Die beiden Parteien, Netanjahus »Likud« (»Zusammenschluss«) und Gantz’ Parteienbündnis »Kachol Lavan« (»Blau-Weiß«), die schon im April beide bei circa 26 Prozent landeten, liegen auch in aktuellen Umfragen gleichauf. Die zentralen Wahlkampfthemen sind - wie schon bei der letzten Wahl - die israelischen Siedlungen in den besetzten Palästinensergebieten und die Spannungen mit dem Iran. Netanjahu versucht, vor allem die radikalen und ultraorthodoxen Wähler zu erreichen. Dafür kündigte er jetzt an, nach einem Wahlsieg große Teile des Westjordanlandes zu annektieren. Das Westjordanland ist seit dem Osloer Abkommen von 1995 in sogenannte A-, B- und C-Gebiete aufgeteilt. In den A- und B-Bereichen verwalten sich die Palästinenser theoretisch weitestgehend selbst, während die C-Gebiete, die 62 Prozent des Westjordanlands ausmachen, von Israel kontrolliert werden. Netanjahus Plan sieht vor, das Jordantal und damit einen großen zusammenhängenden Teil dieser C-Gebiete zu israelischem Staatsgebiet zu erklären. Viele illegal errichtete israelische Siedlungen würden dadurch formal zu Israel gehören, jedoch auch zahlreiche palästinensische Städte. Der Ort Jericho und einige umliegende Dörfer, die zu den A-Bereichen zählen, würden dagegen zu einer palästinensischen Enklave innerhalb des israelischen Staates. 65.000 Palästinenser und 11.000 israelische Siedler wären von der Maßnahme betroffen. Das Jordantal ist seit längerem ein umstrittenes Territorium, denn es ist die einzig größere fruchtbare Region der palästinensischen Gebiete - und ist damit für einen potentiellen Staat Palästina von zentraler wirtschaftlicher Bedeutung. Das Westjordanland wäre in Netanjahus Plan vollkommen von Israel umschlossen, hätte also keine internationale Grenze und keine direkte Verbindung zu Jordanien mehr. Für Netanjahu ist das ein wichtiger Faktor für die Sicherheit Israels. International stößt das Vorhaben auf Ablehnung sowohl vonseiten Russlands, der EU und den Golfstaaten als auch der Vereinten Nationen. Jordanien kritisiert die geplante Ausdehnung als »ernsthafte Eskalation«. Gantz: Netanjahu annektiert keine Gebiete, sondern Wählerstimmen Die Positionen der Kachol Lavan unter Benjamin Gantz unterscheiden sich hinsichtlich der Siedlungspolitik kaum von denen des Likud. Gantz stellt sich eher als seriöse Alternative zu Premierminister Netanjahu dar, der verstärkt als korrupt und populistisch wahrgenommen wird. Er spricht damit einerseits enttäuschte Konservative, andererseits aber auch Gemäßigte und Linke an, die eine weitere Amtszeit Netanjahus verhindern wollen. Laut Gantz sei der Annexionsplan zudem eigentlich seine Idee gewesen; der amtierende Premierminister habe sie sich lediglich von ihm abgeschaut. Dieser wolle aber keine Gebiete, sondern »Wählerstimmen annektieren«, so die Parteiführung von Blau-Weiß wörtlich. Der Likud kontert: Gantz habe sich als Generalstabschef der israelischen Armee gemeinsam mit dem damaligen US-Präsidenten Obama ganz aus dem Westjordanland zurückziehen wollen, was nur Netanjahu verhindert habe. Für Netanjahu geht es bei der Wahl um mehr als nur um seine fünfte Amtszeit. Schon seit längerem wird er der Korruption verdächtigt. Im Oktober soll er sich wegen Untreue und Bestechlichkeit verantworten. Als Premierminister kann er sich durch ein Immunitätsgesetz der Strafverfolgung entziehen. Für eine Regierungsbildung ohne Blau-Weiß wäre Netanjahu voraussichtlich auf den ehemaligen Likud-Verteidigungsminister Avigdor Lieberman und die Stimmen seiner säkular-nationalistischen Partei »Jisra'el Beitenu« (»Unser Haus Israel«) angewiesen. Dieser hätte schon im April die Mehrheit für den Likud beschaffen können, weigerte sich jedoch mit der Begründung, nicht mit den Ultraorthodoxen koalieren zu wollen. Auch für Gantz und die Kachol Lavan wird ein Bündnis mit linken Kräften nicht für eine Mehrheit reichen. So könnte alles auf eine große Koalition hinauslaufen. Dazu wäre Gantz im Grunde auch bereit - jedoch nur, wenn Netanjahu abtritt. Aktuelle Ausgabe KATAPULT ist gemeinnützig und unabhängig. Wir finanzieren uns durch Spenden und Abonnements. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 19,90 Euro im Jahr. KATAPULT abonnieren