Für 30 Angeklagte endete der Prozess mit dem Urteil lebenslange Haft. Es waren die längsten Verhandlungen seit dem Putschversuch des Militärs im Juli 2016. Unter den 497 Angeklagten waren diesmal auch höchstrangige Generäle aus den Reihen der ehemaligen türkischen Präsidentengarde. Dreimal übernahm das Militär nach einem Putsch die Macht Das Militär putschte in der Türkei nicht zum ersten Mal. Es gab bereits mehrere Versuche, Regierungen und Staatsoberhäupte zu entmachten. Das liegt auch an der besonderen Rolle des Militärs in der Türkei. Kemal Atatürk gründete die Republik Türkei nach dem ersten Weltkrieg. Er trennte dabei Religion und Staat. Das Militär spielt seither auch eine politische Rolle: Atatürk erklärte es zum “Hüter der Verfassung”. Sieht das Militär Recht und Ordnung in Gefahr, greift es ein.

Den ersten Militärputsch 1960 feierten viele Türk:innen als Erfolg. Tatsächlich sorgte er für eine liberalere Presse und erleichterte Parteineugründungen. Trotzdem war die Machtübernahme brutal: Der damalige Ministerpräsident Adnan Menderes wurde beispielsweise gehängt.

Die neue Verfassung brachte jedoch keine politischen Stabilität. Stattdessen kam es zu einer wachsenden Polarisierung zwischen “Links” und “Rechts”. Es gab immer wieder blutige Zusammenstöße. Als Antwort darauf schaltete sich das Militär 1971 erneut ein: Premierminister Demirel musste zurücktreten und das Militär beauftrage den CHP-Abgeordnete Nihat Erim mit einer überparteilichen Regierungsbildung. Diese blieb bis zu den Wahlen 1973 an der Macht. Das Eingreifen des Militärs führte in diesem Fall zur Einschränkung der Bürgerrechte und begünstigte die Etablierung eines Polizeistaates. 

1980 kam es dann zum nächsten Putsch: Führende Politiker wurden verhaftet, die Straßen vom Militär kontrolliert und eine Ausgangssperre verhängt. Der Grund diesmal: Der Regierung wurde Handlungsunfähigkeit vorgeworfen. Sie schaffe es nicht, die unterschiedlichen Parteien zu versöhnen. Die neue Armeeführung ging mit brutalen Mitteln vor. Von Folter der Gefangenen bis hin zur Auflösung von Parteien und Gewerkschaften. Die Folge des Putsches war ein politischer Rechtsruck. Einer der Nutznießer? Recep Tayyip Erdogan, der jetzige Premierminister der Türkei. Strikte Trennung von Kirche und Staat 1997 mobilisierten das Militär und zahlreiche andere Akteure gegen die RP, die “Wohlfahrtspartei”, aus der sich die spätere Erdogan-Partei AKP bildete. Der damals genannte Grund: Die Partei bedrohe die Trennung von Kirche und Staat. Die Forderung: Der religiöse Einfluss solle aus Bildung, Wirtschaft und Gesellschaft zurückgedrängt werden. Der Druck des Militärs führte zum Rücktritt des amtierenden Premierministers und zur Bildung einer neuen säkularen Regierung. Die unmittelbaren Folgen des “sanften Putsches” waren die Spaltung der islamistischen Bewegung und die Gründung der AKP, die bei den Parlamentswahlen 2002 einen fulminanten Sieg einfuhr. 

Vor der Präsidentschaftswahl 2007 verkündete das Militär, dass auch der kommende Amtsinhaber die Grundprinzipien des Kemalismus und Laizismus vertreten müsse. Dass die Frau des Präsidentschaftskandidaten Abdullah Gül ein Kopftuch trug, wertete das Militär als Verstoß gegen diese Prinzipien. Die Einmischung zeigte diesmal aber keine Wirkung. Nach einer ersten, für ungültig erklärten Wahl, konnte die AKP bei den Neuwahlen ihren Stimmenanteil im Parlament sogar noch ausbauen. Ihr Kandidat Gül wurde in der Folge zum neuen Staatspräsidenten gewählt. Der letzte Putsch 2016 In der Nacht des 15. Juli besetzten Einheiten der Armee zentrale Punkte wie die Bosporusbrücke in Istanbul. Präsident Erdogan allerdings entging einer Festnahme durch das Militär. Er rief die Bevölkerung zum Protest gegen die Machtübernahme durch das Militär auf. Mit Erfolg: Das erste Mal wurde ein Militärputsch von der zivilen Bevölkerung zurückgeschlagen. 

Der Putschversuch 2016 wird der Gülen-Bewegung zugeschrieben. Bestätigt ist das nicht. Fast 300 Menschen starben während den Ausschreitungen auf den Straßen. Erdogan verhalf der Putschversuch zum Ausbau seiner Macht: Die Regierung verhängte den Ausnahmezustand und konnte am Parlament vorbei regieren. 

Kurz nach den Ausschreitungen 2016 kam es zu Massenverhaftungen und -entlassungen in der Türkei. Rund eine halbe Million Menschen wurden zumindest vorübergehend festgenommen, 30.000 sind noch heute in Haft. Zahlreiche Staatsbedienstete, darunter auch Lehrkräfte oder Polizeiangestellte, wurden unter dem Vorwand entlassen, etwas mit dem Putschversuch oder der Gülen-Bewegung zu tun zu haben. Erdogans Regierung ging dabei nicht nur gegen angebliche Putschist:innen, sondern auch gegen Journalist:innen und Menschenrechtler:innen vor. Aktuelle Ausgabe KATAPULT ist gemeinnützig und unabhängig. Wir finanzieren uns durch Spenden und Abos. Unterstütze unsere Arbeit und abonniere das Magazin gedruckt oder als E-Paper ab 19,90 Euro im Jahr! KATAPULT abonnieren