Fairer Handel sowie freier Güter-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr steigern den allgemeinen Wohlstand. Das trifft regelmäßig auch auf Investitionen durch ausländische Unternehmen zu. Problematisch wird es jedoch, wenn Investoren nicht nach einem gedeihlichen Miteinander, sondern nach wirtschaftlicher und politischer Vormacht streben. Sie können die Souveränität, territoriale Integrität und das friedliche Miteinander untergraben. In diesem Zusammenhang sind nicht nur die Auslandsinvestitionen in sicherheitsrelevante Bereiche der Rüstungs- und Kryptotechnologie von Interesse. Es betrifft auch Dienstleistungen von strategischer Bedeutung. Hierunter fällt beispielsweise das Bankensystem eines Landes. Denn in modernen Tauschwirtschaften, in denen Ware gegen Geld getauscht wird, kommt Banken eine gesamtwirtschaftliche Schlüsselrolle zu. Noch besteht die EU aus 28 Mitgliedstaaten. Unter ihnen befinden sich einige sehr kleine Volkswirtschaften mit ebenso sehr kleinen Bankensystemen wie Malta, Zypern oder die drei baltischen Republiken. In Estland, Lettland und Litauen leben derzeit insgesamt nur etwas mehr als sechs Millionen Einwohner. Sie erwirtschaften zusammen ein Bruttoinlandsprodukt von rund 85 Milliarden Euro. Grafik herunterladen Vom Retter zum Marktführer Die Anzahl der in den drei baltischen Staaten agierenden Banken ist überschaubar. Unter ihnen befinden sich in- und ausländische Kreditbanken, Filialen ausländischer Banken und Genossenschaftsbanken. Allerdings lässt sich anhand der Anzahl der Banken nur begrenzt eine Aussage über deren Bedeutung in den jeweiligen Bankensystemen treffen. Aussagekräftiger sind hingegen die Marktanteile der Banken. Überraschend hoch ist der Marktanteil der Auslandsbanken im Baltikum. Die Auslandsbanken in Estland und Litauen verfügen über einen Marktanteil von 92 beziehungsweise 89 Prozent, wobei die beiden größten Banken allein schon Marktanteile von zusammen 63 beziehungsweise 56 Prozent halten. In Lettland sieht es ähnlich aus. Dass heute die beiden größten Banken des Baltikums – Swedbank und Skandinaviska Enskilda Banken (SEB) – aus Schweden stammen, ist kein Zufall. Ursache sind die turbulenten Entwicklungen der 1990er Jahre. Mit der Loslösung von der Sowjetunion, der Wiedererlangung der staatlichen Unabhängigkeit und dem Aufbau nationaler Wirtschaftssysteme setzte zu Beginn der 90er Jahre eine Bankengründungswelle im Baltikum ein. Die ersten Bankenkrisen 1992 (Estland) und 1995 (Lettland und Litauen) waren lokale Ereignisse, die ihre Wurzeln im schwierigen Transformationsprozess hatten. Dieser wurde ausgelöst, als die baltischen Staaten ihre Unabhängigkeit durchsetzten und zugleich von einer Zentralverwaltungswirtschaft zur Privatwirtschaft wechselten. Grafik herunterladen In der zweiten Bankenkrise 1998/99 waren die baltischen Staaten indirekt von Problemen in anderen Teilen der Welt mitbetroffen. Insbesondere die Asien- und die Russlandkrise wirkten verheerend. Die beiden Bankenkrisen der 90er Jahre unterschieden sich auch insofern, als dass in der zweiten Krise ausländische Banken zu Hilfe eilten. Vor allem zwei schwedische Banken, die Swedbank und SEB, sahen ihre Marktchancen im Baltikum, engagierten sich dauerhaft und bauten ihre Marktanteile nach und nach aus. Wie mächtig sind Auslandsbanken? Inzwischen dominieren Auslandsbanken die Bankensysteme des Baltikums. Ihre Macht umfasst – nach Max Weber und Hans Albert – die Möglichkeit, in sozialen Beziehungen den eigenen Willen durchzusetzen oder soziale Prozesse im Sinne eigener Zielsetzungen zu beeinflussen. Ob die Demokratie durch Auslandsbanken in der EU gefährdet ist, hängt von der Beantwortung der folgenden drei Fragen ab: 1. Ist die Macht im Bankensystem eines Landes auf das Wirtschaftssystem des Landes ausdehnbar? 2. Ist die Macht im Wirtschaftssystem eines Landes auf dessen politisches System ausdehnbar? 3. Ist die Macht im politischen System eines Landes auf supranationale Einheiten wie die EU ausdehnbar? Einfluss von Banken auf Wirtschaft und Politik Die erste Frage kann man mit Hilfe der sogenannten Kumulationsthese beantworten und bejahen. Denn durch den geballten Einsatz folgender vier Instrumente können Banken Einfluss auf diejenigen Nichtbanken in der Wirtschaft ausüben: Kredite, Beteiligungen, Aufsichtsratsmandate, Depotstimmrechte. Banken sind bei Nichtbanken über Kredite als Fremdkapitalgeber engagiert. Darüber hinaus bestehen häufig Beteiligungen der Banken an Nichtbanken, sodass die Banken auch Eigenkapitalgeber sind. Um die beiden Engagements als Fremd- und Eigenkapitalgeber zu kontrollieren, folgen regelmäßig Mandate in den Aufsichtsgremien der Nichtbanken. Zudem: In den Hauptversammlungen von Nichtbanken stimmen die Banken regelmäßig mit einem viel höheren Stimmenanteil ab, als es ihrem eigenen Aktien- und Stimmenanteil eigentlich entspricht. Das liegt daran, dass Bankkunden ihre Stimmrechte häufig an diejenigen Banken übertragen, die ihre Aktien verwalten. Ob die Macht im Wirtschaftssystem auf das politische System eines Landes übertragbar ist (Frage 2), kann mit Hilfe der politischen Ökonomie untersucht werden. Das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Politik wird hier in vier Grundtypen erfasst: Primat der Wirtschaft, Primat der Politik, Totalitarismus und Interdependenz (wechselseitige Abhängigkeit). Die Politik rückt heute weder als »Nachtwächterstaat« unter das Primat der Wirtschaft, noch rückt die Wirtschaft unter das Primat der Politik. Auch ein Totalitarismus (Totalökonomisierung oder Totalpolitisierung) existiert nicht. Vielmehr beeinflussen sich Wirtschaft und Politik gegenseitig in Form der Interdependenz. Die zweite Frage muss demnach bejaht werden. Einfluss von Banken auf die EU Eine Ausdehnung der Macht im politischen System eines Landes auf das politische System der EU (Frage 3) kann über den Einfluss einzelner Staaten auf die sieben EU-Organe gelingen: Europäisches Parlament, Rat der EU, Europäischer Rat, EU-Kommission, Europäischer Rechnungshof, Europäischer Gerichtshof und Europäische Zentralbank. Hier sei nur der Einfluss einzelner Länder auf zwei EU-Organe – EU-Parlament und Europäischer Rat – skizziert. Das EU-Parlament besitzt nur eingeschränkte demokratische Legitimation, weil es in unmittelbaren, freien und geheimen – nicht jedoch in gleichen – Wahlen gewählt wird. Die Ungleichheit resultiert daraus, dass in fünf Staaten mehr als 800.000 Einwohner einen Abgeordneten wählen, während hierfür im Baltikum weniger als 300.000 Einwohner ausreichen. In Malta und Luxemburg genügen sogar 85.000 Einwohner. Von den 751 EU-Abgeordneten stammen sechs aus Estland, acht aus Lettland und elf aus Litauen. Diese 25 Abgeordneten vereinigen 3,3 Prozent der Sitze auf sich. Selbst bei konzertiertem Vorgehen kann man hier kein Machtproblem einzelner kleiner Länder ableiten. Anders sieht es dagegen im Europäischen Rat aus. Er ist das Gremium mit den weitreichendsten Entscheidungsbefugnissen und legt die allgemeinen politischen Zielvorstellungen und Prioritäten der EU fest. Der Europäische Rat entscheidet mit einfacher oder qualifizierter Mehrheit, in sensiblen Angelegenheiten jedoch einstimmig. Daher verfügen kleine Länder im entscheidenden Gremium der EU über erhebliche Veto-, Mitsprache- und Mitentscheidungsrechte. Einfluss der Auslandsbanken eindämmen Über die Bankensysteme kleiner Länder kann also ein demokratiegefährdender Einfluss auf nationale und europäische Entscheidungen ausgeübt werden. Dieser muss eingedämmt werden, beispielsweise durch strikte Bindung an das Recht. Ein demokratischer Rechtsstaat kann daher zur Lösung des Machtproblems beitragen. Die Bedeutung solcher Machtkonstellationen wird seitens der Politik verstärkt wahrgenommen. Das kann man nicht nur den mysteriösen Vorkommnissen um die Suspendierung des lettischen Zentralbankchefs Ende Februar 2018 entnehmen. Auch die Bundesregierung verschärfte in den letzten Monaten mehrfach das Außenwirtschaftsgesetz und die Außenwirtschaftsverordnung. Italien und Frankreich agieren in eine ähnliche Richtung. Was fehlt, sind EU-weite Regelungen, denn einzelstaatliche Vorschriften greifen hier zu kurz. Aktuelle Ausgabe Dieser Beitrag erschien in der neunten Ausgabe von KATAPULT. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 19,90 Euro im Jahr. KATAPULT abonnieren