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Editorial Heft 24

Igeln

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“Wollen wir die nehmen?”, fragt Baster und zeigt mit dem Finger auf eine hässliche Fliese. Ja, warum nicht, sag ich. “Oder vielleicht die dunklere Glatte?” Ja klar, sag ich, die geht auch. “Oder lieber so eine helle Geriffelte?” Meinetwegen auch die helle Geriffelte! “Wir könnten aber auch so ein Steinimitat nehmen.” Mann, Baster, es ist mir dermaßen egal, hell, dunkel, geriffelt, geraffelt, geruffelt, ich nehm alles! “Ja, Fredrich, mir halt auch, du Penner”, poltert Baster zurück. Wir entscheiden uns für die helle Geriffelte, machen ein Foto und senden es an Nikolaj. Das ist unser Bauleiter. Er wird die Fliesen später verlegen. Nikolaj antwortet direkt. Er meint, dass die helle Geriffelte ganz schön teuer ist und versichert, eine Günstige zu besorgen, die sehr ähnlich aussieht, also sehr ähnlich! Und auf jeden Fall günstig. Nikolaj schickt uns zwei Minuten später ein Foto seiner sehr ähnlichen Fliese. Patenter Typ. Wie die aussieht? Komplett anders. Nicht hell und nicht geriffelt. Genial! Die nehmen wir.

Wir haben das alte Schulgebäude für 21.000 Euro gekauft und renovieren es jetzt für 2,2 Millionen. In die ersten fertiggestellten 300 Quadratmeter sind wir bereits mit 30 Katapulten eingezogen. Am Anfang hab ich jedes Mal geheult, wenn ich unser neues Redaktionshaus betreten habe. Tim Ehlers (Passwort-Behinderung) macht sich bis heute darüber lustig. Die restlichen 1.700 Quadratmeter werden Nikolaj und sein Bautrupp im April fertigstellen. Dieses Gebäude ist für mich das Emotionalste überhaupt. Ich bin stolz darauf und werde solange mit Fliesen-Baster daran weiterschrauben, bis es katapultig ist.

Für mich ist das alles unfassbar, ungreifbar - alles total surreal, wenn ich mir überlege, wie ich vor ungefähr sieben Jahren in meinem Studentenzimmer ohne Geld und noch weniger Ahnung angefangen habe, Karten zu basteln. Heute sind wir insgesamt 48 Katapulte, setzen vier Millionen Euro pro Jahr um, haben einen Buchverlag, eine Lokalzeitung ... ach, ihr wisst das ja alles selbst! Auf jeden Fall ziehen wir jetzt in diese, UNSERE Schule ein und können endlich machen, was wir wollen!

2020 war für KATAPULT das Jahr der Explosion. Unsere Abos haben sich verdreifacht. 2021 ist dann das Jahr der inneren Ordnung geworden. Wir haben unserer Team eingespielt - Buchhaltung, Versandsystem, Sicherheitsschuhe. 2022 wird das Jahr des Igels. Wir igeln uns jetzt in unsere eigene Schule ein. Aber nicht für immer. Nein. Wir igeln uns in sechs Monaten in einem Maße wieder aus, das habt ihr noch nicht gesehen. Wir werden hier nicht nur die Journalismusschule gründen, sondern im Juli auch das größte Buchmessenfestival der Welt veranstalten. Buchmesse und Musik in einem. Wer hat das schon? Wir! Greifswald! Juli 2022! Ohne geriffelte Fliesen!

Das wird unsere große Einweihungsfeier und ihr seid alle eingeladen! Als Hauptact für den ersten Tag wünsche ich mir die Band “Wuhling” aus Greifswald. Vorband sollen dann bitte “Die Ärzte” sein. Kennt die jemand von euch und sagt denen Bescheid? Am zweiten Tag brauchen wir “Die Gruppe König” aus Rostock. Als Vorband könnten die No Angels oder Feine Sahne Fischfilet spielen.

Das Gleiche brauchen wir auch bei den Lesungen. Superstars und Roman-Debütant:innen treten immer im Wechsel auf. So haben neue Granaten sofort eine Chance, direkt vor großem Publikum zu stehen. Alle kommen wegen Sven Regener (Hallo, Herr Regener!), Sophie Passmann (bei “Katapult” klingeln!) und Eckart von Hirschhausen (Eckart, bist du dabei?), aber dazwischen lassen wir die neuen Wilden auftreten. Das wird schön! Was fehlt unserem Buchmessenfestival? Familien mit Kindern. Was finden die gut? Kinderschminken. Danach Softeiswettessen, dann Springburg, dann Kotzen. Ne richtige Hardcore-Feier muss das bieten. Auch für Kinder.

Das wars, Leute. Wir sind angekommen. Wir sind selbständig und unabhängig und werden jetzt fett und langweilig. Ich sage Danke, an meine Stadt Greifswald, an unsere, an DIE KATAPULT-STADT GREIFSWALD. Ihr habt es uns in den letzten sechs Jahren vorne und hinten reingeschoben, oben und unten, längs und quer! Ihr habt uns kein Geld gegeben, nein, sondern was viel Besseres. Greifswald hat KATAPULT ermutigt, anzufangen, weiterzumachen und durchzuziehen. Immer! Die Leute, die Verwaltung, die Uni, die Stadtwerke, die Sparkasse, der Bürgermeister - alle haben auf ihre Art geholfen. In keiner anderen Stadt hätte das funktioniert. Deshalb: Aufrichtiges Danke! Ab jetzt geben wir zurück! Diese Schule, das wird nicht einfach nur unsere riesengroße mega Redaktionszentrale - das wird ein überregionales Zentrum für Journalismus und Kulturbums.

Also. Fickt euch alle freundlich ins Knie! Kommt rum! Ausigeln 2022! KATAPULT rastet aus!

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Autor:innen

Der Herausgeber von KATAPULT und Chefredakteur von KATAPULTU ist einsprachig in Wusterhusen bei Lubmin in der Nähe von Spandowerhagen aufgewachsen, studierte Politikwissenschaft und gründete während seines Studiums das KATAPULT-Magazin.

Aktuell pausiert er erfolgreich eine Promotion im Bereich der Politischen Theorie zum Thema »Die Theorie der radikalen Demokratie und die Potentiale ihrer Instrumentalisierung durch Rechtspopulisten«.

Veröffentlichungen:
Die Redaktion (Roman)

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