Hugo Chávez und später Nicolás Maduro in Venezuela, die Kirchners in Argentinien, Lula da Silva und Dilma Rousseff in Brasilien, Pepe Mujica in Uruguay, Rafael Correa in Ecuador und Evo Morales in Bolivien: Sie sind die wohl wichtigsten Vertreter eines Wechsels hin zu sozialer Politik und der Abkehr vom Neoliberalismus, der in den 80er- und 90er-Jahren die Politik des Kontinents bestimmte. Auch wenn es zwischen den Regierungen durchaus Unterschiede gab und gibt – von eher sozialdemokratisch geprägten Regierungschefs wie Mujica oder Correa bis hin zu »radikaler« agierenden Regierungen wie der venezolanischen –, wurden doch in allen Ländern zahlreiche staatlich finanzierte Sozialprogramme eingerichtet und der Anteil der staatlichen Beteiligung an der Wirtschaft stieg kräftig an. Diese Umorientierung der Politik half großen Teilen der Bevölkerung aus ihrer Armut und formte eine neue, vorher fast nicht existierende Mittelschicht. Zum ersten Mal in der modernen Geschichte des Kontinents bekamen Millionen Menschen Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung. Eine stagnierende Wirtschaft und Korruption innerhalb der Regierungen wirken sich negativ auf deren Beliebtheit aus und verhelfen den rechten, wirtschaftsliberalen Oppositionsparteien zu steigendem Zuspruch Trotz dieser Errungenschaften wird die Unzufriedenheit in der Bevölkerung mit den progressiven Regierungen immer größer. Ebenso wirken sich stagnierende Wirtschaft und Korruption innerhalb der Regierungen negativ auf deren Beliebtheit aus und verhelfen den rechten, wirtschaftsliberalen Oppositionsparteien zu steigendem Zuspruch. Das Grundübel der Korruption wird auch von der Neuen Rechten nicht beseitigt Der Sieg des wirtschaftsliberalen Mauricio Macri bei den argentinischen Präsidentschaftswahlen am 22. November des letzten Jahres könnte den Anfang vom Ende der Hegemonie progressiver Regierungen in Lateinamerika besiegelt haben. Nicht nur in Argentinien verloren linke Kräfte zum ersten Mal seit langem wieder Wahlen. Auch in Venezuela konnte die Opposition bei den Parlamentswahlen am 6. Dezember 2015 die Mehrheit in der Asamblea Nacional (Parlament) erlangen. Nach dem kalten Putsch in Brasilien, der Dilma Rousseff aus dem Amt der Regierungschefin hob und für 180 Tage durch den neoliberalen Michael Temer ersetzte, werden die wohl drei wichtigsten Vertreter des progressiven Zeitalters in Südamerika wieder, zumindest teilweise, von Wirtschaftsliberalen regiert. Besonders interessant an der »Neuen Rechten« in Lateinamerika ist die wenigstens vorgegebene Abkehr vom Neoliberalismus der 80er- und 90er-Jahre, der vor allem für die sogenannten »clases populares« verheerende Auswirkungen hatte. Erklärtes Ziel dieser Parteien ist es zwar, an vielen sozialen Programmen festzuhalten, dies soll aber mit einer wirtschaftsfreundlichen, pragmatischen und ideologiefreien Politik verbunden werden. Eine »Alternative«, die für viele attraktiv erscheint. Das gilt vor allem für junge Wähler, die teilweise nur linksgerichtete Regierungen kennen. Wie wenig ernsthaft die soziale Komponente dieser »Alternative« gemeint ist, lässt sich momentan in Argentinien beobachten. Seit Amtsantritt Macris wurden zahlreiche unpopuläre Maßnahmen von der Regierung verabschiedet. Vor allem Entlassungen im öffentlichen Sektor, die Streichung von Subventionen für die Ausgaben für Strom und Gas, auf die vor allem die ärmsten Bevölkerungsschichten angewiesen sind, sowie gestiegene Inflationsraten sorgen für großen Unmut in der argentinischen Bevölkerung. Dass die Oppositionsparteien der anderen Länder der Region anders handeln würden, als es gerade in Argentinien der Fall ist, lässt sich zumindest bezweifeln. Auch wenn neoliberale Kräfte wiedererstarken und erstmals seit langer Zeit wieder Wahlen gewinnen konnten, ist der Kontinent politisch tief gespalten Auch wenn neoliberale Kräfte wiedererstarken und erstmals seit langer Zeit wieder Wahlen gewinnen konnten, ist der Kontinent politisch tief gespalten. In Argentinien sind seit dem Amtsantritt Macris Proteste gegen dessen Reformen an der Tagesordnung. Im Nachbarland Brasilien waren Demonstrationen gegen die Amtsenthebung Rousseffs genauso stark wie die Proteste gegen ihre Regierung. Die politische Spaltung der Gesellschaft Venezuelas ist seit dem Tod von Hugo Chávez offenkundig, wobei vor allem die »clases populares« weiter hinter der sozialistischen Regierung stehen. Auch in Ländern wie Kolumbien, Ecuador und Bolivien ist sich die Bevölkerung in wichtigen politischen Fragen uneins. Dem Kontinent könnten wieder einmal politisch und wirtschaftlich turbulente Zeiten bevorstehen. Zweifelsohne brauchen die progressiven Kräfte Südamerikas eine Erneuerung. Auch wenn im sozialen Bereich erstaunlich viel erreicht wurde, ist den sozialistischen Regierungen der Region Wesentliches nicht gelungen: Die starke wirtschaftliche Abhängigkeit von Rohstoffen ist unverändert hoch, das Grundübel Korruption konnte nicht erfolgreich bekämpft werden und die Chance, die wirtschaftliche und politische Integration Lateinamerikas voranzutreiben, wurde nicht genutzt. Es lässt sich jedoch stark bezweifeln, dass die Opposition, die zu großen Teilen aus den alten, korrupten Eliten besteht und verantwortlich für tiefe wirtschaftliche und politische Krisen ist, die Lage des Kontinents zum Positiven verändern kann. Wahrscheinlicher ist es, dass die Leidtragenden eines politischen Rechtsrucks die »clases populares« sein werden – eine Entwicklung, die sich momentan in Argentinien beobachten lässt. Die progressiven Kräfte der Region täten gut daran, sich zu erneuern. Es gilt, neue Antworten auf die Probleme der Region zu finden und vor allem die Bevölkerung in diese Prozesse miteinzubinden. Wenn dies nicht geschieht, wird die Opposition weiter an Kraft gewinnen und es wird schwer sein, die Errungenschaften der letzten zwei Jahrzehnte zu verteidigen. Aktuelle Ausgabe Dieser Beitrag erschien in der dritten Druckausgabe von KATAPULT. Wir sind gemeinnützig und finanzieren uns zu großen Teilen durch Spenden und Abonnements. Abonnieren Sie KATAPULT und unterstützen Sie unsere Arbeit. KATAPULT abonnieren