In ihrer Abstimmung haben die Abgeordneten die Wahl zwischen dem Brexit-Deal, den Premierministerin May mit den Unterhändlern der EU ausgehandelt hat, und einem ungeregelten Austritt aus der EU - ohne Regulierungen und Absicherung für die zukünftige Beziehung zwischen der EU und Großbritannien. Grafik herunterladen Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent der Briten beim “Referendum über den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union” (Brexit-Referendum) für einen Austritt Großbritanniens aus der EU. Bisher ist bis auf das Austrittsdatum, den 29. März 2019, kaum etwas klar. Auch die 585 Seiten des Vertrags zum geordneten Austritt lassen viele Fragen offen. Die erste Frage wird am 15. Januar 2019 geklärt. Da stimmt das britische Parlament über das von May ausgehandelte Abkommen ab. Die Premierministerin musste bisher einige Hürden überwinden, während sie gleichzeitig für den Deal mit der EU warb - von vorgezogenen Parlamentswahlen über die Verschiebung der Abstimmung bis hin zu einem Misstrauensvotum der eigenen Partei, das sie gewann. Die Abgeordneten des Unterhauses haben nun zwei Möglichkeiten: entweder sie stimmen für Mays Deal oder dagegen. Grafik herunterladen Was muss passieren, dass May die Abstimmung gewinnt und was haben die Iren damit zu tun? Durch komplexe Parteienkonstellationen und Unstimmigkeiten innerhalb der Parteien ist der Ausgang der Abstimmung noch ungewiss. Weil mehrere Lager in ihrer eigenen Regierung den Deal ablehnen, ist May auf Unterstützung von Abgeordneten außerhalb ihrer Partei angewiesen. May kann nur eine Mehrheit erlangen, wenn sie die zehn Abgeordneten der irischen “Democratic Unionist Party” (DUP) von ihrem Deal überzeugt.. Die ultra-konservative protestantische Partei, die mit Mays Tories wie in einer Koalition zusammenarbeitet, hatten bereits ihre Unterstützung in der Brexit-Vereinbarung zugesichert. Die Loyalität gilt allerdings ausschließlich für den Fall, dass die “Backstop-Vereinbarung” zur nordirischen Grenze aus dem Deal gestrichen wird. Dort ist festgeschrieben, dass Nordirland sich während der Übergangsphase den Regelungen der Republik Irland, und damit der EU, anpasst. Die DUP tritt für eine strikte Separation zwischen katholischen und protestantischen Iren ein. In dem von May unterstützen Plan ist jedoch von einer “weichen” Grenze zwischen den beiden Gebieten die Rede. Was passiert, wenn das Parlament zustimmt? Falls die Mehrheit im Parlament dem ausgehandelten Abkommen zustimmt, muss der Deal im Anschluss vom Europäischen Parlament und Europäischen Rat ratifiziert werden. Erst dann besteht eine Vereinbarung zwischen Großbritannien und der EU. Am 29. März 2019 würde in dem Fall eine Übergangsphase beginnen, in der die zukünftige Zusammenarbeit zwischen Großbritannien und der EU im Detail ausgearbeitet wird. Denn der bisherige Vertragsentwurf klammert einige politisch brisante Fragen aus - etwa die zukünftigen Wirtschafts- und Handelsbeziehung zwischen den beiden Parteien und den weiteren Umgang mit der nordirischen Grenze. Streitpunkt Nordirland Seit 1921 gehört das protestantisch geprägte Nordirland zum Vereinigten Königreich, die katholisch dominierte Republik Irland bildet hingegen einen eigenen Staat. Dem war ein Jahrhunderte anhaltender Konflikt zwischen den protestantischen und katholischen Regionen Irlands vorausgegangen. Durch die Unabhängigkeit der Republik Irland wurde 1921 ein fragiler Friedensprozess angestoßen. Dieser war gekennzeichnet durch immer wieder gebrochene Waffenruhen und gewaltätige Ausschreitungen, die bis in die frühen 2000er reichten. Durch politische Einbeziehung beider Seiten und abgeschaffte Grenzkontrollen ist die Lage in den letzten Jahren relativ stabil geblieben. Die Backstop-Vereinbarung ist einer der polarisierendsten Inhalte des Abkommens. Hier wird ein Szenario vereinbart, in dem Nordirland sich den Regelungen und Gesetzen der Republik Irland anpasst. Mit der Übernahme der in der Republik Irland geltenden EU-Leitlinien würde sich Nordirland politisch von Großbritannien entfernen. Diese Regelung soll sicherstellen, dass es eine offene Grenze mit freiem Handel und Verkehr gäbe und somit Versorgungsengpässe und Grenzkontrollen vermieden würden. Damit wollen die Vertragspartner erneute Ausschreitungen und Konflikte in der Region vermeiden. Die “Backstop-Vereinbarung” steht auf der Agenda der nachzuverhandeln Themen in der Übergangsphase bis 2020. Auch die Länge dieser Übergangsphase kann nachverhandelt werden. Möglich ist eine Verlängerung von bis zu zwei Jahren. Was passiert, wenn das Parlament den Deal ablehnt? Da es keinen konkreten Plan für ein No-Deal-Szenario gibt, sind auch dessen Konsequenzen ungewiss. Klar ist, dass die Regierung innerhalb von drei Tagen einen neuen Plan vorstellen muss, den die Abgeordneten auch mitgestalten dürfen. Das Parlament hat durch vorangegangen Abstimmungen nicht nur ein inhaltliches Mitspracherecht an der Ausarbeitung an einem neuen Deal, auch wurde der Zeitraum verkürzt, in dem die Regierung ein alternatives Abkommen vorschlagen kann. Wo ursprünglich 21 Tage zur Verfügung standen, hat Mays Regierung jetzt nur noch drei. Für den Fall, dass der mit der EU ausgehandelte Plan abgelehnt wird, werden derzeit vier Szenarien öffentlich diskutiert. 1. Ein neues Abkommen: Hier hatte die EU aber bereits im Vorfeld deutlich gemacht, dass sie lediglich einer Nachbesserung zustimmen würde. Neuverhandlungen lehnt sie ab. 2. Neuwahlen: Parlament und Regierung werden neu gewählt. Theoretisch ist eine Neuverhandlung des Deals in einem solchem Fall möglich, jedoch ist das zeitliche Fenster, in dem dies geschehen könnte, stark beschränkt. Nach einer Neuwahl müsste innerhalb kürzester Zeit eine Regierung gebildet und ein neues Abkommen mit der EU ausgehandelt werden. Der Austritt am 29. März würde auch in diesem Fall bestehen bleiben. 3. Ein erneutes Referendum: Dafür wird die Unterstützung der Regierung und eine Mehrheit im Parlament benötigt. Auch wenn einige Abgeordnete, vor allem die der Oppositionspartei, ein solches Referendum bevorzugen würden, hat May bereits deutlich gemacht, dass dies nicht zur Debatte stehe. Ihre Begründung: Eine erneute Abstimmung würde den demokratischen Werten Großbritanniens entgegenstehen und man könne nicht so lange abstimmen, bis einem das Ergebnis passe. 4. Ein No-Deal-Szenario: Großbritannien würde am 29. März zum Drittland ohne Handels- und Freizügigkeitsabkommen werden - und ohne eine Vereinbarung, wie dieser Prozess vonstatten gehen soll. In diesem Fall ist mit weitreichenden Konsequenzen zu rechnen. Einige Beispiele: Grenzkontrollen könnten wieder eingeführt werden. Dies beeinträchtigte vor allem den Waren- und Güterverkehr. Engpässe bei der Versorgung mit Lebensmitteln, Medikamenten und Pflegepersonal könnten entstehen. Außerdem ist mit der Abwanderung von Banken und Unternehmen zu rechnen, für die ein Anschluss an den europäischen Binnenmarkt essentiell ist. Auch die Fischerei wäre stark betroffen. Viele britische Fischer arbeiten auf europäischen Kuttern. Hierfür benötigten sie bisher nicht mehr als ihre britischen Qualifikationen. Im Falle eines ungeregelten Brexits, könnten diese nun aber ihre Gültigkeit verlieren. Ähnliches gilt für den britischen Führerschein. Für viele Briten gilt er als Pendant zum Ausweis. Doch auch er könnte, wie andere Lizenzen und Zertifikate, in der EU nicht mehr anerkannt werden. Für einen Urlaub in EU-Ländern, in dem sie vermutlich nur mit erhöhten Roaminggebühren nach Hause telefonieren könnten, müssten sie einen neuen beantragen. Rückblick: Wie kam es zum EU-Austritt? Schon lange vor dem Brexit-Referendum 2016 war das Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU von Spannungen geprägt. Bereits zwei Jahre nach dem Beitritt in die damalige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) hielt Großbritannien 1975 ein Referendum über die zukünftige Mitgliedschaft ab. Damals waren die “Remainers” erfolgreich - also jene, die für den Verbleib Großbritanniens in der EU stimmten. Allerdings hatte das Referendum Nachverhandlungen zur Folge. Die damalige Premierministerin Margaret Thatcher und ihre konservative Regierungspartei vereinbarten eine gesonderte Stellung in der EU und bessere finanzielle Konditionen für ihr Land. Dies betraf vor allem den Beitrag Großbritanniens zum EU-Budget: Die Briten handelten einen Rabatt aus, der ihren finanziellen Beitrag verminderte. 1985 wurde durch das Schengen-Abkommen der Schrittweise Abbau der gemeinsamen Grenzen festgelegt. Hiermit wurde auch die Grundlage eines gemeinsamen europäischen Binnenmarktes geschaffen. Dies fand jedoch ohne Teilnahme Großbritanniens statt. Auch einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik verweigerten sich die Briten. Trotz finanzieller Vergünstigungen und rechtlicher Sonderstellung entwickelte sich in der britischen Bevölkerung eine zunehmende Ablehnung gegenüber Europa. Diese Stimmung nutzte vor allem die EU-kritische “United Kingdom Independent Party” (UKIP), eine populistische Partei unter der Führung von Nigel Farage. Diese stieg zwischenzeitlich zur drittstärksten Partei des Landes auf. Als Reaktion darauf, versuchte Premierminister David Cameron, die EU-kritischen Lager seiner eigenen konservativen Partei zu besänftigen, indem er im Januar 2013 ein Referendum über den Verbleib der Briten in der EU auf die politische Agenda stellte. Zugleich nutzte er die europaskeptische Stimmung in breiten Teilen der Bevölkerung, um Stimmen für seine Wiederwahl zu gewinnen. Im Vorfeld des Referendums warben beide Seiten in umfangreichen Kampagnen um Wähler, wobei Cameron erneut für einen Verbleib Großbritanniens in der EU eintrat. Für einen Großteil der “Remainers” kam dieses Bekenntnis Camerons zur EU jedoch zu spät. Am 24. Juni 2016, einen Tag nach dem Referendum, trat Cameron zurück. Er überließ seiner Innenministerin Theresa May das höchste Regierungsamt und somit auch die Verantwortung, den EU-Austritt zu verhandeln. Aktuelle Ausgabe KATAPULT ist gemeinnützig und unabhängig. Wir finanzieren uns durch Spenden und Abonnements. 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