Früher waren Rechte leicht zu erkennen. Sie hatten eine Glatze, trugen Springerstiefel und Bomberjacke. Und heute? Das Erscheinungsbild von Menschen mit rechter Ideologie ist vielfältig, genauso ihre Lebensweise. Einige von ihnen wirken eher wie linke Aussteiger, die ein naturverbundenes Leben anstreben – Strickpullover, Trachtenkleidung, lange Haare und immer barfuß unterwegs. Viele betreiben ein Handwerk oder arbeiten in der Landwirtschaft, die Frauen oftmals als Hebammen. Sie sind sogenannte völkische Siedler. Das ist ein Sammelbegriff, der verschiedene Milieus vereint. Alle Anhänger verbindet ein antidemokratisches und antimodernes Denken. Im Mittelpunkt: völkisch-rechte Ideologie. Laut niedersächsischem Verfassungsschutzbericht gehören Familien dazu, »die im ländlichen Raum eine naturorientierte ländliche Lebensweise auf der Basis einer völkischnationalistischen Ideologie pflegen«. Ihre Weltanschauung bestimmt den streng organisierten Alltag und durchzieht sämtliche Lebensbereiche. »Von der Wiege bis zur Bahre sollen deutsche Sippenangehörige in der Gemeinschaft betreut werden«, betonen Andrea Röpke und Andreas Speit. Die beiden Journalisten recherchieren seit Jahren in der Szene. In der Öffentlichkeit geben sich die Völkischen betont unauffällig, bodenständig und heimatverbunden. Sie bringen sich aktiv in die Dorfgesellschaft in Vereinen, Kindergärten und Schulen ein und unterwandern so langfristig die Gemeindestrukturen mit ihrem Gedankengut. Sie betreiben Graswurzelarbeit und mimen den netten Nachbarn von nebenan. Wie viele Mitglieder es deutschlandweit gibt? Darüber existieren keine offiziellen Zahlen, vor vier Jahren schrieb der Deutschlandfunk von etwa 1.000 Menschen. Mittlerweile dürften es deutlich mehr sein. Klar ist auch: Völkisch-nationale Siedlungsstrukturen gibt es bundesweit. Besonders beliebt sind strukturschwache und von Landflucht betroffene Regionen, wie im Osten Deutschlands. Ein weiterer Schwerpunkt ist Niedersachsen. In der Lüneburger Heide und im Wendland wohnen völkische Familien, teilweise schon seit mehreren Generationen. Was zu einem mittlerweile undurchsichtigen Netz an Verbindungen führt. Ruben Obenhaus von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus vermutet in Niedersachsen etwa 80 Familien, die einem völkischen Spektrum zuzuordnen sind. Die Hinweise liefern Familien, Nachbarn oder Informationen aus Beratungsgesprächen. Pastörs und Kubitschek in der Nachbarschaft Innerhalb der Völkischen gibt es verschiedene Milieus. Andreas Speit klassifiziert vier Gruppen. Erstens: Rechtsextreme, die zu anderen Rechtsextremen ziehen. Ein Beispiel: Der NPD-Politiker Udo Pastörs ließ sich vor über 20 Jahren im mecklenburgischen Ort Benz-Briest bei Lübtheen nieder. Weitere Parteimitglieder folgten ihm in die Region. Oder der Verleger Götz Kubitschek, Zentralfigur der Neuen Rechten. Er wohnt mit seiner Frau und sieben Kindern auf einem Rittergut im abgelegenen 200-Seelen-Dorf Schnellroda im südlichen Sachsen-Anhalt. Ein Magnet für Gleichgesinnte. Zweitens: rechtsextreme Familien, die an völkische Traditionen der 1920er-Jahre anknüpfen. Darunter der Bund für Deutsche Gotterkenntnis. Deren Mitglieder beziehen sich auf die völkische Ideologie der Verschwörungstheoretikerin Mathilde Ludendorff. Ein anderes Beispiel ist der radikal völkische Siedlungsbund der Artamanen. Diese Bewegung formierte sich um 1924 und ging später in der Hitlerjugend auf. SS-Chef Heinrich Himmler gehörte zu ihren einflussreichsten Anhängern. Anfang der 1990er-Jahre bezogen Neo-Artamanen alte Höfe in Mecklenburg-Vorpommern. Drittens: rechtsextreme Familien, die gänzlich im Einklang mit der völkischen Lebensweise leben wollen. Viertens: Familien, die aus rechtsesoterischen Motiven Siedlungsprojekte vorantreiben. Bestes Beispiel ist die noch junge Anastasia-Bewegung. Ausgangspunkt sind die Fantasyromane eines russischen Schriftstellers. Wer den Leitgedanken aus den Büchern umsetzen will, gründet Familiensitze auf dem Land. Etwa 17 Siedlungsprojekte sind in Deutschland seit 2014 nach diesem Vorbild gegründet worden. Das größte: Goldenes Grabow in Brandenburg. Den Siedlern gehören bereits über 80 Hektar Land. Zwischen völkischen Siedlern und politisch rechten Akteuren verlaufen die Grenzen fließend. So feierte die Junge Alternative Niedersachsen, die Jugendorganisation der AfD, vor einigen Jahren ihr Sommerfest auf dem Hof einer völkischen Familie. Und 2018 trafen sich zu einer Theateraufführung im sächsischen Bischofswerda Politiker und Mitglieder sämtlicher rechter Spektren. Von NPD-Politiker Stefan Köster bis hin zu Wolfram Nahrath, Pflichtverteidiger im NSU-Prozess und ehemaliger Vorsitzender der »Wiking-Jugend«, einer verbotenen Jugendorganisation. Die Darsteller im Stück »Wilhelm Tell« kamen aus den weitverzweigten völkischen Familien. Nachweislich existiert ein Netz zwischen Völkischen, der NPD, der Identitären Bewegung und der AfD. Grafik herunterladen Waffenausbildung für die Kleinsten Völkisch geprägte Rechtsextremisten seien zudem »ehrgeizig, gebildet, wandlungsfähig und schwer greifbar«, so Röpke und Speit. Und das macht das Spektrum so gefährlich. Wie gefährlich? Darüber sind sich Expertinnen und Experten uneins, je nach betrachtetem Milieu und Personenkreis. Nicht alle Familienverbände sind gewalttätig. Rechtsesoterische Bewegungen wie Anastasia werden beispielsweise nicht als gewaltbereite Gruppe eingestuft. Von ihnen gehe vielmehr eine subtile, langfristige Gefahr aus, sagt Laura Schenderlein von der Mobilen Beratung Brandenburg. Trotzdem: Ihre Ideologie ist extrem rechts. Und das verbindet sie mit gewaltaffinen völkischen Kreisen rund um ehemalige Neonazis. Hinzu kommt: Von klein auf bringen völkische Siedler ihren Kindern rechtes Gedankengut bei und erziehen sie autoritär. Die Mittel reichen von körperlicher Gewalt bis hin zur militärischen Waffenausbildung. »Diese Siedlerprojekte sind mögliche Brutstätten des Naziterrors«, so die Politikerin der Linkspartei Ulla Jelpke: Besonders gefährlich: Die Kinder wachsen innerhalb einer geschlossenen Gemeinschaft auf, die sich immer weiter ausbreitet. Speit und Röpke kritisieren, dass die Polizei und der Verfassungsschutz die völkischen Netzwerke zu wenig beachte. Was auf den privaten Anwesen passiert, wer dort zusammenkommt und worüber gesprochen wird, bleibt oft unentdeckt. Die Sturmvogeloma Auch Jugendorganisationen leisten einen wichtigen Beitrag in Erziehungsfragen. Die »Heimattreue Deutsche Jugend« (HDJ) und die Wiking-Jugend sind wegen ihrer Nähe zum Nationalsozialismus mittlerweile verboten. Nicht verboten sind Jugendbünde wie der »Sturmvogel« oder der »Freibund«, obwohl sie offensichtlich mit der rechtsextremen Szene verbunden sind. So fahren zu Freizeiten Aktivisten der Identitären Bewegung als Betreuer mit. Was die Kinder auf den Freizeitfahrten außer völkischer Brauchtumspflege und verbotenen Liedern sonst noch lernen? Darüber halten sich die Mitglieder auffällig bedeckt. Ein Schüler aus dem niedersächsischen Uelzen provozierte jüngst mit der schwarz-weiß-roten Flagge des Kaiserreichs – ein Erkennungszeichen rechtsextremer Kreise. Er wählte sie als Profilbild für den Onlineunterricht. Die Schulleitung reagierte nicht auf den Vorfall. Denn sonst müsse man ja auch andere politische Hinweise, beispielsweise auf die »Fridays for Future«-Bewegung, verbieten, so das Argument. Dabei kannte die Schule den familiären Hintergrund des Schülers. Der Junge nimmt an Jugendfahrten des »Sturmvogels« teil. Ein extrem rechter Jugendverband, den seine Oma mitgegründet hat. Ein Lager fand auf dem Hof der Familie statt. Der Vater beteiligte sich an Nazi-Aufmärschen. Rechte Dörfer Das richtige Dorf für seine Ideologie zu finden, scheint nicht leicht zu sein. Dabei hilft neuerdings die »Initiative Zusammenrücken«. Dahinter stehen Angehörige rechtsextremer Gruppen und Parteien. In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen empfehlen sie umzugswilligen westdeutschen Rechtsextremen gezielt Regionen und Gemeinschaften. Auf Anfrage stellen sie Kontakt zu Gleichgesinnten her. Womit sie locken? Wenig Menschen mit Migrationshintergrund. Und günstigen Grundstücken. Der sächsische Verfassungsschutz beobachtet ihre Aktivitäten. Und warnt vor steigenden Immobilienkäufen rechtsextremer Personen im ländlichen Raum. Denn die Gebäude werden nicht nur privat genutzt, sondern auch als Szenestützpunkte oder Schulungszentren. Was passiert, wenn Ortschaften von Rechten dominiert werden, zeigt Jamel in Mecklenburg-Vorpommern. 38 der 40 Einwohner gehören der Neonaziszene an. So wie Sven Krüger, Mitglied der NPD und mehrfach vorbestraft. Vor 20 Jahren begann er damit, Immobilien in Jamel aufzukaufen – für weitere Neonazis, die sich hier gezielt ansiedelten. Sie verstecken ihre Gesinnung nicht. Neben dem Wandbild vom nationalsozialistischen Ideal einer »arischen« Familie in der Dorfmitte zeigt ein Wegweiser die Entfernung bis Braunau am Inn. 855 Kilometer sind es bis Hitlers Geburtsort. Zur Sonnenwendfeier kamen 2018 etwa 200 Neonazis ins Dorf. Wer sich öffentlich gegen die völkischen Siedler positioniert, lebt gefährlich. Das Ehepaar Birgit und Horst Lohmeyer lebt in Jamel und engagiert sich seit Jahren gegen rechts. Der Preis: zerstochene Autoreifen, eine tote Ratte im Briefkasten, Mist auf der Einfahrt. Im Jahr 2015 brannte ihre Scheune ab, vermutlich Brandstiftung. Bei der letzten Wahl zur Gemeindevertretung traten Sven Krüger und Birgit Lohmeyer gegeneinander an. Krüger für seine selbst gegründete »Wählergemeinschaft Heimat«, Lohmeyer für die SPD. Das Ergebnis: Krüger bekam 281 Stimmen und zog ins Kommunalparlament ein. Lohmeyer erhielt gerade einmal 37 Stimmen. Recherche nur mit Perücke möglich Völkische Aktivisten möchten aber nicht als Rechtsextreme erkannt werden. Also schottet sich die Szene energisch nach außen ab und gibt sich vor allem gegenüber Journalisten wenig gesprächsbereit. Falls doch, dann nur nach ihren Regeln. So wie auf dem »Schild & Schwert«-Festival im sächsischen Ostritz. Medienleute sind eigentlich nicht erwünscht. Mit einer Ausnahme: Wenn der Veranstalter sie gezielt führt. In dem Fall Thorsten Heise, Neonazi und NPD-Politiker. Er gab eine Pressekonferenz und lenkte die Journalisten über das Gelände. Klar, dass in dieser Zeit auf verfassungswidrige Aussagen verzichtet wird. Alles, was nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist, wird weggeräumt. Journalistin Röpke sieht die Neonazis ganz klar als Gewinner dieser Inszenierung. »Das ist gesteuerter Journalismus mit dem Ziel, rechte Milieus zu verharmlosen«, so Röpke. Die einzige Möglichkeit: hinter die Kulissen nicht öffentlicher Veranstaltungen zu blicken. Also schleichen sich Journalisten heimlich auf das Gelände. Oder dokumentieren mit Fernglas und Kamera – aus der Entfernung. Was die Journalisten unter anderem veröffentlichen: Personennamen und Szenetreffpunkte. Das wiederum wollen aber nur die wenigsten aus der völkischen und rechten Szene. Der Preis: Fachjournalisten wie Röpke und ihre Kollegen werden regelmäßig angegriffen, beschimpft und bedroht. So wie im Jahr 2006. Röpke und ein Fotograf beobachteten ein Neonazitreffen im brandenburgischen Blankenfelde. Als sie erkannt wurde, floh die Journalistin mit dem Kollegen in einen Supermarkt. Die Angreifer folgten ihnen und schlugen auf sie ein. Die Öffentlichkeit ist für Andrea Röpke Schutz und Problem zugleich. In rechten Kreisen ist sie, als eine von wenigen Frauen, überall bekannt. Sie darf deswegen während ihrer Recherchen nicht erkannt werden. Zum Equipment gehört eine Perücke. Wie sie und ihre Kollegen sich sonst ausrüsten, verrät sie aus Sicherheitsgründen nicht. Bücherverbrennung und Feindesliste Mit ihrem Kollegen Speit veröffentlichte Röpke zuletzt ein Buch mit aktuellen Beobachtungen aus dem völkischen Milieu. Das gefällt nicht allen, die im Buch namentlich vorkommen. Einige sehen ihre Privatsphäre verletzt. Sie gingen mit Abmahnungen und Schadensersatzforderungen juristisch gegen den Verlag und die Autoren vor. Ein häufig gewähltes Mittel in der Szene. Es schüchtert nicht nur ein, sondern ist auch kostspielig für die Beklagten. Fast 2.000 Euro waren für den Rechtsanwalt pro Abmahnung fällig. Das Berliner Landgericht wies alle Änderungsforderungen am Buch zurück. Ein Erfolg für den Verlag und die Autoren. Die Einschüchterungen gehen trotzdem weiter. Speit und Röpke erfahren regelmäßig Anfeindungen und Hetze im Internet. Der rechtsextreme Youtuber Nikolai Nerling, auch bekannt als »Volkslehrer«, verbrannte das Buch von Röpke und Speit vor Publikum. Dazu mobilisierte er via Messengerdienst Telegram, zu anstehenden Lesungen zu gehen und diese zu stören. Zudem tauchen der Name und Fotos von Andreas Speit in einer Datensammlung Rechtsextremer auf. Das LKA informierte Speit darüber, bat ihn aber auch, die Liste nicht als »Feindesliste« wahrzunehmen. Schade. Denn solange die Behörden die Völkischen nicht ernst nehmen und ausreichend gegen sie vorgehen, können diese ungehindert ihre gefährliche Ideologie weiterverbreiten. Aktuelle Ausgabe KATAPULT ist gemeinnützig und unabhängig. Wir finanzieren uns durch Spenden und Abos. Unterstütze unsere Arbeit und abonniere das Magazin gedruckt oder als E-Paper ab 19,90 Euro im Jahr! KATAPULT abonnieren