Die Antwort darauf hatten renommierte Harvard-Professoren errechnet: Eine Verschuldung über 90 Prozent des Bruttoinlandsproduktes führe in die Armut. Dann beginne die Wirtschaft zu schrumpfen, Staaten könnten sich schlechter am Kapitalmarkt refinanzieren. Im Jahr 2010 veröffentlicht, hatte diese Studie politische Schlagkraft. Auch Wolfgang Schäuble rechtfertigte den europäischen Sparkurs mit der Erkenntnis der beiden Autoren. Das Problem: Die Forscher hatten unsauber gearbeitet. Aufgefallen war das allerdings weder den Wissenschaftskollegen noch den zahlreichen Journalisten, die diese Studie zitierten. Stattdessen bemerkte ein Student den Fehler, der das Studienergebnis eigentlich nur für eine Hausarbeit replizieren sollte. Was ihm dabei auffiel: Die Wissenschaftler hatten nur 15 statt der angegebenen 20 Staaten untersucht, zudem ließen sie wichtige Fälle ohne Begründung aus – insbesondere solche, in denen trotz einer Verschuldung über 90 Prozent Wachstum herrschte. Berücksichtigt man alle Daten, ist der leicht negative Zusammenhang zwischen Verschuldung und Wachstum nicht mehr signifikant. Zudem wuchsen zwischen 2000 und 2009 zahlreiche Länder mit einem Schuldenstand von über 90 Prozent sogar stärker als Länder mit einem Schuldenstand zwischen 60 und 90 Prozent. Gemeinsam mit seinem Dozenten veröffentlichte der in Deutschland studierende US-Amerikaner 2013 eine Gegendarstellung. Seitdem ist die Frage, wieviele Schulden für einen Staat zu viel sind, wieder offen. Aktuelle Ausgabe Dieser Text erschien in der elften Ausgabe von KATAPULT. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 19,90 Euro im Jahr. KATAPULT abonnieren