Es gehe um »Leben und Tod«, sagte Ägyptens Außenminister Sameh Shoukry am Sonntag in einem Interview mit dem Onlinemagazin »al-Monitor«. Es brauche endlich ein belastbares Abkommen zwischen Ägypten und Äthiopien darüber, wie das Wasser des Nils künftig verteilt werden soll. Nur wenige Tage zuvor hatte die äthiopische Regierung einen neuen Vorschlag Kairos abgelehnt. Vor über vier Jahren hatten sich die beiden Staaten und der Sudan auf ein gemeinsames Vorgehen in der Nilfrage geeinigt. Seitdem ist jedoch nicht viel passiert. Äthiopien baut seit 2011 am Blauen Nil, einem der Hauptzuflüsse des Nils, die gewaltige Grand-Ethiopian-Renaissance-Talsperre. Das angeschlossene Wasserkraftwerk soll das Land zum Stromexporteur machen und die wirtschaftliche Entwicklung weiter vorantreiben. Doch in Ägypten könnte das Megaprojekt den Wassermangel verschärfen. Der Stausee, der durch den Damm entsteht, soll rund 63 Milliarden Kubikmeter Wasser fassen – zum Vergleich: der Bodensee enthält knapp 50 Milliarden. Fünf bis sieben Jahre soll es dauern, bis das Reservoir gefüllt ist. Eine Studie aus dem Jahr 2017 warnt davor, dass sich der Wasserfluss nach Ägypten in diesem Zeitraum um bis zu 25 Prozent reduzieren könnte. Ägyptens eigene Talsperre, der Assuan-Staudamm, könnte so ein Drittel weniger Elektrizität erzeugen. Ägypten: »Historisches Anrecht auf das Wasser des Nils« Der Konflikt zwischen Äthiopien und Ägypten ist nur die jüngste Episode in einem jahrzehntelangen Streit um die Verteilung des Nilwassers. Weitere könnten folgen, denn sowohl im Sudan als auch in Äthiopien und Uganda sind weitere – wenn auch deutlich kleinere – Talsperren geplant. Durch zehn Länder fließt der Nil und entsprechend anspruchsvoll gestaltet sich die Diplomatie rund um den wohl längsten Fluss der Erde. Politische Abkommen haben dieser Komplexität bislang jedoch nie Rechnung getragen. 1929 erkannte Großbritannien – damals noch Kolonialmacht über weite Teile Ostafrikas – Ägyptens »natürliches und historisches Anrecht auf das Wasser des Nils« an. 1959 eigneten sich der Sudan und Ägypten mit einem bilateralen Vertrag jährliche Wassermengen von 18,5 beziehungsweise 55,5 Milliarden Kubikmeter an – ohne die anderen Nil-Anrainer zu konsultierten. Ägypten pocht noch heute auf diese Verträge. Doch 2010 kam es zur Revolte: Uganda, Äthiopien, Ruanda, Tansania, Burundi und Kenia unterzeichneten mit dem »Cooperative Framework Agreement« ein eigenes Abkommen, das das ägyptisch-sudanesische infrage stellt. 13 Jahre lang hatte man zuvor mit den beiden Ländern über die Verteilung des Wassers verhandelt und nichts erreicht. Der Sudan und Ägypten lehnen das Abkommen ab – der Streit ist bis heute nicht gelöst. Drohender Wassernotstand Warum Ägypten in dem Konflikt so kompromisslos agiert, zeigt ein Blick auf die fundamentale Bedeutung des Nils für das Land: 95 Prozent der ägyptischen Bevölkerung leben entlang des Flusses. Ihm entstammen 94 Prozent der erneuerbaren Wasserressourcen des Landes. Berechnungen der Vereinten Nationen zufolge wird das in Ägypten verfügbare Wasser bis 2030 auf unter 500 Kubikmeter pro Kopf und Jahr fallen – das entspricht der Schwelle, ab der die Organisation von »absoluter Wasserarmut« spricht. 1970 standen pro Einwohner noch 1.672 Kubikmeter Wasser zur Verfügung. Der zunehmende Wassermangel ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass Ägyptens Bevölkerung rasant wächst: Im Jahr 2000 berechneten die Vereinten Nationen, dass 2026 etwa 96 Millionen Menschen in Ägypten Leben würden. Diesen Wert erreichte das Land jedoch bereits 2017. Einigen Kalkulationen zufolge könnte die Bevölkerung bis 2030 auf 128 Millionen Menschen anwachsen. Ägypten gilt schon heute als fragiler Staat. Dem diktatorischen Regime gelingt es nicht, die erheblichen sozialen Probleme des Landes in den Griff zu bekommen. »Wenn das Wasser, das nach Ägypten kommt, um zwei Prozent reduziert wird, würden wir etwa 81.000 Hektar Land verlieren«, rechnete der Minister für Wasserressourcen, Abdel Aty, letztes Jahr in der BBC vor. Rund 200.000 fünfköpfige Familien würden von diesem Land leben. Zu den politischen Verteilungskämpfen und dem Bevölkerungswachstum kommt ein drittes Problem: der Klimawandel. Durch den steigenden Meeresspiegel könnten Teile des Nildeltas versalzen, was weitere Negativfolgen für die Landwirtschaft hätte. Ein Forscherteam des Dartmouth College warnt, dass die erwartbare Zunahme besonders heißer und trockener Jahre in den kommenden Jahrzehnten noch mehr Menschen am Oberen Nil in die Wasserarmut stürzen könnte. Es brauche dringend regionale Anstrengungen, um den Problemen zu begegnen. Die Geschichte der bisherigen Nildiplomatie gibt dafür wenig Anlass zur Hoffnung. Aktuelle Ausgabe KATAPULT ist gemeinnützig und unabhängig. Wir finanzieren uns durch Spenden und Abonnements. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 19,90 Euro im Jahr. KATAPULT abonnieren