Es ging alles ganz schnell: Am 17. Mai veröffentlichten der Spiegel und die Süddeutsche Zeitung Ausschnitte eines Videos aus dem Jahr 2017. Es zeigt die FPÖ-Funktionäre Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus, wie sie in einer Villa auf Ibiza mit einer vermeintlichen russischen Oligarchen-Tochter - offenbar unter dem Einfluss von Rauschmitteln - über illegale Parteienfinanzierung und die Übernahme parteiunabhängiger Medien verhandelten. Anfangs tat Vizekanzler Strache das Video noch als »b’soffene G’schichte« ab, musste dann aber zurücktreten. Regierungschef Sebastian Kurz (ÖVP) versuchte daraufhin zu retten, was zu retten war: In einem Statement bezeichnete er die FPÖ als nicht regierungsfähig und bezog sich dabei auch auf eine Reihe von Skandalen – darunter diverse rechtsextreme Ausfälle von FPÖ-Vertretern während der gemeinsamen Regierungszeit. Nach den Neuwahlen wollte er ganz eindeutig den Ton angeben. Innerhalb von knapp zwei Wochen räumten alle FPÖ-Minister ihre Posten, aber auch Kurz konnte sich nicht im Amt halten: Der Nationalrat sprach seiner Regierung das Misstrauen aus, Neuwahlen wurden angesetzt. Eine parteilose Übergangsregierung um Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein übernahm vorerst die Amtsgeschäfte. Ende Juli kam es erneut zum Eklat, diesmal ging es jedoch um die ÖVP. Die Wiener Wochenzeitung »Falter« berichtete, dass ein Mitarbeiter von Kurz’ Regierung wenige Tage vor dem Misstrauensvotum mehrere externe Festplatten unter falschen Namen hatte vernichten lassen. Die österreichische Staatsanwaltschaft verkündete Anfang September zwar, dass die »Schredder-Affäre« nicht in Verbindung mit der »Ibiza-Affäre« gestanden habe – ob sie dennoch strafrelevant sei, werde aber noch geklärt. FPÖ: »Jetzt erst recht!« Beide Skandale haben anscheinend nur einen geringen Einfluss auf den Ausgang der Neuwahlen am Sonntag. Die Oppositionsparteien konnten von der Regierungskrise kaum profitieren, vieles deutet auf eine Neuauflage der schwarz-blauen Koalition hin. Die meisten FPÖ-Unterstützer stehen trotz – oder gerade wegen - der »Ibiza-Affäre« zu ihrer Partei. Viele Anhänger vermuten hinter dem Skandal eine Verschwörung der Medien – auch Strache selbst bedient dieses Narrativ. Der Ex-Vizekanzler hat sich vorerst aus der Politik zurückgezogen. Mittlerweile wird gegen ihn wegen des Verdachts auf Untreue ermittelt. Das neue Führungsgespann der FPÖ besteht aus Norbert Hofer, der bei der Wahl zum Bundespräsidenten 2016 nur knapp unterlag, und dem ehemaligen Innenminister Herbert Kickl. Zudem rückt Philippa Strache, die Ehefrau von Heinz-Christian Strache, weiter in den medialen Fokus. Sie kandidiert erstmals für die FPÖ, steht auf Platz drei der Wiener Landesliste und wird damit sicher in den Nationalrat einziehen – vermutlich als Gegenleistung für den unfreiwilligen Verzicht ihres Gatten auf ein Mandat im EU-Parlament. Den Wahlkampf beherrschen Themen wie Steuern, Rauchverbote, Wehrdienst, Mindestsicherung, Klima- und Migrationspolitik. Dabei vertreten FPÖ und ÖVP meist ähnliche Positionen. Die SPÖ um die Spitzenkandidatin Pamela Rendi-Wagner will unbedingt die »Fortsetzung der Ibiza-Koalition« vermeiden. Das gilt jedoch zunehmend als unwahrscheinlich – zu stabil sind die Umfragewerte für eine ÖVP-FPÖ-Koalition. Ein Bündnis links der Mitte mit der SPÖ und den Grünen an der Spitze wird wahrscheinlich nicht genug Wählerstimmen erreichen. Denkbar wäre eine sogenannte »Dirndl-Koalition«, bestehend aus der ÖVP, den liberalen Neos und den Grünen. Letztere hat als einzige Partei nennenswert von der Ibiza-Affäre profitiert. Aktuelle Ausgabe KATAPULT ist gemeinnützig und unabhängig. Wir finanzieren uns durch Spenden und Abonnements. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 19,90 Euro im Jahr. KATAPULT abonnieren