Empire State, Golden State, Aloha State oder auch Famous Potatoes und The Spirit of America – die Autokennzeichen der US-Bundesstaaten zieren deren Spitznamen oder Slogans, die zumeist vom Stolz des jeweiligen Staates zeugen. Der Spruch End Taxation Without Representation aber ist von Stolz weit entfernt: Washington, D.C. macht durch sein Kennzeichen den eigenen Frust publik. Denn ausgerechnet die Hauptstadt der USA hat so gut wie keinerlei politischen Einfluss. In Washington befinden sich mit dem Weißen Haus, dem Kapitol als Sitz des Kongresses und dem Obersten Gerichtshof zwar die Standorte aller drei Staatsgewalten. Doch weder im Senat noch im Repräsentantenhaus, die zusammen den Kongress bilden, hat die Hauptstadt Abgeordnete, die sie repräsentieren. Grafik herunterladen Der Grund dafür ist in der Geschichte der USA zu finden. Bereits 1788 schrieb der Gründervater und spätere Präsident James Madison im 43. Federalist Paper, einer Sammlung von Artikeln, die der Verfassung vorangehen, es gebe eine »unabdingbare Notwendigkeit einer vollständigen Autorität des Regierungssitzes«. Auf der Suche nach einer geeigneten Hauptstadt entschlossen sich der erste Präsident George Washington und die Gründerväter deswegen, diese eigens zu erschaffen: Von den angrenzenden Bundesstaaten Maryland und Virginia wurde Land abgetrennt, um Washington, D.C. – benannt nach George Washington – als Regierungssitz darauf zu errichten und diesen zum Bundesdistrikt, nicht Bundesstaat, zu erklären. Daher auch der Zusatz »D.C.« im Namen der Stadt, der für »District of Columbia« steht. Ab 1800 war Washington, D.C. ständige Hauptstadt der Vereinigten Staaten. Da sie nicht so stark wuchs wie erwartet, gab man im Jahr 1847 einen Teil der Stadt, das heutige Arlington County mit Sitz des Pentagons, an Virginia zurück. Ein Jahr nach der Ernennung zur Hauptstadt wurde im sogenannten District of Columbia Organic Act von 1801 festgehalten, dass der Kongress direkte Kontrolle über den Bundesdistrikt haben würde. Das ist bis heute einer der Punkte, die die Bevölkerung Washingtons empören. Laut Verfassung kann der Kongress den Stadtrat auflösen und über den Bürgermeister hinweg Beschlüsse für die Stadt fassen. Dass es dieses Amt überhaupt gibt, ist ebenfalls eine Neuerung: Erst seit 1973 ist es Washington, D.C. erlaubt, einen eigenen Bürgermeister beziehungsweise eine Bürgermeisterin zu wählen. Auch das Recht, an den Präsidentschaftswahlen teilzunehmen, ist recht jung. Erst 1961 wurde der entsprechende 23. Zusatzartikel der Verfassung ratifiziert, der es der Washingtoner Bevölkerung erlaubt, Wahlmänner und -frauen zu wählen – allerdings mit einer Zusatzklausel: Sie dürfen nicht mehr Vertreter stellen als der bevölkerungsärmste Staat des Landes. Grafik herunterladen 700.000 Menschen ohne Mitspracherecht Dass Washington, D.C. dem Kongress untersteht, bedeutet aber nicht, dass der Bundesdistrikt im Kongress Mitspracherecht hat. Der Kongress besteht aus dem Repräsentantenhaus, in dem derzeit die Demokraten in der Mehrheit sind und dessen Sprecherin Nancy Pelosi ist, sowie dem Senat, mit den Republikanern in der Mehrheit und Mitch McConnell als Mehrheitsführer. Der Senat besteht aus den je zwei Senatorinnen oder Senatoren der 50 Bundesstaaten, während die 435 Sitze des Repräsentantenhauses nach dem Bevölkerungsanteil zugeteilt werden. Das führt dazu, dass einige der bevölkerungsärmsten Staaten nur durch einen Delegierten vertreten sind. Washington, D.C. ist mit einer Einwohnerzahl von gut 700.000 Menschen immerhin größer als Wyoming und Vermont, hat aber keinerlei Repräsentation im Senat. Und im Repräsentantenhaus ist sie nur symbolischer Natur: Zwar darf der Bundesdistrikt eine Person entsenden – seit 1991 ist Eleanor Holmes Norton Delegierte der Stadt –, diese hat aber nur Rede- und kein Stimmrecht. Diese politische Unterrepräsentation und Fremdbestimmung kennen übrigens auch die Gebiete, die zu den Außenterritorien der USA gehören, wie Puerto Rico oder Guam. Washington, D.C. aber hat die Besonderheit, dass hier, anders als etwa in Puerto Rico, Steuern abgetreten werden müssen. Und das sind nicht wenige: Washington, D.C. zahlt die höchste Pro-Kopf-Steuer der Vereinigten Staaten. Das führt zu großer Missstimmung – und daher zum Kennzeichen End Taxation Without Representation. Grafik herunterladen Hochburg der Demokraten In Washington gab es im Laufe von zwei Jahrhunderten mehrere Anläufe, mehr Representation zu erlangen. Fast trotzig druckte man ab dem Jahr 2000 den Spruch Taxation Without Representation auf die Kennzeichen, dem 2017 die Aufforderung End angefügt wurde. Angelehnt ist er übrigens an No Taxation Without Representation, eine Parole während des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges, als die Kolonisten Steuern an die britische Krone zahlen mussten, ohne im britischen Parlament vertreten zu sein. Außerdem hat sich D.C. im Jahr 2015 der Interessenvertretung Unrepresented Nations and Peoples Organization angeschlossen, der unter anderem auch Kurdistan und Katalonien angehören. Diese setzt sich für Länder und Völker ein, die nicht von den Vereinten Nationen anerkannt werden. Grafik herunterladen Im Laufe der Jahre gab es verschiedene Initiativen, den Distrikt in den 51. Staat, etwa in New Columbia oder State of Washington, D.C., umzuwandeln, oder politisch an Maryland anzubinden. 2016 wurde ein gesetzlich nicht bindendes Referendum zur Eigenstaatlichkeit abgehalten, bei dem sich knapp 78,5 Prozent für die Autonomie aussprachen. In der Vergangenheit hatten sich auch Bill Clinton und Barack Obama positiv dazu geäußert. Dass diese Versuche immer wieder scheitern, hat einen ganz konkreten Grund: 38 der 50 Bundesstaaten müssten dies ratifizieren, was bisher nicht gelungen ist. Denn Washington, D.C. ist eine Hochburg der Demokraten: 2012 stimmten 90,9 Prozent für Barack Obama, 2016 genauso viele für Hillary Clinton – und somit gegen die Republikaner. Grafik herunterladen Aktuelle Ausgabe Dieser Text erschien in der 18. Ausgabe von KATAPULT. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 19,90 Euro im Jahr. KATAPULT abonnieren