2015 - 15:26 Uhr

Eine Antwort auf die vielen Nachrichten, Mails, Tweets, Kommentare und Artikel: Ja, einige haben (auch) auf die Nachricht geklickt, weil Sie sich über den Verlauf des Prozesses informieren wollten oder den Skandal an sich oder einfach wissen wollten, ob unser Server von KATAPULT gehackt wurde. Im Artikel wurde diese Interpretation durch das Wort »Neugier« wahrscheinlich etwas ungenau dargestellt.

Autor:innen

Der Herausgeber von KATAPULT und Chefredakteur von KATAPULTU ist einsprachig in Wusterhusen bei Lubmin in der Nähe von Spandowerhagen aufgewachsen, studierte Politikwissenschaft und gründete während seines Studiums das KATAPULT-Magazin.

Aktuell pausiert er erfolgreich eine Promotion im Bereich der Politischen Theorie zum Thema »Die Theorie der radikalen Demokratie und die Potentiale ihrer Instrumentalisierung durch Rechtspopulisten«.

Veröffentlichungen:
Die Redaktion (Roman)

Pressebilder:

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