Die Affäre um netzpolitik.org hat die fehlende Trennung zwischen Exekutive und Judikative – vollziehende und rechtssprechende Gewalt – offenbart. Justizminister Heiko Maas hat Generalbundesanwalt Harald Range ausgetauscht und politisch alles unbeschadet überstanden. Man fragt sich allerdings, ob das Weisungsrecht des Justizministers auch eingesetzt wird, ohne dass die Öffentlichkeit etwas davon mitbekommt. Wenn beispielsweise Ermittlungen gegen einen Parteikollegen geführt werden. Der Jurist nennt dieses schwer definierbare Unbehagen liebevoll sein »juristisches Störgefühl«. Auf den ersten Blick scheint alles in Ordnung zu sein, aber irgendwo hakt es im System. Der Generalbundesanwalt ist die »Staatsanwaltschaft des Bundes« und für Strafsachen vor dem Bundesgerichtshof, einige Staatsschutzdelikte und für das Völkerstrafrecht zuständig. Er hat es also nicht gerade mit Belanglosigkeiten zu tun. Wenn nun der Justizminister von seinem Weisungsrecht gegenüber dem Generalbundesanwalt Gebrauch macht, berührt er damit immer diesen strafrechtlich sensiblen Bereich. Das ist für denjenigen, der die Staatsanwaltschaft als einen Teil der Exekutive sieht, kein Problem. Denn seit Böckenförde steht fest, dass alles, was sich in eine Legitimationskette einfügen lässt, demokratisch in Ordnung ist. Wer die Staatsanwaltschaft hingegen als eingegliederten Bestandteil der Justiz versteht, befindet sich mit dem Bundesverfassungsgericht in guter Gesellschaft. Denn »Staatsanwaltschaft und Gericht erfüllen gemeinsam die Aufgabe der Justizgewährung«. Sie ist gemäß §§ 141, 144 Gerichtsverfassungsgesetz den Gerichten zugeordnet und damit nicht bloß eine nachgeordnete Behörde des Justizministeriums, sondern eine Institution eigener Art. Wenn aber der Justizminister festlegen darf, ob überhaupt ermittelt und angeklagt wird, dann braucht es nicht viel Phantasie, um die Gefahr der politischen Einflussnahme auf diese Institution der Strafverfolgung zu sehen. Unabhängigkeit führt zu Verhaftungen Wie diese Problematik gelöst werden kann, zeigt ein Vergleich mit dem europäischen Nachbarn Lettland. Dort leitet der Generalstaatsanwalt die Staatsanwaltschaft. Er wird auf Vorschlag des Vorsitzenden des Obersten Gerichts vom Parlament gewählt und bleibt fünf Jahre im Amt. Das Parlament kann mit einem Drittel der Stimmen einen Antrag auf vorzeitige Entlassung stellen. Der Antrag wird vom Vorsitzenden des Obertsten Gerichts daraufhin dahingehend geprüft, ob einer der gesetzlich bestimmten Entlassungsgründe vorliegt. Ist das der Fall, stimmt das Parlament über die Entlassung ab. Liegt kein Entlassungsgrund vor, beendet der Vorsitzende das Verfahren. Darüber hinaus können Parlament und Regierung den Generalstaatsanwalt ersuchen, bestimmte Ermittlungen durchzuführen. Sie dürfen jedoch keinen Einfluss auf die Untersuchungen der Staatsanwaltschaft nehmen. Ein weiteres Beispiel ist Italien. Die Einführung einer unabhängigen Staatsanwaltschaft im Jahr 1992 führte dort zu einer Verhaftungswelle in Politik und Wirtschaft. Es war nun möglich geworden, organisierte Kriminalität bis in Regierungskreise aufzudecken. Das Fundament eines demokratischen Rechtsstaates ist die Teilung der Staatsgewalt in Legislative, Exekutive und Judikative. Zu welcher Gewalt die Staatsanwaltschaft gehört, sollte diskutiert werden. Eine Legitimation und Kontrolle durch das Parlament nach lettischem Vorbild genügt jedenfalls den Ansprüchen, die ein Rechtsstaat an seine Justiz stellen sollte. Vielleicht wollte Harald Range mit seiner, an politisches Harakiri grenzenden, Erklärung diese Diskussion anstoßen.