Die Provinz Bergamo im Zentrum der Region Lombardei ist in Italien am stärksten von der Corona-Pandemie betroffen. Offiziellen Zahlen zufolge sind dort im März insgesamt 2.060 Menschen an einer Covid-19-Infektion gestorben. Doch die tatsächliche Anzahl der Toten ist wohl mehr als doppelt so hoch. Das hat nun eine Untersuchung ergeben. Ihrzufolge sollen in diesem Zeitraum 4.500 Menschen in der Provinz Bergamo an dem neuartigen Coronavirus gestorben sein. Gemeinsam mit dem Analyseunternehmen In.Twig befragte die bergamesische Tageszeitung L‘Eco di Bergamo 243 ansässige Bürgermeister, wie viele Tote es seit Anfang des Jahres bis zum 21. März in ihren Gemeinden gab. Diese Anzahl der Toten zwischen der letzten Februar- und der dritten Märzwoche wurden anschließend mit Daten der vergangenen zehn Jahre verglichen. Anzahl der Toten in Bergamo vervierfacht Im Schnitt sterben in der Stadt Bergamo 45 Personen pro Woche und 190 im Monat, so die Zahlen. Allerdings haben sie sich in den vier Wochen nach dem Ausbruch des Coronavirus vervierfacht. Zum selben Ergebnis kommt auch das nationale Statistikinstitut Istat. In der dritten Märzwoche starben 313 Menschen – im Vergleich zur selben Woche im Vorjahr hat sich die Sterberate also sogar versiebenfacht. Die monatliche Summe der Todesfälle ist von Februar auf März 2020 von 213 auf 881 Fälle gestiegen. Im gesamten Gebiet der Provinz Bergamo ist die Zahl an Verstorbenen um bis zu 600 Prozent gestiegen. Grafik herunterladen Einer der Beteiligten ist der Journalist Isaia Invernizzi. Gegenüber KATAPULT erklärt er: „Wir haben inzwischen Daten von 80 Prozent der Kommunen erhalten. Diese Ergebnisse wurden auf die verbleibenden 20 Prozent projiziert.“ Die Hochrechnung lässt vermuten, dass es bis Ende März 5.400 Todesfälle gegeben hat. Ihnen gegenüber steht die durchschnittliche Anzahl von 900 Fällen in der Provinz in den letzten Jahren. Dadurch könnten 4.500 Tote mit einer Corona-Infektion in Verbindung gebracht werden. Statistisch nicht erfasst: Menschen, die zu Hause sterben Ein möglicher Grund für die Differenz zwischen den offiziellen und den neu recherchierten Erkrankungs- und Todesfallzahlen: Viele Menschen starben zu Hause, ohne jemals auf das neuartige Virus getestet und statistisch erfasst worden zu sein. Auch waren die Krankenhäuser in der Provinz schnell maßlos überlastet und konnten nicht alle Patienten aufnehmen, die ärztliche Versorgung benötigten. Diese kommen also in der Statistik gar nicht vor. Noch dazu variieren die Definitionen, ab wann Patienten als Opfer der Corona-Pandemie gelten und ob sie direkt oder zusätzlich zu Vorerkrankungen an Covid-19 verstorben sind. Unklar ist demnach, ob sie an oder mit dem neuartigen Virus verstorben sind. Die enorm gesteigerte Rate an Sterbefällen im Vergleich zu den Vorjahren legt jedoch nahe, dass Covid-19 häufig die Ursache für den Tod sein dürfte. Doch auch diese Zahlen stellen nur eine Momentaufnahme dar. Einige Statistiker weisen darauf hin, dass möglicherweise vor allem Personen betroffen seien, die im Verlauf des weiteren Jahres schweren Erkrankungen erliegen und nun lediglich etwas früher versterben. Allerdings gibt es für diese Deutung keine belastbaren Daten. Zudem vernachlässigen diese Interpretationen die negativen Auswirkungen eines überlasteten Gesundheitssystems. Können nicht mehr alle Patienten angemessen versorgt werden, steigt auch das Sterberisiko für schwer erkrankte Personen, die nicht die Behandlung bekommen, die sie eigentlich brauchen. Variierende Erkrankungs- und Todesfallzahlen Das Problem fehlender eindeutiger Zahlen betrifft jedoch nicht nur Italien. Selbst renommierte und teils supranationale Quellen arbeiten mit unstimmigen Zahlen. Während die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am 7. April 2020 insgesamt 16.525 durch das Coronavirus getötete Menschen in Italien listet, gibt das nationale Gesundheitsinstitut Istituto Superiore di Sanità 774 Tote weniger an. 17.127 Menschen hingegen sollen der Johns-Hopkins-Universität zufolge am oder in Zusammenhang mit dem Coronavirus verstorben sein. Ähnliche Unterschiede bei Erkrankungs- und Todesfällen gibt es auch in Deutschland: Hierzulande sollen sämtliche im Labor festgestellten Covid-19-Erkrankungen tagesaktuell an das Robert-Koch-Institut (RKI) weitergeleitet werden, welches wiederum die WHO informiert. Trotzdem kam es immer wieder zu Ungereimtheiten. Der NDR berichtete Ende März, dass die WHO höhere Infektionsraten publizierte, als das RKI vermeldete. Wie es dazu kam, kann sich die Deutsche Bundesbehörde für Infektionskrankheiten dem Sender zufolge nicht erklären. Aktuelle Ausgabe KATAPULT ist gemeinnützig und unabhängig. Wir finanzieren uns durch Spenden und Abonnements. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 19,90 Euro im Jahr. KATAPULT abonnieren