1957 konnte der sowjetische Parteichef Nikita Chruschtschow mit dem Start des Sputnik einen weltpolitisch bedeutenden Propagandasieg verbuchen. Doch brauchte es weitere drei Jahre, bis die für den Sputnik verwendete Trägerrakete Wostok zur Interkontinentalrakete R-7 (SS-6 Sapwood) weiterentwickelt war. Neben der geringen Zielgenauigkeit hatten die Konstrukteure damit zu kämpfen, dass der Atomsprengkopf beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre den auftretenden Kräften nicht standhielt und sich selbst zerlegte. Erst nach erheblichen Veränderungen gelang es Sergej Koroljow, die R-7 zur Einsatzreife zu bringen. Im Januar 1960 wurde sie als erste sowjetische Interkontinentalrakete offiziell in die Bewaffnung der UdSSR aufgenommen. Wirksame Propagandawaffe Chruschtschow setzte, anders als Stalin, nicht auf ausgewogene strategische Streitkräfte, sondern favorisierte unter dem Einfluss der Technokraten der Rüstungsindustrie fast ausschließlich Raketenwaffen. Schwere Bomber betrachtete der neue sowjetische Staats- und Parteichef als teuer und perspektivlos, während er in den Fernlenkwaffen eine billige und vor allem zukunftsträchtige Alternative sah. Zudem hatten Chruschtschow und seine Militärs erkannt, dass Atomraketen es möglich machten, militärpolitische Macht in bisher nicht gekannten Maß über große Entfernungen zu verlagern. Mit dem bloßen Vorhandensein einsatzbereiter Nuklearwaffen und der Androhung ihres Einsatzes ließen sich gezielt politische Forderungen bzw. eine günstigere Verhandlungsposition durchsetzen. Bis zum Ende der 1950er Jahre konnte der Kreml-Chef der Weltöffentlichkeit glauben machen, dass die Sowjetunion über mächtige Atomwaffen mit interkontinentaler Reichweite verfügte. Tatsächlich waren solche Flugkörper aber in den Arsenalen der Sowjetarmee kaum vorhanden, denn 1960 verfügte man lediglich über vier Abschussrampen für die R-7. Gleichwohl erwies sich die erste sowjetische Interkontinentalrakete, obwohl für Kampfeinsätze weitgehend ungeeignet, als eine der wirksamsten Propagandawaffen des Kalten Krieges. Dank der Erfolge der R-7 als Trägerrakete konnte Chruschtschow der Weltöffentlichkeit suggerieren, die Sowjetunion verfüge über zahlreiche und jederzeit einsatzbereite Interkontinentalraketen. Die Militärs und Chruschtschow selbst hatten jedoch die gravierenden Schwächen der R-7 erkannt und drängten auf eine Verbesserung der Rakete und die Umsetzung neuer Waffenprojekte, um endlich die Vereinigten Staaten ins Visier nehmen zu können. Durch die Modifikation der Rakete zum Typ R-7 sollte durch die Steigerung der bisherigen Reichweite von 8.300 Kilometern auf mehr als 12.000 Kilometer endlich mehr als 90 Prozent der strategischen Ziele in den USA getroffen werden können. Da der sowjetische Parteichef jedoch auf Nummer sicher gehen wollte, arbeiteten seit Mitte der 1950er Jahre sowjetische Konstrukteure zudem fieberhaft an den Projekten »Buran« (dt. Schneesturm) und »Burja« (dt. Sturm), die die Sowjetarmee endlich in die Lage versetzen sollten, die USA mit Kernwaffen zu erreichen. Bei beiden Vorhaben handelte es sich um Entwicklungen von gewaltigen Flügelraketen, die zweieinhalb bzw. fünf Tonnen schwere Nuklearsprengköpfe mit einer Sprengkraft von bis zu drei Megatonnen im gelenkten aerodynamischen Flug bis zu einer Reichweite von 8.000 Kilometern befördern sollten. Nach dem Start mit Hilfe von abwerfbaren Feststoffboostern stieg die Flügelrakete zunächst fast senkrecht innerhalb von 90 Sekunden auf ihre Gipfelflughöhe von mehr als 24 Kilometer.
Mit dieser ambitionierten Technologie hofften die Konstrukteure eine Zielgenauigkeit von plus/minus zehn Kilometern zu erreichen, was als ausreichend angesehen wurde, um Ballungsräume wirkungsvoll zerstören zu können. Mit mehr als drei Mach raste sie dann – durch Astronavigation gesteuert – über eine Strecke von bis zu 8.000 Kilometer auf das vorgesehene Ziel zu. In dessen Nähe wurde dann zu einem vorausberechneten Zeitpunkt der Atomsprengkopf von der Trägerwaffe ausgeklinkt und raste schließlich im freien Fall auf das Ziel zu. Mit dieser ambitionierten Technologie hofften die Konstrukteure eine Zielgenauigkeit von plus/minus zehn Kilometern zu erreichen, was als ausreichend angesehen wurde, um Ballungsräume wirkungsvoll zerstören zu können. Das Ziel: Amerika Um das vorgegebene Ziel – Amerika – tatsächlichen zu erreichen, wurden zwei Konstruktionsbüros mit der Entwicklung beauftragt. Es zeigte sich jedoch rasch, dass bei beiden Vorhaben die Kosten schnell aus dem Ruder liefen und die zahlreichen technischen Schwierigkeiten der ehrgeizigen Vorhaben kaum in den Griff zu bekommen waren. Aus diesem Grund hatte das Zentralkomitee (ZK) bereits im September 1957 die Rüstungsindustrie angewiesen, das Projekt »Buran« zu stoppen und die weitere Förderung auf das Vorhaben »Burja« zu konzentrieren. Hier erfolgte am 1. August 1957 immerhin ein erster Flugtest, der allerdings fehlschlug. Auch zwei weitere Probestarts blieben ohne befriedigende Ergebnisse, da das Geschoss bereits kurz nach dem Verlassen der Startrampe wegen Fehlern in der komplizierten Steuertechnik außer Kontrolle geriet und am Boden zerschellte. In den nachfolgenden zwei Jahren erfolgten weitere Tests, von denen erst der vierzehnte am 2. Dezember 1959 den langersehnten Durchbruch brachte. An diesem Tag flog das Flügelgeschoss von Wladimirowka bei Astrachan entlang einer vorgegebenen Trasse zum 1.800 Kilometer entfernten Balachaschsee in Kasachstan, wendete dort selbständig um 180 Grad und ging dann, nachdem es eine Strecke von mehr als 4.100 Kilometern zurückgelegt hatte, in der Nähe des Startpunktes nieder. Zu diesem Zeitpunkt wurde bereits eine stationäre Startanlage für den Gefechtseinsatz gebaut, zwei weitere Stellungen waren geplant, die Kosten für den Bau jedes Abschussplatzes wurden mit rund 200 Millionen Rubeln veranschlagt. Zugleich begann die Entwicklung eines mobilen Startkomplexes. Die Kernprobleme des sowjetischen Militärs bei Atomwaffenprojekten mit interkontinentaler Reichweite konnte aber auch das Projekt »Burja« nicht lösen. Die Startvorbereitungen dauerten, genau wie bei der R-7, mindestens 24 Stunden, ein Nachfolgestart war erst nach 25 Stunden möglich. Allerdings war es gelungen, die Reaktionszeit zu verkürzen, denn in der höchsten Bereitschaftsstufe – hier erfolgte der Abschuss nach 30 Minuten – konnte der Flugkörper länger als ein Jahr verbleiben. Zu hohe Kosten Es zeichnete sich allerdings ab, dass Chruschtschow ob des gewaltigen Aufwandes – allein für 1960 waren für die Fortsetzung der Arbeiten zu »Burja« 1,4 Milliarden Rubel eingeplant – und der vergleichsweise mageren Ergebnissen, sein Interesse an dem Vorhaben einer Flügelrakete mit interkontinentaler Reichweite verloren hatte. Trotz Protesten seitens der Konstrukteure und der Luftwaffenführung, unter deren Federführung das Vorhaben gestanden hatte, wurde das Projekt »Burja« am 3. Oktober 1960 auf Anweisung der ZK-Spitze endgültig eingestellt. Grund hierfür dürften neben den hohen Kosten auch die Befürchtungen des Militärs gewesen sein, dass sich ein solcher Flugkörper trotz seiner Geschwindigkeit von über drei Mach von der amerikanischen Luftabwehr abfangen ließ. Zudem stand mit der von Michail Jangel entwickelten R-16 (SS 7 Saddler) endlich eine ballistische Interkontinentalrakete zur Verfügung, die – im Gegensatz zu dem Marschflugkörper »Burja« – ohne größere Schwierigkeiten die USA treffen konnten. Allerdings taugten die R-7 und die R-16 aufgrund der zeitraubenden Startvorbereitung nach Einschätzung der sowjetischen Militärführung nur zum Erst- bzw. Begegnungsschlag. Damit aber trugen die frühen Interkontinentalraketen nicht zur Verbesserung der Sicherheitslage der Sowjetunion bei, denn die ungedeckt stationierten Raketen mussten einen Überraschungsschlag der USA eher anziehen als abschrecken. Um zumindest die Überlebensfähigkeit ihrer strategischen Raketenwaffen zu erhöhen, entschied sich die sowjetische Führung im Frühjahr 1960 zur Stationierung der R-16 in unterirdischen Silos. Damit folgte sie den Amerikanern, die bereits 1957 den Bau verbunkerter Startanlagen für ihre Interkontinentalraketen beschlossen hatten. Im Juli 1963 wurde der erste unterirdische Startkomplex für die R-16 in Dienst gestellt. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die strategische Situation der Sowjetunion drastisch verschlechtert. Ursprünglich war Chruschtschow davon ausgegangen, die USA mit 150 bis 200 Interkontinentalraketen in Schach halten zu können. Doch diese Vorstellungen wurden rasch von der Wirklichkeit überholt. Zunächst sorgten amerikanische Spionageflüge und ab 1960 der Einsatz von Aufklärungssatelliten für die Lokalisierung der streng geheimen sowjetischen Abschussbasen, die damit durch Überraschungsangriffe verwundbar wurden. Das Minutemann-Programm Mit dem unter Kennedy initiierten Minuteman-Programm – mit dem die Vereinigten Staaten den sowjetischen Vorsprung bei der Entwicklung von Interkontinentalraketen aufholen und das sogenannte »Missile gap« schließen wollten – begannen die USA anschließend mit der massenhaften Stationierung vergleichsweise billiger Atomraketen, die durch pulverförmige Treibstoffe angetrieben wurden und damit wesentlich günstiger sowie sicherer in der Handhabung waren. Die Minuteman-Raketen konnten dank ihrer hohen Treffsicherheit die relativ wenigen und zudem großenteils ungeschützten sowjetischen Abschussbasen mit einem Erstschlag ausschalten. Die Sowjetunion sah sich jetzt einer eigenen »Raketenlücke« gegenüber. Hatte das Verhältnis zwischen sowjetischen und amerikanischen Raketen, die das Territorium des jeweils anderen Staates erreichen konnten, 1961 noch bei 1:3 gelegen, so war es 1964 bereits auf 1:5,5 gesunken. Wollte die UdSSR der Gefahr eines atomaren Enthauptungsschlages entgehen, so brauchte sie eine Rakete, die die militärischen Anforderungen voll erfüllte, sowie in großer Stückzahl preiswert herzustellen war. Nach Chruschtschows Sturz Ende 1964 blieb es seinem Nachfolger Leonid Breschnew vorbehalten, das strategische Gleichgewicht mit den USA herzustellen. Gleichwohl sind die Projekte »Buran« und »Burja«, die merkwürdigerweise von der sonst gut informierten US-Aufklärung gegen die Sowjetunion kaum beachtet wurden, ein Beweis dafür, wie fieberhaft Chruschtschow danach strebte, Atomwaffen in die Hand zu bekommen, mit denen sich Amerika ins Visier nehmen ließ. Aus diesem Grunde beauftragte der sowjetische Staats- und Parteichef beispielsweise seine Militärs auch mit der ernsthaften Begutachtung von noch abenteuerlicheren Projekten. So schlug unter anderem ein sowjetischer Offizier Chruschtschow vor, im Westatlantik künstliche Raketenabschussbasen zu errichten, die den bekannten Bohrinseln nicht unähnlich waren. Dort sollte das Militär dann die zahlreich bei der Sowjetarmee vorhandenen Mittelstreckenraketen stationieren, um diese wirkungsvoll gegen die Vereinigten Staaten zum Einsatz zu bringen. Es kann kaum verwundern, dass Generalstabschef Wassilij Sokolowskij Chruschtschow beschied, dass aus militärischen Gesichtspunkten das Vorhaben keine Beachtung verdiene. Chruschtschow scheint das Projekt jedoch nicht aus dem Kopf gegangen zu sein, denn genau drei Jahre später ließ er während der Kubakrise solche Raketen auf der Zuckerrohrinsel in unmittelbarer Nachbarschaft zu den USA stationieren.