Bis Juli 2015 hatten Eltern von Kleinkindern im Alter zwischen 15 Monaten und 3 Jahren einen Anspruch auf Betreuungsgeld, wenn sie ihre Kinder zu Hause betreuten und nicht in einer Kindertagesstätte (Kita) anmeldeten. Dann wurde das Betreuungsgeld vom ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts gekippt. Die Begründung: Der Zuschuss in Höhe von 150 Euro sei nicht rechtmäßig, denn diese bundesweite Regelung verstoße gegen das Grundgesetz. Trotzdem wird das Geld für die Dauer der Bewilligung an jene Familien weiterhin ausgezahlt, die bereits einen positiven Bescheid über ihren Antrag erhalten hatten. Die frei werdenden Mittel will Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig künftig in den Ausbau von Kitas und Betreuungsplätzen fließen lassen. Grundsätzlich ist dieses Vorhaben gut. Doch es sollte sichergestellt werden, dass das Geld tatsächlich dafür eingesetzt wird, besonders den armen Kindern in Deutschland die Möglichkeit zu bieten, sich an sportlichen oder musikalischen Aktivitäten zu beteiligen. Was Armut nach sich zieht Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung belegt, dass Kinderarmut ein nachweisbares Risiko für die Kindesentwicklung darstellt. Dabei wurde festgestellt, dass ein Zusammenhang zwischen Kinderarmut und mangelnden Fähigkeiten im Bereich der deutschen Sprache, der Mathematik, hinsichtlich der Körperkoordination und der Aufmerksamkeitsspanne besteht. Besonders relevant ist die Erkenntnis, dass arme Kinder seltener Zugang zu präventiven Maßnahmen, wie beispielsweise den Früherkennungsuntersuchungen, haben. Außerdem bekommen sie weitaus seltener als nicht-arme Kinder die Möglichkeit, Mitglied in einem Sportverein zu werden, eine musikalische Einrichtung zu besuchen oder möglichst früh in die Kita zu gehen. In Finnland, Norwegen und Schweden, wo das Betreuungsgeld seit 1985, 1998 beziehungsweise 2008 gezahlt wird, ist der Anteil der Eltern, die einen Antrag darauf gestellt haben, in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen, obwohl dort zwischen 330 und 430 Euro Betreuungsgeld gezahlt werden. In den Ländern wird jedoch auch diskutiert, das Betreuungsgeld wieder abzuschaffen, weil es kaum in Anspruch genommen wird, seitdem sich die Betreuungsmöglichkeiten verbessert haben. In den skandinavischen Ländern wurde zudem festgestellt, dass die Empfänger des Betreuungsgeldes viele Gemeinsamkeiten aufweisen. Am häufigsten beziehen Frauen mit niedriger Bildung, geringem Einkommen und Migrationshintergrund Betreuungsgeld. Warum Sport wichtig ist In Nordrhein-Westfalen (NRW) kommen im bundesweiten Vergleich die wenigsten Kinder unter drei Jahren in eine Kita, die Kinderarmut ist am höchsten. Dort ist jedes fünfte Kind unter drei Jahren arm, bundesweit ist es jedes sechste Kind. Somit liegen in NRW bei den Schuleingangsuntersuchungen die meisten Fälle von Entwicklungsstörungen vor. Durch die Abschaffung des Betreuungsgeldes steigen die Chancen, dass arme Kinder früher in eine Kita kommen und dort besser gefördert werden. Der Ausbau von Kitaplätzen und die Qualitätssteigerung von Kindertagesstätten gehören zu den besten Möglichkeiten, armen Kindern die gleichen Chancen einzuräumen wie denen aus wohlhabenderen Familien. Auch sportliche Aktivitäten im Kleinkindalter können zukünftige Schulanfänger vor Entwicklungsstörungen schützen. Deshalb sollte auch dieser Bereich durch die frei gewordenen Mittel gefördert werden. Sport hat einen positiven Effekt auf alle untersuchten Aspekte der Entwicklung der Kinder, denn es beeinflusst die Körperkoordination, fördert die Konzentration und hat eine vorteilhafte Wirkung auf die Sprache. Ist Aufklärung die Lösung? Das Geld, das nun nicht mehr dem betreuenden Elternteil als finanzieller Ausgleich dafür gezahlt wird, dass er nicht mehr arbeiten gehen kann, sollte ausnahmslos in Projekte fließen, die Kindern zugutekommen. Solche Maßnahmen können bessere Sportangebote in den Kitas sein, ein finanzieller Anreiz für Eltern, ihr Kind früher in eine Kita zu bringen, oder einfach mehr qualifizierte Erzieher und Erzieherinnen einzustellen und einen angemesseneren Lohn für die wertvolle Arbeit, die sie leisten, zu zahlen. Sicherlich liegt die Entscheidung bei den Eltern, ob und wie sie ihre Kinder fördern möchten. Aber es sollte ihnen durch eine bessere Vernetzung mit Kita, Jugendamt, Vereinen und Kinderärzten ermöglicht werden, sich genauer mit den Folgen auseinanderzusetzen und so frühzeitig Entwicklungsstörungen feststellen und behandeln zu lassen. Hilfreich sind dabei die Früherkennungsuntersuchungen beim Kinderarzt. Die Einführung einer Pflicht zu dieser Untersuchung erhöht die Chancengleichheit der Kinder und sollte dringend eingeführt werden. Sie wird komplett von der Krankenkasse übernommen, sodass es auch armen Familien möglich ist, ihre Kinder ohne einen Eigenbeitrag untersuchen zu lassen. Des Weiteren kann eine unentgeltliche Mitgliedschaft in einem Sportverein eventuelle Entwicklungsverzögerungen reduzieren. Das Geld könnte direkt vom Jugend- oder Sozialamt an die Vereine gezahlt werden, denn es ist den Vereinen unzumutbar, die Kosten selber zu bestreiten. Es ist auch denkbar, dass die Eltern das Geld für den Vereinsbeitrag zur Verfügung gestellt bekommen, dann allerdings mit der Auflage, dieses Geld nur zu diesem bestimmten Zweck zu verwenden. Dass Sport und Musik schon im frühen Kindesalter die Entwicklung bereichern, sollte durch Aufklärungskampagnen bekannter gemacht werden. Besonders arme Kinder müssten in diesen Bereichen gefördert werden, um einer Verzögerung in der Entwicklung entgegenzuwirken. Die Politik sollte sich genauer mit den Konsequenzen von Armut beschäftigen und sich nicht an eine Form der Betreuungsart klammern, wie es die CSU mit dem Betreuungsgeld macht. Diese hat nämlich kaum positive Auswirkungen auf die Entwicklung eines Kindes.