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Frauenrechte

Täglich werden weltweit 8.000 Mädchen und junge Frauen beschnitten

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Der Sudan hat die Genitalverstümmelung von Frauen unter Strafe gestellt. Die höchste Institution des Landes, der Souveräne Rat, hat Ende Juli ein entsprechendes Gesetz ratifiziert. Begründung: Die Praxis der Genitalverstümmelung untergrabe die Würde der Frauen, erklärte das sudanesische Justizministerium. Bis zu drei Jahre Haft erwartet nun diejenigen, die die Beschneidungen durchführen.

Genitalverstümmelung ist dort seit Jahrhunderten gängige Praxis. Neun von zehn Mädchen sind beschnitten. Ihre inneren Schamlippen, die Klitoris oder Teile der Vagina werden ganz oder teilweise entfernt - meistens mit Rasierklingen, Scherben oder scharfen Steinen und ohne medizinische Notwendigkeit. In manchen Fällen wird außerdem die Scheide zugenäht. Die Folge: starke Blutungen und entzündete Wunden, lebenslange Schmerzen beim Wasserlassen und beim Sex. Dazu kommen fehlendes Lustempfinden und teils schwere Komplikationen bei der Geburt eines Kindes. Jeden Tag sterben 2.000 Mädchen an der Folgen von Genitalverstümmelung.

In insgesamt 30 Ländern werden fast ausnahmslos Mädchen und junge Frauen beschnitten, 8.000 Mädchen sind es weltweit täglich. Unicef geht davon aus, dass weltweit 200 Millionen Frauen mit beschnittenen äußeren Geschlechtsorganen leben. Besonders weit verbreitet ist die Praxis in Mali, Guinea, Sierra Leone, Ägypten, Eritrea, Djibouti und Somalia. Über 80 Prozent aller Mädchen und Frauen zwischen 15 und 49 Jahren mussten sich dort der Prozedur unterziehen. Bei der Genitalbeschneidung handelt sich um einen Ritus, der über die Generationen hinweg durchgeführt wird. Die Gründe für die Beschneidung sind vielfältig und unterscheiden sich je nach Bevölkerungsgruppe.

Beschnittensein bedeutet, ein Teil der Gemeinschaft zu sein

Die Genitalverstümmelung soll vor allem die Sexualität der Mädchen und Frauen einschränken. Viele afrikanische Gesellschaften fordern von Frauen, bis zur Ehe jungfräulich zu bleiben. Denn sexuelle Enthaltsamkeit verschafft ihnen gute Heiratschancen. Das sichert die Beschnittene selbst und ihre Familie finanziell ab. Mit der Beschneidung wird in vielen Fällen das Erwachsenwerden zelebriert. In einigen Kulturkreisen gelten sichtbare weibliche Genitalien zudem als hässlich und werden deshalb entfernt. Fast überall ist die Regel: Wer sich dem Ritus entzieht, wird von der Gemeinschaft ausgeschlossen.

Das ist ein großes Problem, wenn es um die Durchsetzung von Verboten geht. Wie gut die Gesetze gegen Genitalbeschneidung wirken, hängt von den Entscheidungen der politischen Amtsträger ab. Sie sind oft selbst davon überzeugt, dass die Beschneidung ein wichtiger Teil des kulturellen Erbes ist und die Gemeinschaft stärkt. Vor allem in dünn besiedelten, abgelegenen Regionen kann die Einhaltung der Gesetze kaum kontrolliert werden. Es ist die Aufgabe der Gemeindevorsteher, sie durchzusetzen. Ihre politische Funktion kann dabei für Konflikte sorgen. Denn sie müssen den Mitgliedern der Gemeinschaft erklären, dass ihre jahrhunderte alten Riten und Überzeugungen illegal sind. Die Folge ist oft, dass Verstümmelungen heimlich und unter unhygienischen Bedingungen stattfinden.

Herrschen in Nachbarländern weniger strenge Gesetze, reisen manche Familien zur Beschneidung dorthin. Einige junge Frauen werden wiederum in lokale Arztpraxen und Krankenhäuser gebracht, um den verbotenen Eingriff durchführen zu lassen, aber die gesundheitlichen Risiken zu minimieren. Im Sudan drohen solchen Einrichtungen nun die Schließung, sollten sie weiterhin Genitalverstümmelungen durchführen.

Gesetze sind wichtig, aber sie reichen nicht aus

Trotzdem ist das neue landesweite Gesetz im Sudan ein Fortschritt. Es erkennt an: Genitalverstümmelung verstößt gegen das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit. Mehr sogar: Die Beschneidung von Mädchen ist unvereinbar mit der UN-Kinderrechtskonvention und mit der UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung von Frauen, die der Sudan neben Palau, den USA und dem Iran dagegen noch immer nicht ratifiziert hat. In 21 weiteren Ländern verbieten explizite Gesetze die Praxis, darunter Ägypten, Eritrea, Kenia, Guinea und Gambia. Trotzdem gehen die Zahlen beschnittener Frauen in einigen Ländern seit 30 Jahren nicht zurück: In Guinea etwa sind immer noch 92 Prozent der Frauen beschnitten. Rückläufig sind die Zahlen in Ägypten und Äthiopien. Insgesamt bleiben sie allerdings auch dort hoch.

Der Weltbevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) - die Organisation der Vereinten Nationen für sexuelle und reproduktive Gesundheit - veröffentlichte am 30. Juni 2020 seinen Weltjahresbericht, in dem Handlungsanweisungen zur Beseitigung der Beschneidungspraktiken bei Mädchen enthalten sind. Der UNFPA setzt nicht auf Belehrung, sondern auf Informationskampagnen, Gesprächsrunden und Förderprogramme. Das Ziel ist, dass Menschen, in deren Kultur die Beschneidung fest verankert ist, ihre eigenen sozialen Normen hinterfragen. Lehnt die Mehrzahl der Gruppenmitglieder den Ritus ab, entwickelt sich daraus häufig ein allgemeines Umdenken. Gemeinschaften beginnen, ihre Riten und sozialen Regeln zugunsten der Mädchen und Frauen zu verändern. Ein Ansatz dabei ist auch, die jeweiligen Führungspersönlichkeiten dabei zu unterstützen, zusammen mit den Mitgliedern ihrer Gemeinschaft neue Bräuche zu etablieren und die Genitalbeschneidung aufzugeben.

Innerhalb der nächsten zehn Jahre soll das weltweit erreicht werden. So zumindest sieht es die sogenannte Agenda 2030 der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung vor. Sie wurde im Jahr 2015 von allen UN-Mitgliedsstaaten verabschiedet. Natalia Kanem, die Exekutivdirektorin der UNFPA, fordert ab sofort jährliche Investitionen in Höhe von 3,4 Milliarden US-Dollar. Damit sollen beispielsweise Medienkampagnen zur Aufklärung über die gesundheitlichen Risiken, Beratungsstellen und Bildungsprogramme für Frauen finanziert werden. Anders sei das Ziel nicht zu erreichen. Sie appelliert auch an die verantwortlichen Regierungen, ihrer Pflicht zum Schutz von Mädchen und Frauen nachzukommen. Mit einer klugen Strategie könnten bis 2030 84 Millionen Mädchen geschützt und ihre Rechte gestärkt werden.

Die Stiftung Hilfe mit Plan startete im August 2018 ein Projekt gegen Genitalverstümmelung in Guinea. Eine Maßnahme sind generationsübergreifenden Diskussionen. Betroffene werden geschult, selbst Aufklärungsarbeit in Gemeinden zu leisten. Einige Angebote richten sich gezielt an Männer, um deren Vorurteile gegenüber unbeschnittenen Frauen abzubauen. Zusätzlich führen die Projektverantwortlichen mit den Mädchen und ihren Familien einen beschneidungsfreien Ritus durch, der den Beginn des Erwachsenseins bedeutet.

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Fußnoten

  1. Spiegel (Hg.): Sudan verbietet Genitalverstümmelung, auf: spiegel.de (10.7.2020).
  2. Unicef (Hg.): Female genital mutilation, auf: data.unicef.org (Februar 2020).
  3. SOS Kinderdörfer weltweit (Hg.): Beschneidung von Mädchen und Frauen, auf: sos-kinderdoerfer.de (ohne Datum).
  4. Kowalewski, Stephanie: Tiefe Schnitte in Körper und Seele, auf: deutschlandfunkkultur.de (3.2.2020).
  5. Ebd.
  6. Unicef (Hg.): Kampf gegen Mädchenbeschneidung, auf: unicef.ch (ohne Datum).
  7. Unicef (Hg.): Female genital mutilation, auf: data.unicef.org (Februar 2020).- Aktuellste Daten, basierend auf nationalen Umfragen im Zeitraum 2004-2018.
  8. Berghaus, Nora; Franke, Fabian: Kampf gegen Rasierklingen, auf: spiegel.de (11.2.2020).
  9. Unicef (Hg.): Female genital mutilation, auf: data.unicef.org (Februar 2020).
  10. UNFPA (Hg.): Weltbevölkerungsbericht 2020, auf: dsw.org, S.46.
  11. Ebd., S.47-49.
  12. Ebd., S. 4-5.
  13. Plan International (Hg.): Mädchen vor Beschneidung schützen, 1. Zwischenbericht (Stand: Februar 2020), auf: plan.de.

Autor:innen

Ehemalige Redakteurin bei KATAPULT. Sie ist Historikerin und schreibt vor allem über soziale und gesellschaftspolitische Themen.

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