Die Corona-Pandemie bringt den demokratischen Rechtsstaat seit über einem Jahr regelmäßig an seine Grenzen. Vor allem die Einschränkungen individueller Freiheitsrechte werden aus unterschiedlicher Richtung immer wieder kritisiert. Darf der Staat, zu welchem Zweck auch immer, Einzelpersonen verbieten, sich frei von A nach B zu bewegen? Darf den Bürger:innen vorgeschrieben werden, mit wem sie ihre Freizeit verbringen dürfen? Dies sind nur zwei der Fragen, die in den letzten zwölf Monaten diskutiert wurden - und die nicht mit dem wahnhaften, antisemitischen und hetzenden Gebrabbel einer anti-liberalen Koalition aus Querdenkern, Esoterikern und Rechtsradikalen verwechselt werden sollten. Erstaunlich unterbelichtet geblieben sind bislang die Einschränkungen kollektiver Beteiligungsrechte in Form von politischen Wahlen. Wie das International Institute for Democracy and Electoral Assistance (IDEA) in Stockholm zeigt, ist die Verschiebung politischer Wahlen jedoch seit dem Frühjahr 2020 ein weltweit auftretendes Phänomen. In mindestens 78 Staaten und staatsähnlichen Gebieten wurden seither Wahlen und Referenden verschoben. In Deutschland waren hiervon etwa diverse Wahlen der Bürgermeister:innen in Hessen betroffen. Das IDEA weist jedoch gleichzeitig darauf hin, dass die Wahlen in 52 der weltweiten Fälle zu einem späteren Zeitpunkt abgehalten werden konnten. Im April war es besonders schlimm Besonders umfangreich waren die Terminverschiebungen im April 2020. Über 30 Wahlen wurden in diesem Monat verschoben. Planmäßig abgehaltenen wurden nur vier. Häufig lag die Wahlbeteiligung während der Pandemie unter dem Durchschnitt der Jahre 2008 bis 2019, und zwar sowohl auf nationaler als auch auf regionaler Ebene. IDEA identifizierte jedoch auch eine nennenswerte Zahl an Wahlen, bei denen dies nicht so war. So konnte etwa im Falle der US-Präsidentschaftswahl 2020 eine Zunahme der Beteiligung festgestellt werden. Die Forschenden am IDEA sind sich der Herausforderungen, die das Abhalten demokratischer Wahlen in Zeiten der Pandemie mit sich bringt, bewusst. Eine Musterlösung, so Erik Asplund und Toby James, gebe es nicht. Für den Fall notwendiger Verschiebung sei eine transparente Kommunikation von Seiten der Regierungen jedoch unabdingbar.  Darüber hinaus müsse der politische Wettbewerb trotz der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie aufrechterhalten werden. Wo Wahlen vorübergehend nicht stattfinden können, brauche es andere Formen politischer Auseinandersetzung. Denkbar sind beispielsweise häufigere parlamentarische Aussprachen oder vermehrte Regierungserklärungen. Geschehe dies nicht, so Asplund und James, werde die Demokratie mittelfristig Schaden nehmen. Aktuelle Ausgabe KATAPULT ist gemeinnützig und unabhängig. Wir finanzieren uns durch Spenden und Abos. Unterstütze unsere Arbeit und abonniere das Magazin gedruckt oder als E-Paper ab 19,90 Euro im Jahr! KATAPULT abonnieren