Religion bedingt Wirtschaftswachstum. Diesen Zusammenhang hat der Ökonom und Soziologe Max Weber bereits 1904 in seinem Werk »Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus« aufgezeigt. Er stellt dort die These auf, dass der Wandel in der protestantischen Berufsethik zentrale Impulse für das kapitalistische Denken gegeben hat. Die industrielle Revolution begann laut Weber gerade in den vorherrschend protestantischen Staaten wie England, Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden, da sie dort aufgrund der protestantischen Denk- und Lebensweise auf fruchtbaren Boden stieß. »Das Sichhingeben der Berufsarbeit« ist für Weber ein charakteristisches Merkmal des Kapitalismus. Dieses spezifische Berufsethos findet sich zuallererst im protestantischen Denken, das mit Johannes Calvin im 16. Jahrhundert damit anfing, das Berufsleben als religiöse Bewährung zu begreifen. Es war sinnlos, auf die Art des Berufes Wert zu legen. Um Gott wohlzugefallen, musste allein die Arbeit mit Fleiß ausgeführt werden Luther, der Kapitalismusgegner Noch im Katholizismus und auch nach der lutherischen Lehre war die Berufswahl von Gott vorbestimmt. Demnach wurden alle Berufe als gleichwertig betrachtet. Die Individuen konnten in jedem Stande »selig« werden. Es war also sinnlos, auf die Art des Berufes Wert zu legen. Um Gott wohlzugefallen, musste allein die Arbeit mit Fleiß ausgeführt werden, zu der er den Menschen berufen hatte. Der Protestantismus in der lutherischen Ausprägung war damit nicht mit dem ökonomischen Denken des Kapitalismus vereinbar. Vielmehr kann Luther noch als Gegner des Kapitalismus betrachtet werden. Er wandte sich vehement gegen das Zinsnehmen und den kapitalistischen Erwerb. Luther ging es nicht darum, »wie viel kann ich pro Tag verdienen, wenn ich das mögliche Maximum an Arbeit leiste, sondern: wie viel muss ich arbeiten, um denjenigen Betrag zu verdienen, den ich bisher einnahm und der meine [...] Bedürfnisse deckt [...].« Für ihn war zwar jeder Mensch zur Arbeit verpflichtet, jedoch war jede Arbeit von gleichem Rang. Daraus konnte noch kein Streben nach sozialem Aufstieg abgeleitet werden. »Der Mensch will ‚von Natur‘ nicht Geld und mehr Geld verdienen, sondern einfach leben, so leben wie er zu leben gewohnt ist und soviel erwerben, wie dazu erforderlich ist.« Dieses lutherische Menschenbild ist uns heute fremder als das unersättliche Streben nach Geld und Kapital. Wirtschaftlicher Erfolg war für Calvin und seine Nachfolger ein Zeichen göttlicher Erwählung – Reichtum bedeutete göttliches Wohlgefallen Calvinismus und Kapitalismus Calvin und seine Nachfolger, als Reformatoren der zweiten und dritten Generation, waren zwar von Luther beeinflusst, vom beruflichen Werdegang des Menschen in der Welt hatten sie jedoch eine ganz andere Vorstellung. Wirtschaftlicher Erfolg war für sie ein Zeichen göttlicher Erwählung – Reichtum bedeutete göttliches Wohlgefallen. »Wir müssen alle Christen ermahnen, zu gewinnen was sie können und zu sparen was sie können, das heißt im Ergebnis: reich zu werden.«6 Zum einen erfuhr damit der Leistungsgedanke eine neue religiöse Verehrung, andererseits wurde der asketische Sparzwang begründet, der zur sinnvollen Verwendung des Kapitals zwang. Reichtum bedeutet damit nicht übermäßiger Konsum und Genuss, sondern Reinvestition. Was heute oft unterschätzt wird: Infolge der Reformation war der Calvinismus einflussreicher als das Luthertum Was heute oft unterschätzt wird: Infolge der Reformation war der Calvinismus einflussreicher als das Luthertum. Während der Einfluss Luthers weitestgehend auf Deutschland und die skandinavischen Länder beschränkt blieb, verbreitete sich der Calvinismus von der Schweiz in die Niederlande und nach Schottland. Durch die Ausbreitung nach England nahm die Expansion zudem in dessen Kolonien seinen Lauf. Letztendlich waren dies genau die Staaten, in denen die industrielle Revolution begann. Kritik an der These Dieser Zusammenhang zwischen protestantischer Lebensweise und Entwicklung des Kapitalismus darf natürlich nicht einseitig verstanden werden. Selbst Weber setzt sich in seinem Werk sehr kritisch mit seiner eigenen These auseinander. Es ist ein weitverbreitetes Missverständnis, Weber habe den Protestantismus als geistigen Urheber des modernen Kapitalismus bezeichnet. Religion und Wirtschaft wirken vielmehr wechselseitig aufeinander. Denn genauso wie der Protestantismus als Wegbereiter des Kapitalismus gesehen werden kann, kann auch der Erfolg des Calvinismus auf die aufsteigende kapitalistische Arbeitsweise der Zeit zurückgeführt werden. Grundlegende Bedeutung der Analyse Webers Auch wenn Webers Analyse historisch begrenzt ist, hat sie bis heute einen wesentlichen Anstoß in der Wissenschaft gegeben. Religion und Wirtschaft werden weniger als zwei voneinander getrennte Sphären, als vielmehr als Einheit betrachtet. Tatsächlich können religiöse Faktoren für die wirtschaftliche Entwicklung von grundlegender Bedeutung sein und diese sogar hemmen Tatsächlich können religiöse Faktoren für die wirtschaftliche Entwicklung von grundlegender Bedeutung sein und diese sogar hemmen. Dies beweist die arabische Geschichte. Historiker nehmen an, dass die Voraussetzungen für eine industrielle Revolution in der arabischen Welt bereits im 12. Jahrhundert gegeben waren. Der Durchbruch ist jedoch durch religiöse Autoritäten verhindert worden. Heute scheint die Bedeutung von Religion im Lebensalltag der Menschen in der westlichen Welt immer mehr an Bedeutung zu verlieren. Doch auch wenn die Religiosität abnimmt, bleibt das Streben nach Wohlstand und Anhäufung von Kapital bestehen – so gesehen ist der Calvinismus immer noch präsenter als das Luthertum. Für Weber ist dieses rastlose Gewinnstreben eine »sinnlose Umkehrung«. Der Erwerb ist nur noch Selbstzweck und nicht mehr Mittel dafür, menschliche Lebensbedürfnisse zu befriedigen. Das Streben nach immer mehr Geld ist nicht mehr an das »Glück« oder den »Nutzen« des einzelnen Individuums gekoppelt. Diese kapitalistische Herangehensweise hat für Weber etwas »Transzendentes« und »Irrationales«. So hat im letzten Jahrhundert zwar der Einfluss der Kirche auf das gesellschaftliche Zusammenleben immens abgenommen. Der Glaube an den Erwerb als Lebenszweck bleibt im Geiste des Kapitalismus jedoch bis heute bestehen. Aktuelle Ausgabe Dieser Beitrag erschien in der vierten Ausgabe von KATAPULT. Abonnieren Sie das gedruckte Magazin und unterstützen damit unsere Arbeit. KATAPULT abonnieren