Studie: “Civic Honesty around the Globe” von Alain Cohn, Michel A. Maréchal, David Tannenbaum und Christian L. Zünd (Juli 2019) Wer seine Geldbörse in Skandinavien oder der Schweiz verliert, hat beste Chancen, sie zurückzubekommen. Das zeigt eine internationale Untersuchung in 40 Ländern. Die Wissenschaftler gaben dafür in 355 Städten insgesamt 17.303 Portemonnaies - mit oder ohne Geld - an Rezeptionen von Hotels, Banken, Museen, Post- oder Polizeistellen ab. Dabei erklärten sie, diese auf der Staße um die Ecke gefunden zu haben. Sie baten dann das Empfangspersonal, die Besitzer zu ermitteln und die Geldbörsen zurückzugeben. Etwa bei der Hälfte der Portemonnaies, in denen sich Geld befand, wurden die vorgeblichen Eigentümer kontaktiert; bei denjenigen ohne Geld geschah dies nur in 40 Prozent der Fälle. Mexiko war das einzige Land, in dem ein gefülltes Portemonnaie eher einbehalten wurde als ein leeres. In der Schweiz, den Niederlanden und den skandinavischen Ländern war die Kontaktquote insgesamt am höchsten. Um herauszufinden, welchen Einfluss die Höhe des Geldbetrags hat, führten die Wissenschaftler einen weiteren Test in den USA, in Großbritannien und in Polen durch. Dafür bestückten sie die Geldbörsen mit dem Siebenfachen der vorherigen Summe - umgerechnet jeweils etwa 95 Dollar. Das Ergebnis widersprach den Erwartungen der Forscher: Je höher die Summe, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass der Besitzer kontaktiert wurde. 72 Prozent der “Eigentümer” von besonders gut gefüllten Portemonnaies erhielten eine E-Mail. Das Fazit könnte lauten: Die meisten Menschen sind doch nicht raffgierig, sondern können Betrug moralisch nicht mit sich vereinbaren, weil schlechtes Karma droht. An dieser Interpretation der Ergebnisse kommen mit Blick auf den Aufbau der Studie Zweifel auf. Problematisch sind vor allem zwei Dinge. Erstens: Die Finder sind Angestellte, die während ihrer Arbeitszeit ein Portemonnaie entgegennehmen. Ob sie den Besitzer kontaktieren oder nicht, würde womöglich von den Reaktionen abweichen, wenn die Testpersonen die Geldbörse bei einem Spaziergang nach Feierabend vom Boden aufgehoben hätten. Es ist wahrscheinlich, dass viele Angestellte befürchteten, ihren Job zu verlieren, wenn sie das Geld einsteckten - und taten es deshalb seltener. Zweitens: Die größere Summe von 95 Dollar in den zusätzlich verteilten Geldbörsen ist zwar siebenmal höher als die Summe der übrigen Geldbörsen. Das ist aber nicht hoch genug. Ihren Job dürften viele Finder für 95 Dollar im Portemonnaie nicht riskiert haben wollen. Wie groß die Probleme mit der Moral bei 1.000, 10.000 oder sogar 100.000 Dollar Diebesgut wären, kann die Studie nicht beantworten. Aktuelle Ausgabe KATAPULT ist gemeinnützig und unabhängig. Wir finanzieren uns durch Spenden und Abonnements. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 19,90 Euro im Jahr. KATAPULT abonnieren