Die brutale Reaktion der US-Polizei auf die jüngsten Black-Lives-Matter-Proteste hat auch die Militarisierung der Beamten erneut in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Journalisten und Wissenschaftler verfolgen diese Entwicklung schon seit Langem: Viele US-Polizeibehörden setzen auf paramilitärische Ausrüstung und Taktiken. Selbst einige kleine Städte mit niedriger Kriminalitätsrate erhielten minensichere Panzerfahrzeuge und Sturmgewehre. Angefeuert wurde dies durch den War on Drugs, den War on Terror und Programme des Verteidigungsministeriums, die dazu dienten, überschüssiges Kriegsgerät unkompliziert an amerikanische Polizeibehörden zu verteilen. Doch nicht nur das Equipment stellt ein Problem dar, sondern auch die Mentalität der Polizisten. Paramilitärische Aspekte seien so tief in der Polizeikultur verwurzelt, dass die meisten Beamten sie für selbstverständlich hielten, kritisiert die Rechtswissenschaftlerin Rosa Brooks von der Georgetown Universität. Jeder sinnvolle Ansatz zur Reformierung der Polizei müsse sich deren Kultur stellen. Die Bevölkerung als Bedrohung „Die Militarisierung beinhaltet die Annahme, dass polizeilich überwachte Gemeinschaften und Individuen bedrohlich sind“, schreiben die Rechtswissenschaftler Eliav Lieblich und Adam Shinar in ihrem Aufsatz The Case against Police Militarization. Eine liberale Ordnung hingegen müsse auf genau der umgekehrten Annahme beruhen: dass von der Bevölkerung keine grundsätzliche Bedrohung ausgeht. Dies sei ein wesentlicher Unterschied zwischen liberalen und totalitären Staaten. Doch die Aufrüstung hat das Potenzial, die Beamten noch weiter von der Bevölkerung zu entfremden. All diese Entwicklungen sind auch eng mit rassistischen Voreinstellungen verknüpft. Schon 1966 beschrieb der schwarze Schriftsteller James Baldwin die Polizei als eine Besatzungsmacht. 1950 übernahm William Parker das Kommando über eine der größten Polizeibehörden der USA: das Los Angeles Police Department. Der ehemalige Soldat reformierte die Behörde und ließ sie ähnlich einer Besatzungsmacht operieren. Über die schwarze Gemeinde der Stadt sagte Parker: „Es wird geschätzt, dass 45 Prozent des Großraums Los Angeles bis 1970 schwarz sein wird. Wenn Sie irgendeinen Schutz für Ihr Heim und Ihre Familie wollen (…) müssen Sie ein starkes Police Department aufbauen und unterstützen.“ Militarisierung statt Ursachenbekämpfung Die Idee, dass Polizisten in den Gemeinden leben sollten, für deren Überwachung sie zuständig sind, verabscheute Parker. Auch weil er darin einen Treiber für Korruption sah. Als es 1965 unter den Afroamerikanern in Los Angeles zu Unruhen wegen der Gewalt der Beamten kam, verglich er diese mit den kommunistischen Rebellen in Vietnam. Parkers rechte Hand und Nachfolger Daryl Gates trainierte seine Polizisten in einem Ausbildungslager der Marines in Methoden der Aufstandsbekämpfung. Vor diesem Hintergrund wurde in Los Angeles eine der ersten paramilitärischen SWAT-Einheiten gegründet.Viele weitere Polizeibehörden folgten. Anstatt die strukturellen Ursachen der Unruhen in den schwarzen Gemeinden anzugehen, die in den 1960er-Jahren in zahlreichen Städten vorzufinden waren, habe die US-Regierung mit der Militarisierung der Polizei unter dem Deckmantel der Wiederherstellung von Recht und Ordnung reagiert, so die Rechtswissenschaftlerin Fanna Gamal. Mitte der 1960er rief Präsident Lyndon B. Johnson den War on Crime aus, Polizisten imaginierte er als “Frontsoldaten”. Das Justizministerium kaufte Hubschrauber, Panzerfahrzeuge, Gewehre und andere militärische Ausrüstung für Polizeibehörden. Ab 1968 bot die US-Armee den Senior Officers Civil Disturbance Orientation Course an. Höherrangige Polizeioffiziere lernten Taktiken der Aufstandsbekämpfung. Eingesetzt wurden diese Methoden vor allem in schwarzen und hispanischen Gemeinden. Demonstranten als Feinde In den kommenden Jahrzehnten wurden neue Programme entworfen, die die Aufrüstung von Polizeibehörden weiter eskalieren ließen, insbesondere vor dem Hintergrund des sogenannten War on Drugs und des War on Terror. Verfügten 1982 noch 59 Prozent aller Polizeibehörden in Gebieten mit mehr als 50.000 Einwohnern über paramilitärische Einheiten, waren es 1995 bereits 89 Prozent. Gedacht war deren Einsatz nur in akuten Ausnahmesituationen wie Geiselnahmen – doch wo sie schon einmal da waren, wurden sie auch immer öfter bei routinemäßiger Polizeiarbeit angewendet. Auch einzelne aufmerksamkeitserregende Ereignisse wie die North-Hollywood-Schießerei 1997 trieben die Entwicklung voran. Die Fernsehbilder von Streifenpolizisten, die mit ihrer Ausrüstung besonders schwer bewaffneten Bankräubern nicht gewachsen waren, hatten zur Konsequenz, dass viele Polizeibehörden aufrüsten ließen. Der Ex-Polizist und Soziologe Tom Nolan erlebte während seiner jahrzehntelangen Tätigkeit in der Strafverfolgung mit, wie sich eine allgemeine Akzeptanz der Polizisten für den Einsatz aller verfügbaren Gewaltmittel durchsetzte. Dass die Polizei zunehmend militarisierte Reaktionen bevorzuge, sei auf eine Kultur zurückzuführen, in der etwa Protestierende als „Feinde“ wahrgenommen würden. Der Nutzen der Aufrüstung ist zweifelhaft Befürworter behaupten, dass die Militarisierung der Polizei die Sicherheit der Beamten erhöhe und von Gewaltverbrechen abschrecke. Kritiker hingegen argumentieren, dass diese Taktiken überproportional oft in den Gemeinden von Minderheiten eingesetzt würden, wodurch das bereits komplizierte Verhältnis zwischen Bürgern und Polizisten sich weiter verschlechtere. Zudem führe dies zu mehr Polizeigewalt. Beide Seiten können wissenschaftliche Studien vorweisen, die ihre Sichtweise bestärken. Diese Analysen stützen sich jedoch meist auf das Militärequipment, das seit den 1990er-Jahren im Rahmen des Programms 1033 des Verteidigungsministeriums verteilt wurde. Die dazu verfügbaren Daten haben aber schwerwiegende Mängel, somit ist diese Forschung kaum belastbar. Der Politikwissenschaftler Jonathan Mummolo ist deshalb einen anderen Weg gegangen und hat den Einsatz paramilitärischer SWAT-Einheiten in Maryland untersucht. Anhand ihres Beispiels kommt der Professor der Princeton Universität zu dem Schluss, dass diese besonders militarisierten Polizeieinheiten tatsächlich häufiger in Gebieten mit hoher Konzentration von Afroamerikanern eingesetzt würden – unabhängig von der Kriminalitätsrate. Doch es gebe keinen eindeutigen Beweis dafür, dass die SWAT-Teams die Rate von Gewaltverbrechen oder die Zahl der getöteten Polizeibeamten senkt. Stattdessen könne die Bevölkerung negativ auf die militarisierten Polizeieinheiten reagieren. 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