Im Klappentext meines Romans frage ich: „Und wie ist es dazu gekommen, dass wir heute mehrere Dutzend Festangestellte in der Redaktion haben, von denen fast keiner ein richtig fettes Arschloch ist?” Jürn Kruse von Übermedien beantwortet die Frage in seinem Artikel zwar nicht, stellt aber zumindest klar, wer denn dieser eine fiese Typ, dieses Arschloch ist: ich. Hat er damit recht? Entscheidet selbst.
Der Skandalroman "Die Redaktion" von Benjamin Fredrich
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Kruse beschuldigt mich, in meinem Roman keine fiktiven Figuren erschaffen zu haben, sondern echte Menschen zu attackieren, ihnen wehzutun, undankbar zu sein, eine Abrechnung geschrieben zu haben und ganz allgemein ein mieser Typ zu sein. Offensichtlich sind ein paar Menschen durch meinen Roman verletzt worden. Das tut mir leid. Das war so nicht gewollt. Hätte ich es vorher gewusst, hätte ich es anders gemacht. Ja, ich bin bereit, mein Verhalten beim nächsten Roman zu ändern und auch die jetzigen Textstellen für die zweite Auflage abzuwandeln, wenn Nele (Buch-Pseudonym) oder andere das wünschen. Keine Pointe.
Auch den Vorwurf der Undankbarkeit möchte ich nicht bestreiten. Ein paar der ersten freien Schreiber’innen von KATAPULT haben mit Kruse gesprochen und sich beschwert, ich sei nicht dankbar, weil ich sie als „unfähig” beschrieben habe. Das ist korrekt. Trotzdem hätte ich das im Roman positiver beschreiben können. Damals habe ich die Geschichte so geschrieben, wie ich sie empfunden hatte. Es ist meine ehrliche Einschätzung der Gründungszeit. Eine positivere Ausdrucksweise hätte dem Roman aber nicht geschadet. Die harten und schmerzenden Worte tun mir leid.
Zum Interview
Herr Kruse von Übermedien hat mich an einer sensiblen Stelle des Interviews angelogen. Seine gesamte Motivation für die Story ist verlogen, seine Interviewführung ist an Manipulation kaum zu überbieten. Deshalb veröffentliche ich hier meine Sicht der Dinge und die Aufnahme des gesamten 84-minütigen Kruse-Interviews. Alle persönlichen Infos (Klarnamen, persönliche Details) mache ich natürlich unkenntlich. Das ist zwar immer noch nicht legal, aber legitim. Einen Rechtsstreit über die unerlaubte Veröffentlichung würde ich verlieren. Mir egal.
Von vorn
Jürn Kruse von Übermedien fragt über Twitter nach einem Interview. Thema: mein Roman „Die Redaktion”. Toll. Ich sag sofort zu und freue mich. Übermedien find ich gut. Die Texte von Niggemeier sind hart, die zynische Art von Rosenkranz (immer eine Augenbraue hochgezogen) mag ich auch. Abonnent bin ich schon lange. Nun also Kruse. Den kenn ich noch gar nicht, also google ich ihn direkt. Was kommt raus?
Kai Diekmann und Jürn Kruse (Quelle: Twitter)
Er war vorher bei der taz (warum nicht!), wurde von der Axel-Springer-Akademie ausgebildet (warum?!) und bei Twitter gibt es ein Bild von ihm mit dem früheren Bild-Chefredakteur Kai Diekmann (WARUM??!!). Diekmann schreibt über Kruse: „A new star is born” (muss das sein?). Na ja, komm Benni, denkt mein Gehirn, das muss doch nichts heißen. Foto mit Diekmann ist ungünstig, aber der Kruse kann ja trotzdem voll in Ordnung sein. Es klappt. Ich habe mich selbst überredet. Der ist trotz Diekmann und der ganzen dranklebenden Sensationsberichterstattung in Ordnung, bin ich mir sicher!
Ein paar Wochen später findet das Interview statt. Wir nutzen Skype. Jürn Kruse trägt einen einigermaßen durchgebumsten Jogger und sitzt verschlafen vor der Kamera. Gefällt mir. Sympathisch. Der ist trotz Diekmann in Ordnung, rede ich mir wieder ein. Die Technik klemmt, sein Aufnahmegerät will erst nicht, dann klappts irgendwann. Nu gehts aber los.
Die ersten 20 Minuten wird das Übliche abgefragt. KATAPULT-Wachstum, KATAPULT-Mitarbeitende, KATAPULT hier und da. Alles wie immer. Dann kommt er zum Roman. Endlich. Kruse hält sein Exemplar in die Kamera und zeigt mir stolz seine vielen Post-its, die er da alle reingeklebt hat. Wow, denke ich, der hat sich das aber ganz genau durchgelesen. Herr Kruse stellt jetzt mal eine erste Frage: „Ist das Buch eigentlich eine Abrechnung?“ – Nee, nur vielleicht bei einer Person. Ist es Rache? – Nee. Es gibt ja da schon Personen, die “gar nicht gut wegkommen, also gar nicht gut”, meint Kruse und lacht dabei etwas.
Ich weiß sofort Bescheid. Er meint den cholerischen Nachbarn. Ja, also das stimmt. Der kommt schlecht weg und taucht auch direkt am Anfang des Buches auf. Den meint Kruse aber gar nicht. Komisch. Er meint Kacke-Ingo. Okay, ja. Der kommt auch schlecht weg. Das stimmt. Kruse meint, er finde es komisch, dass man diese Figur aus dem Roman enttarnen kann. Ich bin baff. Wie geht das denn?, frag ich. Keine Antwort. Ich frag noch mal. Es sind ja gar nicht eins zu eins echte Personen. Wie will man die erkennen? Kruse sagt: „Man hat ja so seine Mittel.” Wow, ein investigativer Journalist. Ich bin wirklich überrascht. Wie kann man die finden? Ich zweifle an mir selbst. Die kann man doch gar nicht finden. Ab diesem Zeitpunkt verändert sich das Gespräch komplett.
Oh Gott! Was habe ich angerichtet?
Die Stimmung wird ernster, bleibt aber trotzdem freundlich. Der Vorwurf ist klar. Ich hätte gar keine fiktiven Figuren entworfen, sondern reale Personen beschrieben, die man jetzt zurückverfolgen und identifizieren kann. Alle Menschen können die zurückverfolgen? Was habe ich angerichtet! Ich bin kaputt! Ich würde mich schämen, wenn das wirklich stimmt. Deshalb frage ich mehrmals nach. Wie haben Sie das rausbekommen? Kruse gibt keine Antwort. Er will es nicht preisgeben. Ich frage noch mal. Dann sagt er: „Für mich war die Information: die Freundin, die bei der Deutschen Welle gearbeitet hat, natürlich ein extrem guter Hint.“
Oje, denke ich. Scheiße, darüber kann man jemanden identifizieren? Kruse lässt mich in dem Glauben, dass man das kann. Ich frage mehrfach nach, ich zweifel an mir selbst, ich entschuldige mich dafür. Kruse lässt mich weiterhin im Glauben, dass man meine Figuren enttarnen kann. Ich bin platt. Komplett aufgeschmissen. Mir ist ganz anders. Das hätte ich nicht gedacht und auch nicht gewollt.
Ich frag noch mal: „Und das hat man gefunden? Jemand, der bei der Deutschen Welle arbeitete und in Greifswald war?” Kruse antwortet nicht. Ich glaub ihm erst mal, obwohl er nicht antwortet, weil ich einigermaßen überrascht bin. Immer noch. Dann gehts weiter. Kruse gibt mir nach und nach zu verstehen, dass er mit fünf Leuten gesprochen hat, die denken, sich im Roman erkannt zu haben. Alle aus demselben Freundeskreis. Alle fünf Minuten kommt eine neue Person ins Spiel, mit der er vorher gesprochen habe. Wow, denke ich, das ist ja mal ne aufwendige Recherche.
„Jetzt mal positiv gemeint, sind Sie naiv?”
Jetzt stellt Kruse allgemeine Fragen. „Ist es so, wenn Sie jetzt sagen, Sie haben da nicht so drüber nachgedacht: Sind Sie einfach nicht der Typ, der so von den Konsequenzen her denkt?” Komische Frage. Ich sag, dass es in diesem Fall sein kann. Wenn man glaubt, Personen enttarnen zu können, dann war ich wohl nicht vorsichtig genug. Kruse lässt mich weiter glauben, man könne die Personen allein durch den Roman erkennen. Er fragt, ob ich eigentlich naiv bin. Wieder: komische Frage. Er konkretisiert: „Naivität gar nicht im negativen Sinne”, und fügt hinzu: „Wahrscheinlich wäre unsere Welt eine bessere, wenn alle Menschen naiver wären.” Ach so? Wäre sie das? Kann es sein, dass er genau diesen einen Satz einfach mal von mir hören will? Ich füge nur hinzu, dass es dann auch eine härtere Welt wäre. Aber klar, ich bin auch naiv, wie sollte ich sonst KATAPULT gegründet haben.
Die Fragen gehen noch eine Weile in die gleiche Richtung. Sind Sie naiv (ganz positiv gemeint!)? Denken Sie eigentlich an Konsequenzen (sicher auch sehr positiv gemeint)? Sind Sie ein Typ, der nach unten tritt? Ich bemühe mich um Antworten. Nach 1:24 Stunden sind wir fertig und verabschieden uns freundlich. Puh. Ich sitze vor meinem Monitor und weiß nicht so richtig, was das war. Kann man die Vorbilder für Kingo und Nele als Unbeteiligter wirklich erkennen, obwohl ich sie mit anderen Personen vermischt, etwas fiktionalisiert und deren Namen geändert habe? Ich ärger mich über mich selbst und gehe laufen. Schon bei Kilometer zwei wird mir klar, das war ein ganz neuartiges Interview.
So was kannte ich vorher nicht. Er hatte zwar das ganze Buch mit Zetteln vollgeklebt, aber eigentlich ging es nur um diesen einen Freundeskreis, also um etwa drei Prozent des Buches. Alles andere lässt er weg. Keine Fragen über die vielen euphorischen, positiven Sachen. Keine Frage über mein eigenes Scheitern. Er lässt alle meine positiven und auch differenzierten Erzählungen über Ella, Tim, Sebastian Jabbusch und viele andere weg. Es ging nur ums Negative. Komisch. Bei Kilometer drei wird mir klar, der Typ hatte eine Agenda. Bei Kilometer fünf wird mir klar, seine Story stand schon vorher fest. Bei Kilometer zehn frage ich mich, warum er mir am Anfang nicht offen gesagt hat, dass er vorher mit Leuten gesprochen hat, die denken, sich erkannt zu haben, und sich nun unwohl mit dem Buch fühlen. Warum immer so nach und nach? Bei Kilometer zwölf denke ich: Oje, die Springer-Akademie.
„Wäre unsere Welt nicht eine bessere, wenn alle naiv wären, Herr Fredrich?”
Ich will mir das Interview noch mal anhören und frage Kruse nach der Datei. Er schickt sie und fragt, warum ich die haben will. Ich antworte nicht und höre mir das Interview an. Kruse hat recht. Ich bin naiv. Denn ich bin das ganze Interview lang nicht drauf gekommen, dass er mit einem festen Plan gekommen ist, dass er ganz bestimmte Sätze von mir hören wollte, die mich später belasten sollen. „Jetzt mal ganz positiv, sind Sie naiv? Also positiv gemeint! Unsere Welt wäre doch eine bessere?” Was ist das für ein Mist. Wenn man einen negativen Artikel schreiben will, kann man doch so nicht fragen! Er interviewt mich eigentlich nur, um seiner fertigen Geschichte Futter zu geben.
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Kruse: "Sind Sie naiv? Wäre unsere Welt nicht eine bessere?"
In den USA gibt es dafür einen Ausdruck: gotcha journalism - eine Interviewmethode, bei der die Befragten dazu gebracht werden sollen, Aussagen zu treffen, die ihrem eigenen Ruf schaden oder sie in Misskredit bringen. Ich habe keine journalistische, sondern eine wissenschaftliche Ausbildung absolviert. Ich kenne Journalismusschulen nicht. Kann mir jemand sagen, ob man so was auf der Springer-Akademie eventuell sogar erlernt? Das wäre einigermaßen pervers, aber doch auch vorstellbar. Ich werde jedenfalls das Gefühl nicht los, dass schlimm stinkender Bildmief in diesem Kruse-Interview steckt. Also positiv gemeint!
Aber mich wurmt immer noch, dass man aus meinem Roman auf Personen schließen könne. Der Vorwurf ist hart, weil ich damit in aller Öffentlichkeit nach unten treten würde, was ich nie wollte. Ich meine nicht die öffentlichen Personen wie Professor Buchstein, Sebastian Jabbusch oder Stefan Niggemeier, sondern die privaten. Deshalb recherchiere ich selbst. Kann man von der Beschreibung von Nele und Kingo auf reale Personen schließen, wie Kruse es mir vorwirft? Ich finde nichts. Vielleicht bin ich blind. Vielleicht recherchiere ich schlecht. Deshalb beauftrage ich Juli Katz.
Das ist die beste Detektivin unserer Redaktion. Eine gnadenlose Fakten- und Fehlerfinderin. Sie soll das Buch noch mal lesen und dann alles daransetzen, irgendwelche realen Personen zu finden. Wenn es dann welche wären, von denen ich tatsächlich inspiriert wurde, wäre das schlecht für mich. Juli ist hoch motiviert, weil es gegen mich geht. Das mag sie wohl. Nach vier Tagen kommt sie zu mir und meint, es ist alles Mist. Sie hat alles versucht. Kein Ergebnis. Man findet die nicht. Weder durch die Orte noch durch die Berufsbezeichnung „Deutsche Welle” noch durch andere Beschreibungen. Und: Warum sollte man auf die Idee kommen, auch nur ansatzweise in diese Richtung zu recherchieren? Mit welcher Motivation?, fragt Juli.
98 Prozent Lüge
Okay, mir reicht das nicht. Ich gebe den Auftrag an vier weitere Journalist’innen. Sie sollen alle das Gleiche rausfinden. Ergebnis: Es ist einfach nicht möglich. Niemand findet die Leute, von denen ich meine fiktiven Figuren abgeguckt habe. Ich bin mir nun zu 98 Prozent sicher, dass Jürn Kruse mich angelogen hat. Aber irgendwie reicht das immer noch nicht. Ich brauche die restlichen zwei Prozent. Also erst mal abwarten. Juli meldet sich noch mal und will die Klarnamen haben. Sie will es jetzt endlich mal wissen. Soll sie haben. Danach sagt sie, das ist ja komisch, man findet Nele auch nicht mit Klarnamen in Verbindung mit der Berufsbezeichnung. Das ist also komplett unmöglich. Hat die da überhaupt gearbeitet oder war das vielleicht nur ein Praktikum? Es gibt keine Artikel, keinen Beitrag, nichts. Kruse hat wohl gelogen, als ich ihn gefragt habe, wie er an die Informationen gekommen ist. Wir sind bei 99 Prozent Kruselüge, aber das reicht natürlich immer noch nicht.
100 Prozent Lüge
Irgendwann schickt Kruse mir die Zitate für den Artikel. Ein paar gebe ich frei, ein paar gebe ich nicht frei und erkläre ihm auch, wieso ich das nicht will. Untypisch für mich. Eigentlich gebe ich bei Interviews alles frei. Drei Tage später veröffentlicht Übermedien den Artikel online. Das Erstaunliche: Kruse gibt mir darin das letzte Prozent, das mir zuvor gefehlt hat. Wow. Jürn Kruse hat mich im Interview wirklich angelogen. Hundert Prozent. Er schreibt: „Jemand aus diesem Kreis meldet sich bei uns, weist uns auf diese und andere Stellen hin. Wir fragen uns durch, bis wir bei Ingo und Nele landen.” Nachdem ich ihm also per Mail mitgeteilt habe, dass man überhaupt keine Figur enttarnen könne und er mir bitte mal den Rechercheweg geben soll, hat er im Artikel die Strategie gewechselt und lieber selbst zugegeben, dass alles Vorige im Interview eine Lüge war. Mutig.
Er hat es nicht einfach so rausrecherchiert, „rumgefragt”, wie er behauptet hatte. Er hat da auch nicht “so seine Mittel”, wie er gesagt hat. Er hat Hinweise „aus dem Kreis” bekommen. Wir wissen mittlerweile auch, von wem Herr Kruse kontaktiert wurde. Er hat den Kontakt zu denen, die sich für Kingo und Nele halten, von einem langjährigen Freund der beiden einfach durchgegeben bekommen. „Wir fragen uns durch” ist die zweite Lüge. Kruse muss sich nicht durchfragen, es ist einfach ein und derselbe Freundeskreis des Informanten. Fertig.
Wie oft hab ich Kruse gefragt, ob er das wirklich allein rausgefunden hat? Sechsmal. Wie oft lässt er mich zappeln und lügt oder löst seine Lüge nicht auf? Sechsmal.
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Sechsmal die gleiche Frage an Jürn Kruse, auf die er lügen wird.
Warum ist das alles eigentlich so ein großer Unterschied? Warum mache ich hier so ein riesen Ding draus? So, wie es jetzt gelaufen ist, hat Kruse lediglich einen Freundschaftsdienst verrichtet. Das machen Journalisten selten. Am Ende hatte er zusätzlich auch das Interesse, diesen schönen Skandal, der zum Greifen nah schien, irgendwie durchzubekommen, egal wie, ob er stimmt oder nicht. Jemand meldet sich bei Kruse und meint, guck mal, ich fühle mich hier nicht richtig dargestellt. Kruse geht dem nach, was vollkommen in Ordnung ist. Dann muss man das aber auch ehrlich sagen. Kruse aber ruft mich an und sagt, er hätte das alleine rausbekommen, damit die Kritik lautet: Alle können diese Figuren finden! Guck, was du angerichtet hast, Fredrich! Du machst hier Leute fertig, du trittst nach unten und die ganze Welt weiß, wer deine fiktiven Figuren in Wirklichkeit sind.
Zur Erinnerung: Ich war im Interview durchaus verzweifelt und habe mehrfach gefragt: Wie findet man das raus? Antwort: „Ich hab da so meine Mittel.” Wie findet man das raus? Keine Antwort. Aber jetzt echt mal, wie geht das? „Also über die Deutsche Welle.” Ich bitte Kruse später per Mail, mir den Rechercheweg zu zeigen. Wie hat er das ohne Insidertipp rausbekommen? Ich möchte es wirklich gerne wissen. Heute weiß ich, warum er nie geantwortet hat. Er kann nicht. Weil er dann zugeben müsste, keinen Journalismus, sondern einen Freundschaftsdienst mit anschließender Sensationsberichterstattung betrieben zu haben.
Verzerrung wie bei der Bild
Es gibt eine Person, die sich auf direktem Weg hart angegriffen fühlt. Das ist die Person, aus der ich teilweise Kingo gebaut habe, die Romanfigur, die auch persönlich beleidigt wird. Kruse zitiert die Person, die sich in Kingo wiedererkennt: „Freunde hätten ihn angeschrieben, ihn angerufen. Alle hätten in ihm ebenjenen Ingo erkannt. 'Die wissen, dass das Quatsch ist.' Er selbst könne das auch ganz gut von seinem realen Leben trennen, sagt er.” Für diese Sache habe ich oben um Entschuldigung gebeten, aber im Prinzip sagt er das, was Ingo ist: Eine Montage, die nicht die reale Person ist. Das wissen seine Freunde und das weiß er. Was bleibt dann noch von der Kritik übrig? Genau 1,2 Seiten eines 250-seitigen Romans. Auf diesen Seiten werden nämlich die „unfähigen Freien” beschrieben, die Kruse zu Wort kommen lässt. Dieser kurze Abschnitt des Buches ist der eigentliche Auslöser der kruseligen Bild-Skandal-Gotcha-Story. In diesem kurzen Abschnitt erkennt sich eine Person wieder und fühlt sich dadurch dermaßen gekränkt, dass sie sich einen Journalisten sucht und ihm „skandalöse” Hintergrundinfos zuspielt.
Kruse - entweder naiv oder mit der Person befreundet - nimmt das zugeworfene Stöckchen dankbar auf und bastelt auf dem Fundament dieser 1,2 Seiten eine Skandalgeschichte. Das sind 0,48 Prozent des Buches. Dass das ein seriöser Journalist mitmacht, ist absolut unverständlich. Vor allem vor dem Hintergrund, dass Kruse weder positive Aspekte in der Figurenbeschreibung beachtet, noch andere Figurenvorlagen von ihm recherchiert wurden. Was war eigentlich seine Eigenleistung? Für mich liest sich der Artikel wie eine Auftragsarbeit. Ich schreibe Positives und Negatives. Guckt es euch an:
Die unfähigen Freien im Roman "Die Redaktion" von Benjamin Fredrich
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Kruse will mich im Allgemeinen als fiesen Typen darstellen, dafür braucht er das Argument, ich stelle wehrlose Leute vor der gesamten Welt bloß. Das geht aber nur, wenn er seine Quelle nicht preisgibt. Wenn er sie preisgibt, kommt raus, dass man eben ohne Insidertipp aus dem Freundeskreis niemanden finden kann, weil die Figuren literarisch verfremdet sind. Er hat im Interview gelogen.
Ja, ich hatte durch die ganze Geschichte ein paar schlaflose Nächte. Ja, ich habe einige Journalist’innen für mehrere Tage engagiert und bezahlt, um die Sache nachvollziehen zu können. Ja, ich habe die halbe KATAPULT-Redaktion mit dem Verhalten von Jürn Kruse konfrontiert. Vielleicht ist es eine kleine Genugtuung für ein paar Leute. Vielleicht freut sich auch Herr Kruse darüber. Die restliche Übermedien-Redaktion scheint ebenfalls erleichtert, mir mal ans Bein pinkeln zu können, aber irgendwie ist sie durch die Lügen, die Gotcha-Methode und die zusätzliche Verzerrung jetzt mindestens so sehr in Erklärungsnot wie ich vorher. Oder vielleicht sogar noch mehr? Ist nur ne Frage und positiv gemeint!
Interview komplett veröffentlichen
Ich habe euch das gesamte Kruse-Interview als Audiodatei verlinkt. Hört es euch an und entscheidet selbst, ob Kruse einen aufrichtigen Artikel geschrieben hat und ob ich ein fieser, mieser Typ bin. Denn interessant ist auch die Stimmung im Interview im Vergleich mit der Stimmung im Kruse-Artikel. Es ist nämlich ganz nett und freundlich gewesen. Wir lachen sogar. Nur die Fragen waren komisch. Meine Antworten sind differenziert. Ich bemühe mich ernsthaft um ehrliche Antworten. Und: Ich kritisiere mich auch selbst - in meinem Buch und auch im Interview. Davon schreibt Kruse nichts. Hört es euch an und entscheidet selbst. Vielleicht ist es eines der aufschlussreichsten Interviews, die ich je gegeben habe, weil es eigentlich nicht für die Öffentlichkeit gedacht war.
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Gesamtes Kruse-Fredrich-Interview
Wenn nötig, veröffentliche ich auch den Mailverkehr mit Herrn Kruse, weil durch ihn ersichtlich wird, dass Kruse mir fälschlicherweise unterstellt, gar nicht so transparent zu sein, wie ich immer vorgebe. Es hatte jedoch einen ganz relevanten Grund, warum ich einige Stellen nicht freigegeben habe, den Kruse aber nicht erzählt hat, weil er nicht in seine Story passt. Ich habe es gemacht, weil ich wusste, dass er die Zitate falsch (Sind Sie naiv? Also positiv naiv?!) zusammenbasteln wird, auch um die vermeintlichen Personen, die sich getroffen fühlen, zu schützen. Das wollen die aber anscheinend gar nicht. Deshalb hier nun die ganze Wahrheit. Klarnamen habe ich weggepiept. Hört es euch alles an und entscheidet selbst.
Das sind die restlichen sieben Punkte, die im Kruse-Artikel inhaltlich falsch sind:
Erstens
„Mit einem halben Dutzend (ehemaliger) 'Katapult'-Mitarbeiter haben wir gesprochen.” Kruse hat mit genau null ehemaligen KATAPULT-Mitarbeitenden gesprochen. Er hat mit fünf ehemaligen Studierenden (Freundesgruppe) gesprochen, die nie Mitarbeitende bei uns waren. Sie haben damals als Studierende Artikel in einem Printmedium unterbringen wollen. Niemand von denen hatte einen Arbeitsvertrag bei uns. Niemand war professionelle’r Schreiber’in. Was machen eigentlich Journalisten, denen es um eine dicke Story und nicht um die Wahrheit geht? Sie machen aus fünf Leuten ein halbes Dutzend. Bitte korrekt bleiben! Die Überschrift des Kruse-Artikels ist übrigens auch komplett falsch.
Zweitens
„Fredrich hat allem Anschein nach zwei Personen vermengt, um sie zu verschleiern. [...] Macht es das nicht noch viel schlimmer für den realen Ingo?” Herr Kruse, wenn man zwei Personen vermengt, gibt es offensichtlich keinen realen Ingo. Verstehen Sie das? Frage ist ganz positiv gemeint!
Drittens
„Platzhirsch Nordkurier“. Der Nordkurier ist nicht der Platzhirsch in MV. Es gibt drei Zeitungen, die sich die alten DDR-Bezirke teilen. Der Nordkurier ist davon die kleinste Zeitung.
Viertens
„Und Fredrich verbreitete von Anfang an mehr als ein Heft: Er verbreitete eine Geschichte.” Wie soll man von Anfang an eine verkaufsfördernde Erfolgsgeschichte verbreiten, wenn man zwei Jahre lang erfolglos ist? Nein, das ging erst danach los.
Fünftens
„Dabei hätte er das nie durchziehen können ohne all die Leute, die ihm unentgeltlich geholfen haben.“ Ja, uns wurde viel geholfen. Ja, dafür bin ich auch dankbar. Das waren etwa 15-20 Leute, die uns geholfen haben. Mit dieser einen Freundesgruppe (fünf Leute), die sich nun beschwert, war es aber leider immer etwas anstrengend und einige von uns haben sich am Ende zerstritten. Trotzdem habe ich im Buch differenziert aufgeschrieben, dass manche schreiben konnten und manche nicht gut schreiben konnten oder uns einfach mal dreist eine alte Hausarbeit als Artikel andrehen wollten. Das habe ich Kruse auch alles im Interview erzählt, aber die Differenzierung passt nicht in sein Narrativ, deshalb lässt er sie weg. Zum Verständnis: Das Wichtigste für KATAPULT war, dass Ella, Tim und ich Überstunden gemacht haben. Da haben längst nicht alle anderen Leute mitgezogen, sie sind zu spät zu Sitzungen gekommen, manche waren unzuverlässig bei Abgabeterminen. Vor allem aber waren ihre Artikel oft sehr redigierintensiv. Das war auch eine Last. So wie sie im Roman stehen, sind die Begebenheiten ganz gut dargestellt. Das ist vielleicht nicht schön, aber es ist korrekt.
Sechstens
„Manuel [hat an] Sitzungen teilgenommen, mitgeplant, sei komplett eingebunden gewesen, erzählt er Übermedien. Geld habe auch er dafür nicht bekommen.” Da hat dieser „Manuel” Übermedien aber schön angeschwindelt. Die Person, mit der Kruse gesprochen hat, hat weder bei KATAPULT gearbeitet, noch hat sie was geplant. Das ist nicht wahr. Jetzt das fehlende Gehalt zu bemängeln, ist daneben. Denn gerade die Person hat damals immer wieder betont, es ginge ihr ausschließlich darum, eine Veröffentlichung im gedruckten Magazin zu bekommen. Wir haben immer von vornherein kommuniziert, dass wir kein Geld haben.
Siebentens
„Bei Fredrich, der allen zeigen will, wie richtiger, furchtloser Journalismus geht, ist es einigermaßen überraschend, dass er nicht mehr zu seinem Wort [Transparenz] stehen will.” Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben Bild-Gotcha-Journalismus gespürt. Dass Kruse die Zitate falsch und zusammenhangslos verwenden wird, war mir vorher klar. Deshalb habe ich nicht alle Zitate freigegeben. Mein Argument und meine Kritik an ihm (per Mail) lässt er aber großzügig weg. Ich möchte zu meinem Wort stehen. Deshalb wird Herr Kruse sicher kein Problem damit haben, dass ich das gesamte Interview veröffentliche, obwohl er mir etwas verwalterisch geschrieben hat, „nicht zur Veröffentlichung bestimmt“.
Jetzt Sie, Herr Kruse!
Ich habe lange überlegt, wie ich diesen Artikel hier angehe. Meine Bitte um Entschuldigung ist ernst gemeint und die Ankündigung, vor dem nächsten Roman über Konsequenzen nachzudenken, auch. Ich habe einen Fehler gemacht, indem ich Leuten unnötig wehgetan habe. Ab jetzt werde ich es anders machen. Das anzuerkennen hat etwas Kraft und Mut gekostet, aber ich finde es wichtig.
Herr Kruse, bitte machen Sie das ebenfalls. Denn auch Sie haben eine Schwäche: Sie haben mindestens einen Interviewten absichtlich getäuscht. Sie haben gelogen, um Ihre Skandalstory erzählen zu können. Dieses Verhalten ist eigentlich der Grund, warum ich immer wieder diese harten Artikel geschrieben habe, weil eben die Süddeutsche, Cornelsen, Hoffmann und Campe und jetzt auch Übermedien an irgendeiner Stelle nicht aufrichtig waren. Ja, ich weiß, meine Texte sind manchmal etwas ruppig und manche finden meinen Ton zu hart, das weiß ich alles, aber es stört mich enorm, dass Transparenz und Aufrichtigkeit so häufig in genau der Branche fehlen, in der es eigentlich darum geht, Transparenz und aufrichtige Weitergabe von Informationen zu garantieren.
Herr Kruse, wenn man so einen negativen Artikel schreibt, dann muss halt auch alles stimmen. Bei Ihnen stimmt nicht mal die Hälfte. Zu vieles ist eindeutig falsch. Zu vieles ist krass verzerrt. Mich stört auch, dass ich Ihrem Interview überhaupt zugesagt habe. Falls noch mehr Bild-Diekmann-Freunde von der Axel-Springer-Akademie mit mir reden wollen, lasst es einfach. Fragt mich nicht nach Interviews! Ich finde euch alle scheiße und wünsche mir, dass die Bild und auch die ganzen anderen Springer-Sensationsblätter schnellstmöglich sterben.
P.S.: Kackebenni
Boris Rosenkranz von Übermedien (der mit der hochgezogenen Augenbraue) hat bei Twitter versucht, den Hashtag #kackebenni zu etablieren. Wie oft wurde er genutzt? Zweimal. Von wem? Boris Rosenkranz. Also er hats zweimal versucht, aber niemand hat mitgemacht. Ist das peinlich? Find ich nicht. Das kann noch werden, also lasst uns den Hashtag retten. Helft alle mit! Ich nehm den Namen hiermit offiziell an. Im nächsten Roman gibts dann das große Drama zwischen Kackebenni und Lügenjürn, der einen sehr, sehr geheimen Informanten hat, aber nicht zugeben darf, woher er seine Infos hat, woraufhin Boris die Augenbraue den kreativen Hashtag #kackebenni erfindet, weshalb Kackebenni einen total peinlichen Artikel mit ernst gemeinter Entschuldigung schreibt, der mit dem Wort “endet” endet.
-- Hallo?! Warum fehlen in diesem Artikel die Schimpfwörter? --
Schätzungsweise fünf Prozent unserer Leser’innen finden meine harte Schreibweise nicht so gut. Darunter auch meine Oma. Deshalb gibt es von diesem Artikel zwei Varianten. Das hier war die Variante “Fredrich reißt sich zusammen”. Die Variante “Fredrich rastet aus”, also die echte Rohfassung mit eingebauter Schimpfgarantie, veröffentlichen wir in zwei Tagen. Auf der Seite fredrich-rastet-aus.de könnt ihr dann in den nächsten Tagen abstimmen, welche Variante euch besser gefällt.