Der Atlas, von der Stiftung Buchkunst zum “schönsten deutschen Buch” gekürt, vereint Inselkarten mit historischen und naturwissenschaftlichen Erzählungen: ein poetisches Kunstwerk, das durch alle Weltmeere führt. Kürzlich erschien beim mare Verlag eine Neuausgabe mit fünf weiteren Inseln: die Gough-Insel, North Sentinel, Agalega, Nukulaelae und die Midwayinseln. Es handelt sich laut Schalansky um ein Buch, das sich schlecht einordnen lässt. Einmal erscheint es in einem französischen Segelverlag, ein anderes Mal wird es unter der Kategorie Reiseliteratur verkauft. Dabei hat Schalansky für das Buch Berlin nie verlassen, der Untertitel lautet: Fünfundfünfzig Inseln, auf denen ich nie war und niemals sein werde. Etwas, das Schalansky nicht bereut. “In einer Welt, die komplett bereisbar ist, ist die eigentliche Herausforderung zu Hause zu bleiben”, entgegnet sie auf die Frage aus dem Publikum, ob das Recherchieren und Schreiben die Reiselust in ihr geweckt habe. Die Inseln gibt es wirklich. Doch die Geschichten, die Schalansky über sie schreibt, beruhen häufig auf Projektionen in Form von historischen Reiseberichten, die vielmehr den Blick der Forscher als die Realität der Erforschten wiedergeben. Das verraten schon die Beinamen der Inseln: Die Inselgruppe Pukapuka, die zu den Cookinseln gehört, wird auch “Danger Islands” genannt und eine andere Gruppe, Napuka (Französisch-Polynesien), ist als “Inseln der Enttäuschung” bekannt.  Es sind teilweise haarsträubende Berichte, die Schalansky teilt. “Geschichten der Enttäuschung und Verheißung” - so fasst sie ihr Buch zusammen. Sie sind sexualisierend, exotisierend, aber auch romantisierend, wie die Geschichte von einem französischen Jungen, dem im Traum eine unbekannte Sprache begegnet. Nach langer Suche nach deren Herkunft trifft er auf eine Frau, ursprünglich von der Insel Rapa Iti, die genauso spricht wie er. Er heiratet “die einzige Frau, die ihn versteht”, zusammen brechen sie auf zu der weit entfernten Insel, auf der er nie gelebt hat. Schalansky gibt nicht nur solche absurden Erzählungen wieder, ihr Repertoire scheint unerschöpflich, der Blick auf die vielen Inseln so weit wie das Meer. “Wie kann ich anders erzählen?”, habe sie sich gefragt. Ihre Antwort darauf: Plastik sprechen lassen, um eine andere Perspektive auf die Klimakrise zuzulassen. Das klingt dann so: “Schick, charmant und abwaschbar, das sind wir, Wohlstand, Ruin, das fossile Fundament des Kapitalismus, der Triumph der Petrochemie, pure, höchstverdichtete Energie!” Die Deutung des Buches wird durch die Neuauflage sowie mit jeder Übersetzung erweitert. Bald wird das Buch auf Griechisch erscheinen, erzählt Schalansky. Wie wird man aus der Perspektive eines Landes mit 3.054 Inseln, von denen nur 87 bewohnt sind, auf diesen Atlas blicken? Oder sind wir am Ende alle Insulaner:innen? Denn, wie Schalansky es ganz nebenbei und unglaublich poetisch formuliert: “Die Erde ist eine Insel in einem unendlich dunklen Meer”. Aktuelle Ausgabe KATAPULT ist gemeinnützig und unabhängig. Wir finanzieren uns durch Spenden und Abos. Unterstütze unsere Arbeit und abonniere das Magazin gedruckt oder als E-Paper ab 19,90 Euro im Jahr! KATAPULT abonnieren