Aleppo wird belagert, jedoch ist Aleppo nicht gleich Aleppo. Bedingt durch Kämpfe zwischen Aufständischen und Regierung ist die syrische Metropole in zwei Hälften geteilt. So werden Ost- und West-Aleppo jeweils von Assads Truppen oder der Islamisten-Koalition umringt. Zwar konnte der Belagerungsring der Armee im Süden der Stadt durchbrochen werden, doch bedingt durch andauernder Kämpfe und die Lufthoheit der syrischen Armee gelangen nur spärlich Nahrungsmittel nach Ost-Aleppo. Infolgedessen könnten bald etwa zwei Millionen Zivilisten eingeschlossen sein. Die UN spricht von einer sich anbahnenden humanitären Katastrophe. Der Stellungskrieg um Aleppo offenbart zwei allgemeinere Tatsachen: Erstens ist die Situation in Syrien militärisch nicht mehr lösbar, und zweitens spielt die Etablierung von Menschenrechten in Syrien gar keine Rolle mehr. Militärisch nicht lösbar Infolge des Syrienkrieges sind die Regierungstruppen stark dezimiert worden. Assad ist auf Söldnernachschub aus dem Irak, dem Iran und dem Libanon angewiesen. Diese Verstärkung reicht jedoch gerade einmal aus, um Gebiete zu halten oder – wie die letzten Tage zeigen – eine Belagerung durchzuführen. Für groß angelegte Eroberungen ist die Truppenstärke zu gering. Darüber hinaus ist Aleppo nicht das einzige Gebiet, das Assad zurückerobern müsste: Die Idlib-Provinz im Westen Syriens, die ländliche Umgebung der Provinz Damaskus sowie der Osten Syriens, der im Einflussgebiet des Islamischen Staates liegt, sind nicht unter der Kontrolle der Regierung. Gleiches gilt für die Rebellen. Auch die Aufständischen haben in den fünf Jahren des Krieges große Verluste erlitten. Zunehmend ist man auf Nachschub aus sunnitischen Ländern wie den Golf-Staaten oder Nordafrika angewiesen. Doch mit dem Erscheinen des IS stoßen die vergleichsweise gemäßigten Rebellen beim Werben um Kämpfer auf starke Konkurrenz. Diesem Umstand entsprechend können auch die Islamisten nicht genügend Kämpfer mobilisieren, um entscheidende Offensiven zu starten. Somit dürften wichtige Städte wie Homs, Lattakia, Hama und Damaskus in Assads Hand bleiben. Die einzige Kraft in Syrien, die noch imstande ist, Großoffensiven zu starten, sind die Demokratischen Kräfte Syriens – eine kurdisch-arabische Allianz im Nordern Syriens, in der allerdings die Kurden die Führungsrolle einnehmen. Da der Rest Syriens außerhalb ihres Interessengebiets liegt, werden die Handlungen der Allianz auf Nordsyrien beschränkt bleiben. Zuletzt ist es ihnen in einer vom Westen unterstützten Offensive gelungen, die vom IS gehaltene Stadt Manbidsch komplett einzunehmen. Demnach wäre ein Gewinn Aleppos nicht als militärischer Entscheidungssieg zu betrachten. Eher würde die Handelsstadt als Druckmittel bei zukünftigen Gesprächen zwischen Damaskus und Opposition dienen. Am Ende wird der Syrienkonflikt nicht auf dem Schlachtfeld, sondern an den Verhandlungstischen ausgefochten werden. Humanitäre Ziele aus den Augen verloren Weiterhin wird deutlich, dass der Syrienkrieg kein Kampf mehr um humanistische Werte ist. Zwar hatten die Rebellen unter dem Einfluss der Freien Syrischen Armee anfangs tatsächlich vor, eine Demokratie zu etablieren, doch ist dieser Gedanke durch die Härte des Krieges und die Radikalisierung des Aufstandes längst in den Hintergrund geraten. Hauptsächlich geht es Regierung und Opposition nur noch um Machterhalt und Rache. So wurde häufiger berichtet, dass auch die Rebellen Gebrauch von Giftgas machen. Dazu hat die jüngste mutmaßliche Hinrichtung eines zwölfjährigen Jungen, der auf der Seite Assads gekämpft hatte, die Rebellen gegenüber dem Westen viel Sympathie gekostet. Trotzdem erhalten die Aufständischen weiter Unterstützung aus dem Westen. Den Vereinigten Staaten geht es darum, ihren Einfluss im Nahen Osten zu wahren. Denn dieser wird durch China und Russland bedroht. Dementsprechend möchte man die Golfmonarchen nicht verärgern. Die Gefahr, dass die einflussreichen Araber stärker mit den Chinesen – ihren zweitgrößten Erdöl-Abnehmern – kooperieren könnten, möchten die Amerikaner nicht eingehen. In Europa entscheidet sich gerade die Politik, ihre Unterstützung für die Rebellen zu beenden. Stattdessen wurden vermehrt die Kurden mit Waffen beliefert – eine Handlung, deren geopolitische Konsequenzen noch nicht absehbar ist. Dazu wird weiterhin auf eine diplomatischen Lösung gehofft, die jedoch nicht in Sichtweite ist. Letztlich ist die Syrienkrise zur Tragödie verkommen. Hier haben machtpolitische Interessen humanitäre Ideale schlichtweg überlagert.