Wann beteiligen sich Demokratien an einem Krieg und wann nicht? Während es eine Vielzahl von Studien über die friedlichen Beziehungen zwischen Demokratien (den sogenannten demokratischen Frieden) gibt, sind Analysen zum Konfliktverhalten von Demokratien die Ausnahme. Eine aktuelle Untersuchung schließt diese Lücke. Sie bietet eine Erklärung für die Beteiligung beziehungsweise Nichtbeteiligung von demokratischen Staaten im Kosovo-, Afghanistan- und im Irakkrieg. Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass sich Länder nur dann an den drei genannten Kriegen militärisch beteiligten, wenn es verfassungsrechtlich zulässig war. Dies gilt für alle dreißig untersuchten Demokratien. Diese Erkenntnis widerspricht solchen Studien, die argumentieren, dass der verfassungsrechtliche Rahmen keinen Einfluss auf die Entscheidung für oder gegen einen militärischen Einsatz ausübt. Von Bedeutung scheint auch die öffentliche Einstellung gegenüber einer Kriegsbeteiligung zu sein, auch wenn Staatschefs bei militärischen Einsätzen generell eine hohe Entscheidungsgewalt genießen. Krieg nur dann, wenn es die Verfassung zulässt Anhand der Analyse dieser Konflikte konnten fünf Faktoren identifiziert werden, die entweder zu einer Beteiligung oder einer Enthaltung im jeweiligen Krieg führten: 1. Verfassungsrechtliche Beschränkungen,
2. parlamentarische Einbeziehung,
3. Machtstatus,
4. politische Ideologie,
5. öffentliche Meinung. Wobei sich gezeigt hat, dass die vier letztgenannten Faktoren eine vergleichsweise untergeordnete Rolle bei der Entscheidung über einen Militäreinsatz spielen. Was sind verfassungsrechtliche Beschränkungen? Die Studie unterscheidet dabei drei Kategorien, die eine militärische Beteiligung begrenzen oder verbieten: erstens, wenn sie dem internationalen Recht widerspricht; zweitens, wenn sie nicht im Rahmen von Einsätzen internationaler Organisationen wie der Vereinten Nationen, der EU oder der NATO stattfindet; drittens, wenn sie außerhalb der zulässigen Einsatzregeln liegt. Die erste Kategorie der verfassungsrechtlichen Beschränkungen umfasst sowohl verbindliche Bestimmungen der Vereinten Nationen als auch nationalstaatliche Vorschriften, die bewaffnete Einsätze an internationales Recht binden. Die zweite Kategorie bezieht sich auf die Einbeziehung von internationalen Organisationen, wohingegen die dritte Kategorie Bestimmungen berücksichtigt, die beispielsweise offensive militärische Operationen verbieten und damit möglicherweise im Konflikt zum geplanten Einsatz stehen. Die Analyse zeigt, dass der verfassungsrechtliche Rahmen in vielen Staaten erheblichen Spannungen ausgesetzt ist. Hier seien beispielsweise Dänemark und Norwegen genannt, die sich ungeachtet gesetzlicher Vorgaben an den NATO-Luftschlägen im Kosovo beteiligten. In beiden Ländern gab es daraufhin heftige Auseinandersetzungen: zum einen hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des Kosovokrieges, zum anderen hinsichtlich der Zulässigkeit der Genehmigung durch die Vereinten Nationen, die einen Verlust der nationalen gesetzlichen Beschränkungen zur Folge hatten. In Dänemark wie auch in Norwegen führte dies in der Konsequenz zu einer Aufhebung gesetzlicher Vorgaben und einer größeren Beteiligung an militärischen Operationen. Grafik herunterladen Kriegsbeteiligung trotz Ablehnung der Bevölkerung Eine weitere Erkenntnis bezieht sich auf die »?parlamentarische Einbeziehung?«. Die Wissenschaft geht davon aus, dass Vetorechte demokratischer Parlamente zu einem »?parlamentarischen Frieden?« führen können - sich ein Land aufgrund einer Parlamentsentscheidung also nicht militärisch beteiligt -, vorausgesetzt, die Öffentlichkeit ist mehrheitlich gegen einen solchen Einsatz. Bezogen auf die NATO-Operation im Kosovo wurde das für die militärisch schwachen Staaten bestätigt. Für den Einsatz in Afghanistan konnte jedoch kein stichhaltiger Nachweis für einen derartigen Zusammenhang gefunden werden. Im Fall des Irakkriegs hingegen waren zwar Parlament und Bevölkerung in nahezu allen untersuchten Staaten gegen eine militärische Beteiligung, jedoch nahmen diese Länder trotzdem an dem Einsatz teil, auch solche mit parlamentarischen Vetorechten. Dieser Befund lässt berechtigten Zweifel an der vielversprechenden These vom »?parlamentarischen Frieden?« aufkommen. Daher wäre es aufschlussreich, wenn sich weiterführende Studien mit den Ursachen parlamentarischer Entscheidungen im Rahmen des Irakkriegs beschäftigen würden. Wenig Kriegsgerät verursacht wenig Krieg Beim Faktor des »?Machtstatus?« zeigen sich fallübergreifende Muster für die Kriege im Kosovo und in Afghanistan. Allerdings hat dieser Faktor für den Irakkrieg kaum Erklärungskraft. Ausgehend von der »?Theorie des kollektiven Handelns?« (collective action theory) würde man erwarten, dass wirtschaftlich und militärisch starke Staaten einen überproportional großen Anteil zu Kriegseinsätzen beitragen - während schwächere Staaten dazu neigen sollten, sich als Trittbrettfahrer zu engagieren (free rider hypothesis). Demnach gehen die Befürworter der Theorie des kollektiven Handelns von einer »?Ausbeutung der Starken durch die Schwachen?« aus - wobei schwache Staaten keinen oder lediglich einen symbolischen Beitrag zum miliärischen Einsatz leisten. Somit würde man erwarten, dass militärische Stärke eine hinreichende Bedingung für die Beteiligung an einem Krieg ist. Im Umkehrschluss bedeutete das: militärische Schwäche ist hinreichend für eine Nichtbeteiligung. Das ist genau das, was die empirische Analyse für den Kosovo und Afghanistan bestätigen konnte. Die Trittbrettfahrer-Hypothese wurde jedoch nicht bestätigt. Am offensichtlichsten zeigt sich dies im Falle des Irakkriegs, an dem sich mehrere kleinere Länder trotz parlamentarischer Einbeziehung und öffentlicher Opposition beteiligten. Andere Studien haben gezeigt, dass die Teilnahme höchstwahrscheinlich darauf zurückzuführen ist, dass die USA im Falle einer Beteiligung wirtschaftliche Zusammenarbeit (beispielsweise Handelsabkommen) in Aussicht stellten. Die Erkenntnisse im Hinblick auf den Faktor der politischen Ideologie sind in den betrachteten Fällen unterschiedlich. Es gibt einige Belege dafür, dass rechte Regierungen im Vergleich zu linken Regierungen eher gewillt sind, sich militärisch zu engagieren. Dies trifft auch auf die Beteiligung am Kosovokrieg zu, obwohl das in gewisser Weise kontraintuitiv ist. Wissenschaftler sind lange davon ausgegangen, dass linke Regierungen dann eine Intervention unterstützen, wenn es um humanitäre Unterstützung geht. Hingegen haben rechte Regierungen oftmals Bedenken, in derartige Operationen einzugreifen. Der Aspekt der politischen Ideologie hat im Irakkrieg eine besonders große Erklärungskraft. In diesem Fall haben alle links ausgerichteten Regierungen eine Beteiligung abgelehnt. Rechte Regierungen beteiligten sich immer dann militärisch an dem Konflikt, wenn es keine gesetzlichen Beschränkungen gab. Für die Beteiligung am Krieg in Afghanistan spielte die politische Ausrichtung der Parlamente keine Rolle. Grafik herunterladen Gesellschaftlicher Widerstand kann Kriege verhindern Die Untersuchung des Faktors »?öffentliche Meinung?« ergab für die untersuchten Konflikte keine einheitlichen Ergebnisse. Für Afghanistan konnte ein Nachweis für den erwarteten Zusammenhang zwischen der öffentlichen Meinung und dem außenpolitischen Verhalten erbracht werden. Gesellschaftliche Unterstützung war zwar nicht elementar für die Entscheidung zu einer militärischen Beteiligung, jedoch führte gesellschaftlicher Widerstand dazu, dass sich die Demokratien nicht beteiligten. Diese Erkenntnisse stehen im Kontrast zu der These, dass die öffentliche Meinung keine übergeordnete Rolle spielte, wie dies im Fall Afghanistans behauptet wurde. Ein ähnliches Muster zeigt sich auch für den Kosovokrieg. Allerdings war die öffentliche Meinung hier weniger ausschlaggebend. Die Entscheidung für oder gegen eine Beteiligung am Irakkrieg war geprägt von dem Spannungsfeld zwischen einem länderübergreifenden gesellschaftlichen Widerstand einerseits und der großen Varianz der Haltung der Regierungen andererseits. Die Bandbreite reichte von deutlichem Widerstand gegen den Einsatz über die Entsagung von politischer Unterstützung bis hin zu einer vollständigen militärischen Beteiligung. Mehr Parlament, weniger Kriegsbeteiligung? Vor dem Hintergrund der Diskussion über die These des demokratischen Friedens und die Beteiligung von Demokratien an Kriegen ermöglicht die Studie einen differenzierten Blick auf die Ursachen einer militärischen Beteiligung. Sie zeigt, dass vor allem verfassungsrechtliche Beschränkungen die Kriegsbeteiligung demokratischer Regierungen beeinflussen. Auch parlamentarische Vetorechte sind hier von Bedeutung. Jedoch fanden sich keine durchgängigen Belege für die Existenz eines »?parlamentarischen Friedens?«. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit jüngeren Studien zum demokratischen Frieden. Während nachgewiesen werden konnte, dass die öffentliche Einstellung zumindest in zwei der drei Fälle eine substanzielle Rolle spielte, wurde auch belegt, dass demokratische Staatschefs einen erheblichen Spielraum genießen, wenn es um außenpolitische Entscheidungen geht - unabhängig von der öffentlichen Meinung. Die Erfahrungen der genannten militärischen Einsätze hat dazu geführt, dass viele westliche Demokratien den Grad der Mitbestimmung ihrer Parlamente überprüft haben. Die Beziehung zwischen der Exekutive (ausführenden Gewalt) und Legislative (gesetzgebenden Gewalt) im Bereich der Sicherheitspolitik wurde teilweise neu bewertet. Beispielsweise beauftragte der Deutsche Bundestag eine Kommission damit, parlamentarische Prozeduren zu überprüfen und Reformvorschläge zu formulieren. In Großbritannien entwickelte sich ein parteiübergreifender Konsens darüber, das Parlament stärker in die Entscheidung hinsichtlich einer Kriegsbeteiligung einzubeziehen. Der ausschlaggebende Grund dafür war die Erkenntnis weiter Teile der politischen Elite und der Öffentlichkeit, dass die Beteiligung am Irakkrieg ein Fehler war. Ähnliche Entwicklungen gab es in Spanien. Hier wurde als Reaktion auf die Beteiligung im Irak ein »?parlamentarisches Einsatzgesetz?« eingeführt. Zudem werden gesetzliche Beschränkungen in regelmäßigen Abständen kritisch hinterfragt. Im Kontrast dazu steht Japan. Hier wurden gesetzliche Beschränkungen zur Beteiligung an militärischen Einsätzen in den vergangenen Jahren teils erheblich reduziert. Doch auch in Deutschland war die Entscheidung der Bundesregierung für eine militärische Beteiligung in Syrien verfassungsrechtlich umstritten, nicht zuletzt, da der Einsatz außerhalb der NATO und der EU stattfindet. Aktuelle Ausgabe Der Beitrag hat Ihnen gefallen? Sie finden ihn auch in der aktuellen gedruckten Ausgabe von KATAPULT. Jetzt abonnieren, mehr spannende Artikel lesen und KATAPULT unterstützen! KATAPULT abonnieren