Vor ein paar Jahrzehnten waren sich Experten sicher – Papier braucht bald kein Mensch mehr. Warum? Die E-Mail ersetzt den Brief, alles (wirklich alles!) wird sich ins Internet verlagern und die Post muss bald dichtmachen. Die Experten irrten. Papier ist gefragt wie nie zuvor. Es werden zwar weniger Briefe verschickt, durch den Onlineversandhandel dafür aber umso mehr Pakete. Was noch? Klopapier. Die Weltbevölkerung wächst, deshalb muss mehr Klopapier produziert werden. Papier wird knapp und der Wald kommt an seine Grenzen. Gibt es Alternativen? Einige. Für ein Kilogramm Papier werden durchschnittlich 2,2 Kilogramm Holz benötigt. In dieser KATAPULT-Ausgabe stecken demnach circa 700 Gramm Holz je Heft. Für Papier werden oft Eukalyptusbäume verwendet, weil sie schnell wachsen. Ein Eukalyptusbaum reicht aus, um 4.664 KATAPULT-Hefte zu produzieren. Derzeit druckt KATAPULT eine Auflage von 55.000 Exemplaren. Dafür müssen zwölf Bäume gefällt werden. Würden Fichten zur Papierherstellung genommen, wäre die Rechnung noch schlechter. In dem Fall würden 26 Fichten gefällt, denn Fichtenholz hat eine geringere Dichte. Um den negativen Effekten entgegenzuwirken, zahlt KATAPULT einen Ausgleich, auch Klimaneutralitätszertifikat genannt. Mit diesem Geld werden etwa so viele Bäume gepflanzt, wie durch die Heftproduktion gefällt wurden. Wo genau? In unserem Fall in den Alpen und in Peru. Das ist erst mal besser als nichts. Ob solche Konzepte aber funktionieren und wirklich das ausgleichen, was zerstört wird, ist nicht hundertprozentig gesichert. Auch für KATAPULT nicht. Was also machen? Papier lässt sich bis zu siebenmal recyceln Im Kreislauf des Recyclingpapiers kann nicht komplett auf Bäume verzichtet werden, aber es werden deutlich weniger Bäume gefällt. Was hindert Verleger daran, es zu nutzen? Angst vor geringerer Qualität und höheren Kosten. Recyclingpapier sieht aus wie Klopapier, denken selbst viele Verleger. Stimmt aber nicht. Es sieht fast aus wie weißes Papier und kommt dem Weiß des unrecycelten Papiers sehr nahe. Nicht mal der Preis unterscheidet sich. Nur wenn das Recyclingpapier komplett weiß sein soll, wird es teurer, weil das Entfernen aller Farbpartikel aufwendiger ist, als neue Bäume zu fällen. Die Zeitungsherstellung ist in Deutschland bereits zu 100 Prozent auf Recyclingpapier umgestiegen. Büropapier besteht zumindest zu einem Drittel aus Altpapier, aber Magazine und Medikamentenverpackungen haben sich in diesem Punkt kaum entwickelt. Die wenigsten Magazine nutzen Recyclingpapier. KATAPULT wird aber ab der kommenden Ausgabe auf Recyclingpapier gedruckt – unser Drucker hat nicht mal den Preis dafür erhöht. Papier kann bis zu siebenmal wiederverwendet werden. Wie geht das eigentlich? Zuerst wird das Papier in Wasser eingeweicht. Die Fasern lösen sich und ein Papierbrei entsteht. Die Druckfarben werden anschließend mit Natronlauge und Seife entfernt. Der Papierbrei kommt auf ein Sieb, sodass das Wasser abfließt und sich die Fasern neu verbinden. Walzen pressen daraus Papierbahnen. Je öfter die Papierfasern diesen Prozess durchlaufen, desto kürzer werden sie. Sie verbinden sich irgendwann nicht mehr. Deshalb werden bei jedem Recyclingvorgang frische Fasern beigemischt. Grafik herunterladen Nach Schätzungen des Umweltbundesamtes spart man bei einem Kilo recyceltem Toilettenpapier 50 Prozent Energie und 33 Prozent Wasser im Vergleich zu einem Kilo Toilettenpapier aus reinen Frischfasern. Die Schweiz ist im Bereich der Papierrecyclingquote deutlich weiter als ihre Nachbarländer. Erstaunliche 96 Prozent der Schweizer Papierproduktion bestehen aus Recyclingpapier. Österreich kommt auf nur 46 Prozent und Finnland hat kaum damit angefangen: sechs Prozent. Noch nicht wirklich auf dem Markt erhältlich ist Graspapier. Bereits im 17. Jahrhundert suchten Naturwissenschaftler nach Wegen, Papier aus Stroh, Blättern, Brennnesseln, Moos oder Disteln herzustellen. Funktioniert leider noch nicht zu 100 Prozent, aber zu 40. Derzeit gehandeltes Graspapier besteht zu 40 bis 50 Prozent aus Heu und zum anderen Teil aus herkömmlichen Holzfasern. Der Vorteil von Gras: Es wächst schneller als ein Baum und aufgrund der chemischen Zusammensetzung sind bei der Weiterverarbeitung zu Papier weniger Chemikalien notwendig. Die Produktion von einer Tonne Graspapier verbraucht nur zwei Liter Wasser, die Produktion einer Tonne Frischfaserpapier aus Holz hingegen 6.000 Liter. Die Graspapierproduktion spart bis zu 75 Prozent an CO2-Emissionen im Vergleich zu Papier aus Holz ein. Heute gibt es bereits einige Lebensmittelverpackungen für Obst, Gemüse und Eier, die das Papier nutzen. Die Produzenten werben damit, dass das Graspapier sogar kompostiert werden kann. Den Sprung in den Druckmarkt hat die Technik aber leider so gut wie gar nicht geschafft. Flyerdrucker bieten es zwar mittlerweile an, aber Druckereien für Magazine lassen sich selten darauf ein. Wie umweltfreundlich sind andere deutsche Magazine? Wenn schon kein Graspapier, ist es dann wenigstens möglich, den Wald schonend zu bewirtschaften? Einige Zertifikate geben das genau so an. Viele deutsche Magazine können das FSC-Zertifikat vorweisen, ein Gütesiegel des Bonner Forest Stewardship Council. Dieses ist allerdings ziemlich schwach. Es wirbt zwar damit, einen nachhaltigen Umgang mit dem Wald zu sichern. Journalisten haben aber nachgewiesen, dass das Zertifikat kaum hält, was es verspricht. Pierre Ibisch von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde meint, dass das FSC-Zeichen die ökologische Waldwirtschaft nicht fördere, weil es auch Unternehmen nutzen dürften, die Urwald roden. Grafik herunterladen Auch Umweltschützer kritisieren, dass die Regelungen des FSC dem Ökosystem Wald schaden. FSC unterstützt beispielsweise die Pflanzung von monokulturellen Eukalyptusplantagen. Aber nur eine Baumart zu pflanzen, ist schädlich für den Wald, weil das die Artenvielfalt verringert. Der Eukalyptusbaum belastet zudem den Boden stärker als andere Baumarten. FSC hat demnach wenig bis keine Auswirkungen auf den Waldschutz. Ibisch hat in Russland zwei Kahlschlagsregionen miteinander verglichen, eine mit FSC-Siegel, eine ohne. Ergebnis: Es gibt keine Unterschiede. Das FSC-Siegel ist seiner Studie zufolge wertlos. Fast jede deutsche Druckerei bietet das FSC-Siegel automatisch an. Es ist keine besondere Leistung, es zu führen, auch wenn der World Wide Fund for Nature (WWF) erklärt, das Siegel sei »das anspruchsvollste, das wir zurzeit international finden können«. Es gibt natürlich strengere Zertifikate. Der Blaue Engel ist eines davon. Die Druckerei, die auch für KATAPULT druckt, meint, dass der Prozess der Zertifizierung die reinste Pest sei, was aber auf ein gutes Prüfverfahren schließen lasse. Der Blaue Engel prüft neben allen Produktionsabläufen auch, ob die Mehrheit des Papiers aus Altpapier (recycelt) und nicht aus Holz hergestellt wird. Wir haben bei Focus, Stern, Spiegel und Zeit nachgefragt, ob sie Recyclingpapier nutzen, ob sie klimaneutral produzieren und wie sie insgesamt zu dem Thema Nachhaltigkeit stehen. Beim Focus sieht es schlecht aus. Die drei Mitarbeiter wussten es nicht. Niemand hatte Ahnung, ob das Heft klimaneutral produziert wird. Wir sollten bei der Druckerei anrufen und dort nachfragen. Es wirkte insgesamt so, als gäbe es kein großes Interesse an dem Thema. (Der Focus bemängelt diesen Abschnitt. Der folgende Absatz ersetzt diesen daher - hinzugefügt am 19.02.2020) Der Focus konnte uns erst nicht sagen, wer dafür verantwortlich ist, hat aber letzendlich eine ausführliche Antwort gegeben. Inhalt: Der Focus druckt nicht klimaneutral und zu 0 bis 30 Prozent auf Recyclingpapier. Das ist erst mal nicht viel, aber der Verlag scheint insgesamt bemüht, seine Produktionsprozesse zukünftig nachhaltiger zu organisieren. Beispielsweise »bestehen Überlegungen, den Ökostrom-Anteil auf 100% zu erhöhen«, schreibt uns der Senior Publishing Manager Horst Jarkovsky. Ahnungslosigkeit herrschte beim Stern. Aber der Verlag bemühte sich genau wie der Focus um Antworten. Wir wurden von der Herstellungsleitung zur Marketingabteilung und dann zur Responsibility-Abteilung durchgestellt. Keiner wusste so ganz genau Bescheid. Alle Aussagen wurden sehr vorsichtig getroffen. Man wollte offenbar nichts Falsches sagen. Was aber klar ist, Gruner und Jahr produziert den Stern derzeit noch nicht klimaneutral, will es aber in Zukunft machen. Doch nicht nur das – der gesamte Konzern soll auf klimaneutrale Herstellung umgestellt werden. Beim Spiegel steht auf der Internetseite: Alle Magazine werden auf FSC-zertifiziertem Papier gedruckt. Klimaneutralitätszertifikate finden sich dort nicht, auch kein Hinweis auf Recyclingpapier. Die Zeit war etwas misstrauisch, gab aber Antworten. Die Wochenzeitung wird auf Recyclingpapier gedruckt. Zusätzlich gibt es Klimaneutralitätszahlungen. Wo genau Wald angepflanzt wird, ist nicht klar, da werden wohl »Waldprojekte in Ruanda finanziert – oder was weiß ich«. Wir haben anschließend bei Taz, Die Welt, Bild, Süddeutsche Zeitung und FAZ angefragt. Die meisten wussten nicht Bescheid, Klimaneutralität schien kein Thema zu sein. Und wenn doch mal ein Produktionsleiter eine vorsichtige Aussage traf, sollte diese auf keinen Fall veröffentlicht werden. Stattdessen fiel überraschend oft Satz gesagt: »Rufen Sie doch mal bei der Druckerei an.« Die sei dafür zuständig. Die Verleger der größten deutschen Nachrichtenmagazine fühlen sich selbst also nicht wirklich verantwortlich für die nachhaltige Herstellung ihrer Zeitungen und wälzen die Verantwortung auf die Drucker ab. Das ist natürlich falsch. Denn oft müssen die Kunden den Druckern mitteilen, welche Siegel sie haben wollen. Werden Nachhaltigkeitssiegel nicht angefragt, sucht die Druckerei auch nicht danach. Auch Recyclingpapier muss ein Verlag aktiv fordern. Die Zeit scheint sich zu dem Thema bereits Gedanken gemacht zu haben. Der Verlag zahlt zusätzlich für Klimaausgleichsmaßnahmen, wahrscheinlich für Aufforstungsprojekte. Zu den genauen Projekten kann die Zeit aber genauso wenig sagen wie KATAPULT. Stern und Spiegel produzieren ihre Hefte hingegen noch so, wie sie es kurz nach dem Zweiten Weltkrieg getan haben – irgendwie. Der Focus hat sich dem angeschlossen. Woher kommt das Holz für das europäische Papier? Zu 91,3 Prozent aus Europa und zu 8,7 Prozent aus Asien und Südamerika. Zu 72 Prozent werden dafür weiche Nadelgehölze wie Kiefern oder Fichten verwendet. Nur knapp jeder dritte gefällte Baum ist ein Laubbaum wie beispielsweise Birke, Eukalyptus, Buche oder Pappel. Fast alle Papierhersteller wollen mittlerweile beweisen, dass ihre verarbeiteten Hölzer aus nachhaltiger Waldnutzung stammen. Dafür lassen auch sie sich vom FSC zertifizieren. Allerdings halten sich viele Holzunternehmen nicht einmal an die schwachen FSC-Kriterien – und das betrifft nicht nur Produzenten aus Südamerika und Asien. Der größte Papierhersteller der Welt ist International Paper aus Memphis, Tennessee. Die Firma soll Recherchen der Kyiv Post zufolge illegal Holz aus der Ukraine exportiert haben. Ebenso österreichische Holzproduzenten: Egger, Schweighofer, Kronospan, Lenzing, JAF Group und die Schweizer Firma Swiss Krono. Sie haben die in Polen ansässige Fabrik von International Paper mit Holz versorgt, das nie hätte geschlagen werden dürfen. Das Ausmaß des illegalen Holzeinschlags in Europa ist aber noch viel größer. Der WWF schätzt, dass bis zu 25 Prozent des Karpatenholzes illegal geschlagen werden. Das entspricht einer Million Kubikmeter Holz pro Jahr. Hauptakteur des illegalen Holz­exports aus Rumänien ist das österreichische Unternehmen Schweighofer. Es verlor 2016 das FSC-Siegel, was einiges bedeutet, gerade weil das Siegel so lasch ist. Um das angeschlagene Image des FSC nicht komplett zu ruinieren, musste die dahinterstehende NGO Schweighofer das Zertifikat entziehen, denn die Beweise der illegalen Waldrodungen waren zu erdrückend. Bis heute kämpft das österreichische Unternehmen mit eigenen Transparenzkonzepten darum, das FSC-Siegel zurückzuerlangen. Nicht jeder Baum, der legal oder illegal gefällt wird, wird zu Papier verarbeitet. Aber immerhin etwa 20 Prozent der Bäume. Verleger haben also durchaus eine Verantwortung für den Rohstoff Holz, und sie sollten sich für illegale Rodungen in den Karpaten interessieren, weil sie deren indirekte Verursacher sind. Den weltweit größten Papierverbrauch haben Deutschland, Japan, die USA und China. Sie machen zusammen mehr als 50 Prozent des Weltbedarfs aus. Die Kritik an Brasiliens Waldrodung ist demnach nicht ganz aufrichtig. Denn auch Politik, Industrie und Verbraucher in den westlichen Staaten könnten zunächst überdenken, wie sie weniger Papier verbrauchen oder mehr recyceln könnten. Dieses Umdenken hat aber noch nicht ernsthaft stattgefunden. Brasilien zu verurteilen, ist einfacher als Selbstkritik und Lösungsansätze. Ein Deutscher verbraucht jedes Jahr 242 Kilogramm Papier, ein Brasilianer nur 43. Selber Wald pflanzen Auch wenn KATAPULT Ausgleichszahlungen für die Papierproduktion vornimmt – was sie bewirken, bleibt unklar. Was können wir als Redaktion machen, um die Bäume, die für unser Magazin gefällt wurden, zu ersetzen? Die direkteste Maßnahme: selbst einen Wald pflanzen. Am liebsten in der Nähe von Greifswald. Wir brauchen dafür dreierlei: erstens jemanden, der sich auskennt, wie und wo wir so etwas machen können. Zweitens ein Stück Land und drittens Geld, um es zu kaufen. Wir sind bereit, Geld für das Projekt zu sparen. Wer etwas dazugeben will, kann es unter www.katapult-wald.de tun. Wer sich mit Aufforstung auskennt, bitte hier melden: redaktion@katapult-magazin.de Grafik herunterladen (Anmerkung der KATAPULT-Redaktion vom 19.2.2020: Eine taz-Redakteurin hat uns per Twitter auf die Klimabilanz des Hauses aufmerksam gemacht - die ist allerdings von 2010, also von vor zehn Jahren. Damals hat die Redaktion entschieden, auf 100 Prozent Altpapier umzustellen, und überlegt, ob sie 60.000 Euro im Jahr an Ausgleichszahlungen leisten möchte. Der zweite Link führt zur Gemeinwohlbilanz der taz von 2015. Ein Artikel der stellvertretenden Chefredakteurin ohne Datumsangabe verweist auf die Schwerpunkte der Berichterstattung zum Thema Klimakrise. Weiterhin steht dort: »Welche Strategie für den Weg zur Co2-Neutralität am Ende dabei rauskommt, werden wir sehen.«) Aktuelle Ausgabe Dieser Text erschien in der 16. Ausgabe von KATAPULT. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 19,90 Euro im Jahr. KATAPULT abonnieren