»In der Öffentlichkeit stehen wir da, als wäre unser größtes Problem, dass wir nicht mehr feiern können. Dabei erreichen uns Nachrichten von Schülern mit Suizidgedanken«, sagt Ronja Linder in einem Spiegel-Interview. Sie ist 17 und hat mit anderen Jugendlichen eine Petition gestartet. Gemeinsam wollen sie auf die psychischen Folgen der Corona-Pandemie für junge Menschen aufmerksam machen. Ayman Suliman und Leonard Ibitz sind erst 13 Jahre alt. Als ihre Mitschülerin Tina abgeschoben werden soll, starteten auch sie eine Petition und sammelten 40.000 Unterschriften in wenigen Tagen. Sie kontaktierten Journalistinnen, organisierten eine Demo. Greta Thunberg war 15 Jahre alt, als sie Fridays for Future (FFF) ins Leben rief. Heute ist es die größte Klimaschutzbewegung, die es je gegeben hat. Auf den Demos marschieren zwar viele Erwachsene mit, hauptsächlich aber junge Menschen. Politisches Interesse steigt, Frust auch 2013 war die Wähler:innengruppe, die weltweit am seltensten zur Wahl ging, die der 18- bis 25-Jährigen. In den USA nahmen bei den Zwischenwahlen 2014 nur 20 Prozent aller jungen Menschen (18 bis 29) ihr Wahlrecht wahr. Vier Jahre später waren es immerhin 36 Prozent. Auch bei der letzten Bundestagswahl in Deutschland 2017 waren die Wähler:innen, die am wenigsten wählten, zwischen 21 und 24 Jahre alt. Gleich dahinter: 25- bis 29-Jährige und 18- bis 20-Jährige. Über viele Jahre zeigten Umfragen, dass junge Leute sich nur wenig für Politik interessierten. Trotz niedriger Wahlbeteiligung änderte sich das laut der Shell-Jugendstudie aber zuletzt: 2015 war das politische Interesse der deutschen Jugendlichen so hoch wie seit Jahren nicht. Während das politische Engagement zwar steigt, sinkt die Zufriedenheit mit den Politikern. Grafik herunterladen Jugendliche unter 18 machen in Deutschland rund 14 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Zählt man die bis einschließlich 24-Jährigen dazu, sind es 22 Prozent. Im Bundestag findet das keine Entsprechung: Gerade einmal drei Abgeordnete sind 30 oder jünger – das macht 0,4 Prozent. Weltweit gibt es nur fünf Staaten, in denen mindestens jede:r Zehnte im Parlament jünger als 30 ist. Die geringe Repräsentation dieser Bevölkerungsgruppe in höheren politischen Ämtern führt in der Politik leicht dazu, dass Themen junger Menschen übersehen werden. Klimawandel, die Gestaltung der Arbeitswelt oder die Sicherung der Sozialsysteme wirken sich jedoch besonders auf sie aus. Ein weiteres Problem ist, dass die fehlende politische Teilhabe junger Menschen auch dazu führen kann, dass sie sich auch im höheren Alter weniger für Politik interessieren. Nur: Wenn Jugendliche gar nicht so unpolitisch sind und sich für Politik interessieren – woran scheitert die politische Teilhabe? Reif ist man genau mit 18 Ein viel diskutierter Vorschlag zur besseren Beteiligung von Jugendlichen lautet: Senkung des allgemeinen Wahlalters von 18 auf 16 Jahre. Weltweit gibt es nur wenige Länder, in denen man mit 16 voll wahlberechtigt ist: Österreich, Brasilien, Ecuador, Argentinien, Nicaragua und Kuba. Auf den Seychellen, in Nordkorea, Osttimor und dem Sudan darf man mit 17 wählen, im Iran sogar mit 15. Einige deutsche Politiker:innen und 52 Jugendorganisationen fordern die Senkung des generellen Wahlalters auch hierzulande. Gegenargumente: fehlende Reife und mangelndes Wissen bei Jüngeren. Wie plausibel sind diese Gründe? Die Autor:innen einer aktuellen Studie wollten herausfinden, wie sich die Wahlberechtigung auf das politische Interesse auswirkt. Denn, so ihre These, warum sollten sich Jugendliche überhaupt für Politik interessieren, wenn sie gar nicht daran teilhaben dürfen? Um das zu überprüfen, verglichen sie die beiden Landtagswahlen 2019 in Brandenburg und Sachsen. In Brandenburg dürfen Jugendliche bereits mit 16 wählen, in Sachsen erst ab 18. Die Forscher:innen fanden heraus, dass das Alter keine Rolle für das politische Interesse spielt. Stattdessen waren ganz andere Kriterien ausschlaggebend. Viel problematischer sei es etwa, dass die Wahlbeteiligung in bestimmten Stadtteilen niedriger war als in anderen. Außerdem gingen auch Menschen mit niedrigem Einkommen oder geringerer Bildung seltener zur Wahl als der Rest der Bevölkerung – ein bereits bekanntes Phänomen. Besorgniserregend sei es dann, wenn mehrere Kriterien zusammen auftreten: So haben sich vor allem junge Menschen mit geringerer Bildung von Wahlen und Politik zurückgezogen. Ein weiteres Ergebnis der Studie: Junge Menschen ticken nicht anders als Erwachsene. Wenn sie politisch interessiert sind und eine Verantwortung fühlen, zur Wahl zu gehen, dann nehmen sie genauso daran teil wie ältere Menschen. Das zeigt auch, dass Jugendliche keineswegs weniger politisch interessiert sind. Somit sprechen eigentlich keine Argumente gegen eine Senkung des Wahlalters. Einzig das Pflichtgefühl, an einer Wahl teilzunehmen, ist bei Jugendlichen geringer ausgeprägt. Dieses könne aber, so die Forschenden, gefördert werden, wenn die jungen Menschen noch bei den wahlberechtigten Eltern wohnen oder zur Schule gehen. Grafik herunterladen Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch eine Studie der Uni Wien. Sie beschreibt, dass das politische Interesse der 16- bis 20-jährigen Österreicher:innen in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat: von 25 Prozent im Jahr 2013 auf circa 60 Prozent im Jahr 2017. In Österreich dürfen Jugendliche seit 2007 mit 16 Jahren bundesweit bei allen Wahlen abstimmen. Es ist das einzige EU-Land, in dem das auf allen politischen Ebenen möglich ist. Die Studie der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik zeigt eindeutig, dass sich im Fall Österreichs Wahlen ab 16 positiv auf die Beteiligung und das politische Interesse junger Leute auswirken. Sie empfiehlt Wahlen ab 16. Die Senkung des Wahlalters sei förderlich für die Demokratie. Voraussetzung dafür seien etwa politische Bildung als Schulfach an allen Schulen und außerschulische Informationsangebote. Bezogen auf Deutschland ist genau das ein Problem: An manchen Schulen ist hier nur knapp ein Prozent der Unterrichtszeit in der Sekundarstufe I für politische Bildung reserviert, etwa in Bayern und Thüringen. In Nordrhein-Westfalen und Hessen, den beiden Bundesländern mit dem höchsten Anteil an politischer Bildung, macht das Fach nur knapp über vier Prozent des gesamten Unterrichts aus. In vielen Bundesländern existiert kein eigenes Schulfach, und dafür ausgebildete Lehrer erst recht nicht. Auf Kinderkonferenzen Parks planen In Deutschland gibt es immer mehr Möglichkeiten für junge Menschen, sich politisch zu beteiligen. Es gibt etwa offene Beteiligungsformen für alle Kinder und Jugendlichen, ohne gewählte Vertretung. Das sind oft einmalige, kurzzeitige Formate wie Jugendforen oder Kinderkonferenzen, die junge Menschen beispielsweise bei der Planung eines neuen Parks mit einbeziehen. Oder auch in größerem Rahmen: Unicef, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, beteiligte Jugendliche an der Formulierung gemeinsamer Ziele für nachhaltige Entwicklung. Zuletzt wurde beim G7-Gipfel in Hamburg eine einmalige Beteiligung Jugendlicher ermöglicht, der J7-Jugendgipfel. Jugendliche organisieren sich mitunter aber auch einfach selbst, etwa in Vereinen oder für Projekte und Aktionen, die sie selbst in kleinen Gruppen starten. Eine Form, die der »erwachsenen Art«, Politik zu machen, am nächsten kommt, ist die repräsentative Beteiligung. Hierbei wählen junge Menschen Jugendgemeinderäte, Jugendräte, Schüler:innenvertretungen oder Kinder- und Jugendparlamente. Grafik herunterladen Erzählt mal, Kinder In Deutschland gibt es 520 Kinder- und Jugendparlamente. Damit haben nur rund fünf Prozent aller 11.059 Kommunen repräsentative Kinder- und Jugendvertretungen. Vor allem in den kleinen Gemeinden mit unter 5.000 Einwohnern, die aber 73 Prozent aller Kommunen ausmachen, gibt es praktisch keine solchen Organisationen. In den größeren Gemeinden sind die Kinder- und Jugendparlamente stärker vertreten. Ihr politischer Einfluss unterscheidet sich jedoch von Ort zu Ort. Manche können etwa im Landtag vorsprechen, andere Anträge dort einbringen. Die meisten verfügen über ein eigenes Budget und erwachsene Begleitpersonen, die ihre Arbeit im Parlament unterstützen und bei Fragen helfen. In knapp 40 Prozent der Fälle haben Bürgermeister:innen die Bildung der Kinder- und Jugendparlamente mitinitiiert. Gut ein Drittel der Parlamente wurde von politischen Parteien gegründet und jedes vierte Parlament von lokalen Jugendgruppen selbst. Übrigens bezeichnen sich die meisten Jugendparlamente selbst als parteilos. Die Legitimation der Jugendparlamente hängt davon ab, wie viele Jugendliche sich an der Wahl ihrer Vertreter:innen beteiligen können. Dass es dabei Unterschiede gibt, zeigt der Vergleich der Jugendparlamente Jena und Aschaffenburg: Während in Jena die Vertreter:innen in den Schulen gewählt werden, sind Wahlen in Aschaffenburg nicht an eine Bildungseinrichtung gebunden. Gymnasiasten unter sich Philipp Köhler vom Jugendparlament Aschaffenburg erzählt, dass der Stadtrat innerhalb von drei Monaten die eingereichten Anträge des Jugendparlaments bearbeiten muss. Die Anliegen finden dort also Beachtung, haben jedoch nur beschränkt Gewicht. So würden lokale Politiker:innen das Jugendparlament zwar sehr oft in die Ideenfindung einbeziehen, selten aber aber in den Entscheidungsprozess. Vor allem, wenn politische Parteien sich »gewisse Themen auf ihr eigenes Portfolio schreiben möchten«, seien Jugendparlamente ganz schnell wieder ausgeschlossen. Trotzdem meint Köhler: »Solange es das Wahlrecht erst ab 18 Jahren gibt, braucht es starke Vertretungen.« Es gibt jedoch auch Kritik an Jugendparlamenten. Zunächst sind Parlamente, wie sie derzeit funktionieren, bürokratisch und zeitintensiv. Das ist nicht besonders attraktiv für junge Menschen. Wollen sie überhaupt so Politik machen? Es zeigt sich: Wenn Jugendliche sich beteiligen, dann engagieren sie sich meist für ein bestimmtes Thema. Viel seltener sind sie über mehrere Jahre für unterschiedliche Themen zu begeistern, wie es etwa innerhalb einer Partei abläuft. Dementsprechend gehören auch nur drei Prozent der 16- bis 29-Jährigen einer Partei an. Problematisch ist an vielen Jugendparlamenten auch, dass sie nicht wirklich repräsentativ sind: Häufig engagieren sich nur bestimmte junge Menschen, besonders jene aus den höheren Bildungseinrichtungen. Die meisten Jugendlichen in den deutschen Kinder- und Jugendparlamenten gehen aufs Gymnasium oder die Oberschule. Nur wenige Abgeordnete sind in Ausbildung oder besuchen eine Förderschule. Zwar seien auch Jugendliche mit Migrationshintergrund vertreten, aber fast die Hälfte der Teilnehmer:innen einer Befragung gab an: So wie das Parlament zusammengesetzt ist, entspreche es nicht dem Milieu der Gemeinde. Jugendliche aus ärmeren Verhältnissen und mit Migrationshintergrund finden sich selten unter den Abgeordneten. Bundesweit vernetzt, klappt aber leider nur lokal Seit zwei Jahren ist eine bundesweite Vernetzung aller Jugendparlamente in Planung. Eine direkte, sichtbare und wirkungsvolle Jugendbeteiligung will auch die Bundesregierung fördern. Sie erhofft sich Meinungen aus der jüngeren Generation, aber auch, dass sich junge Menschen möglichst früh mit der Arbeit der Regierung auseinandersetzen. Das ist sinnvoll, denn politische Interessen Jugendlicher gehen weit über lokale Themen hinaus, wie Protestaktionen und Demonstrationen in den letzten Jahren und auch eine Studie des Deutschen Kinderhilfswerks zeigen. Jugendliche setzen sich für Flüchtlinge ein, gegen die Handelsabkommen TTIP und CETA, gegen ungleiche Vermögensverteilung und gerade ganz besonders für den Klimaschutz. 2019 bot die Hälfte der Länderparlamente ein- bis fünftägige Veranstaltungen für junge Menschen an. Die Jugendlichen konnten hier den Landtag und die politische Arbeit der Parlamentarier:innen kennenlernen, und zum Teil auch selbst ihre eigenen Themen vorbringen. Die Jugendlichen wurden motiviert, auch nach diesen gemeinsamen Tagen weiterhin ihre Forderungen als Anträge einzureichen. Doch die Realität zeigt, diese verändern oft: nichts. Jugendliche Anliegen werden zwar häufig angehört, aber selten umgesetzt, und wenn doch, dann meist sehr spät. Die Autoren der Studie des Deutschen Kinderhilfswerks halten es für notwendig, Jugendliche landes- und bundesweit zu beteiligen, vermuten aber, dass die Mehrzahl der Beteiligungsprozesse trotzdem weiterhin lokal stattfinden wird. Das wäre eine verpasste Chance für die gesamte Republik. Denn Kinder- und Jugendparlamente fördern nicht nur die politische Bildung junger Menschen, sie tragen auch – wenn man sie lässt – maßgeblich zur Demokratie bei. Vorwurf: zu kindisch Besonders jetzt, während Corona, wird die mangelnde Teilhabe von Jugendlichen sichtbar. Sie mussten, wie alle anderen Menschen auch, mit Einschränkungen zurechtkommen, hatten aber im Gegensatz zu Erwachsenen keine eigene Interessenvertretung. Die Politik verspricht mittlerweile mehr Rücksicht auf und Konzepte für Jugendliche in der Corona-Pandemie. Trotzdem fehlt es immer noch an einer ernsthaften politischen Beteiligungsmöglichkeit für Jugendliche. Eine 17-Jährige beschreibt es in einem Interview mit dem Deutschlandfunk so: Es gehe darum, dass man als Jugendlicher in der Politik auch wirklich eine Stimme habe. Obwohl es oft heißt, man wolle Jugendliche mit einbeziehen, werde deren tatsächliche Beteiligung häufig als kindlich oder rebellisch abgetan, etwa wenn man die Klimakrise thematisiere. Ihrer Meinung nach habe es FFF nicht geschafft, die Menschen wirklich zu erreichen. Niemand höre ernsthaft zu. Auch sie wünsche sich ein Wahlrecht ab 16. Immerhin einen echten politischen Erfolg konnte FFF kürzlich verbuchen: Deutschland muss seine Emissionsziele bis nächstes Jahr neu definieren. Das deutsche Verfassungsgericht entschied, dass das neue Gesetz zur Verminderung von Treibhausgasen nicht detailliert genug sei, weil es nur Maßnahmen bis 2030 vorsah. Die vorwiegend jungen Klimaaktivist:innen hatten Verfassungsbeschwerde eingereicht. Sie argumentierten, dass das Gesetz ihre Zukunft gefährde. Seitens der Regierungsparteien gab es viel Zuspruch für das Urteil. »Scheinheilig« nannte das die 25-jährige Luisa Neubauer, eine der Haupt­organisator:innen der FFF-Bewegung in Deutschland. Schließlich hätten die Parteien das Gesetz zu verantworten. Die Reaktion seitens der Politik zeigt deutlich, dass Anliegen von Jugendlichen nicht ernst genommen werden. Außer, wenn ein Gericht sie zwingt. Aktuelle Ausgabe KATAPULT ist gemeinnützig und unabhängig. Wir finanzieren uns durch Spenden und Abos. Unterstütze unsere Arbeit und abonniere das Magazin gedruckt oder als E-Paper ab 19,90 Euro im Jahr! KATAPULT abonnieren