Zum Inhalt springen

Krieg in der Ukraine

Dem Westen bleiben nur Waffenlieferungen und taktische Aufklärungsarbeit – meint Carlo Masala

Von

Artikel teilen

KATAPULT führte zwischen dem 2. und 4. März vier voneinander unabhängige Interviews mit Forschenden zur Lage in der Ukraine, die in einem zusammenfassenden Artikel mündeten.

Nachträglich veröffentlichen wir diese Gespräche für unsere Leser:innen.

Herr Masala, was halten Sie von der ersten Gesprächsrunde zwischen der Ukraine und Russland im Hinblick auf eine mögliche Lösung?

Masala: Nicht besonders viel, weil zunächst zwei Verhandlungsparteien mit Maximalpositionen da reingehen – und diese sind nicht miteinander vereinbar. Die Zusammensetzung der russischen Delegation fand ohne Profis statt. Es waren also keine Diplomaten dabei. Der Vorsitzende der Delegation war ein ehemaliger Kulturminister aus einer der Regierungen von Putin. Einige Leute aus Putins Partei sind in der Duma vertreten. Diese Verhandlungsgruppe war dazu da, die politischen Bemühungen Putins widerzuspiegeln. Diese waren aber nicht wirklich ernst gemeint, vermute ich.

Zitat: „Diese Verhandlungen sind von Putin nicht ernst gemeint.“

Putin versucht, seinem eigenen Handeln Legitimation zu verschaffen. Ich meine, dass es Putin wohl darum ging, Zeit zu gewinnen und auch gegenüber der internationalen Gemeinschaft wie auch der russischen Bevölkerung seinen Willen zu zeigen, einen „Frieden“ zu verhandeln. Wir treten allerdings in eine wohl ernste Phase der Verhandlungen, wenn sich demnächst die Außenminister beider Staaten treffen.

Schon am dritten Tag der Invasion berichtete etwa die FAZ davon, dass Putins Angriff nicht nach Plan verlaufe. Heißt das, dass sich Putin möglicherweise verspekuliert hat?

Masala: Es deutet einiges darauf hin, dass die Annahmen dieser militärischen Kampagne falsch waren. Darunter die, dass ein Großteil der Ukrainer die Russen als Befreier empfinde. Oder dass der Vormarsch in der Ukraine unproblematischer verlaufen würde. Das erklärt die teilweise fehlende Logistik der Truppen, als sie einmarschiert sind. Der Kreml hat die Kampfmoral der ukrainischen Armee und die massiven Waffenlieferungen seitens westlicher Staaten an die ukrainische Armee unterschätzt. 

Zitat: „Die Annahmen des Kramls für diese militärische Kampagne waren falsch.“

Die Waffenlieferungen sind mittlerweile aus vielen Staaten in der Ukraine angekommen und weitere sind angekündigt. Was bringen die derzeit tatsächlich?

Masala: Viele panzerbrechende Waffen machen schon einen entscheidenden Unterschied für die ukrainische Armee. Zusätzlich vermute ich, dass die ukrainische Armee sehr viel Satellitenaufklärung von den Amerikanern erhält sowie taktische und operative Beratung von anderen Staaten. Das findet natürlich nicht in der Ukraine statt, sondern über sichere Kommunikationskanäle – vermute ich. Das alles erklärt, warum die ukrainische Armee dann doch stärker ist, als eigentlich jeder angenommen hat.

Und was werden nächste Schritte vonseiten des Westens?

Masala: Ich glaube, da wird es keine nächsten Schritte geben. Eingreifen will die Nato unter keinen Umständen, egal wie es ausgehen wird. Das Einzige, was bleibt, sind Waffenlieferungen und taktische Aufklärungsarbeit. 

Das heißt, ein potenzieller Krieg mit einem Beitritt der Nato ist ausgeschlossen.

Masala: Den hat die Nato bislang immer ausgeschlossen.

Unter welchen Umständen wäre eine Beteiligung der Nato möglich? 

Masala: Wenn Putin auch noch ein Nato-Mitglied angreift. Dann wäre die Nato in diesen Konflikt involviert. Solange Putin seine Finger von Nato-Mitgliedstaaten lässt, sehe ich diese Option nicht. Einen Dritten Weltkrieg wollen sowohl die Nato als auch Putin nicht.

Und die Wahrscheinlichkeit, dass Nuklearwaffen eingesetzt werden könnten?

Masala: Die halte ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt für extrem gering. Die strategischen Streitkräfte der russischen Föderation in erhöhte Alarmbereitschaft zu versetzen, bedeutet nicht, dass jetzt Sprengköpfe scharfgemacht werden. Selbst die Russen wissen nicht genau, was jetzt passiert. Vor allen Dingen geht es darum, eine physische Verbindung zwischen dem Kreml und den entsprechenden strategischen Kommandos herzustellen, um es Putin im Falle einer weiteren Eskalation irgendwann mal zu erlauben, sozusagen den Abschuss von Nuklearwaffen zu befehlen.

Führen die Waffenlieferungen aktuell eher zu einer Entspannung, also tragen sie zu einer Lösung bei, oder verhärten sie den Konflikt?

Masala: Weder noch. Die ukrainische Armee kann dadurch bessere Gefechte führen. Aber sie verschärfen den Konflikt nicht, denn die russisch Armee ist materiell einfach überlegen. Die ukrainische Armee erzielt derzeit keine entscheidenden Gewinne. 

Welche Optionen und Szenarien gibt es derzeit für Frieden?

Masala: Keine. Einen Frieden, der die Interessen beider Seiten berücksichtigt, gibt es nicht. Wenn das so weitergeht, wird es auf eine militärische Lösung hinauslaufen.

Das heißt: so lange Krieg, bis einer verliert?

Masala: Solange Krieg, bis einer aufgibt – und das wird die Ukraine sein.

Demnach ist die Frage, was der Westen Putin denn für eine Exit-Option schaffen könnte, eigentlich überflüssig.

Masala: Genau. Die sehe ich nicht. Putin besteht noch immer auf seinen Maximalforderungen. Wenn der Westen auf die eingehen würden, würde er die Ukraine im Stich lassen. Putin hat zwei Forderungen gestellt und mehrfach wiederholt: Demilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine. Das sind Maximalforderungen, denen man ja nicht entsprechen kann. 

Wieso ist das so?

Masala: In einer seiner Reden hat Putin der Ukraine generell die staatliche Identität abgesprochen. Damit geht dieser Konflikt zunächst weit über einen normalen zwischenstaatlichen Konflikt hinaus. Es ist primär ein Konflikt um Identität. Die Identität als souveräner Staat, die Putin der Ukraine abspricht.

Das heißt, es gäbe auch vonseiten der Ukraine nichts, was man Putin anbieten könnte?

Masala: Nein, außer der Neutralität der Ukraine, und dann die offizielle Anerkennung der Autonomie der beiden Oblaste Donezk und Luhansk. Beides kommt einer Kapitulation gleich. 

Was würde der Westen tun, wenn Putin sich vielleicht, entgegen seinem eigentlichen Plan, Kyjiw und die politischen Institutionen einzunehmen, entscheidet, diese vollständig zu zerstören? 

Masala: Die Reaktion wäre ein Riesenaufschrei sowie eine Verschärfung der Sanktionen und vielleicht eine Anklage beim Internationalen Tribunal in Den Haag – aber letzten Endes sind dem Westen die Hände gebunden.

Fußnoten

  1. Die Pressesprecherin des Weißen Hauses hat am 3. März bestätigt, dass die USA Aufklärung mit der Ukraine vom ersten Tag an in „Echtzeit“ teilen. Die taktische Beratung anderer Staaten lässt sich Masala zufolge nicht direkt bestätigen.

Autor:innen

Seit 2020 Redakteur bei KATAPULT.

Neueste Artikel

Saarland als universelles Flächenmaß

1.256 Leute haben uns gefragt: Wie groß ist das eigentlich in Saarländern? Hier kommt die Antwort.

Aus der Reihe "Positive Karten"

Die Kindersterblichkeit ist in den letzten 200 Jahren drastisch zurückgegangen. Noch bis 1800 erreichte mehr als ein Drittel der Kinder nicht das fünfte Lebensjahr. Durchschnittlich bekamen Frauen zwischen fünf und sieben Kindern, der Verlust von von zwei bis drei von ihnen war keine Seltenheit. Das legen demografische Untersuchungen nahe.

Neuer kleinster Staat der Welt soll in Albanien entstehen

Das bestätigte der albanische Premierminister Edi Rama vor wenigen Tagen. Er will den Mitgliedern des Bektaschi-Ordens eine eigene Enklave nach dem Vorbild des Vatikans gewähren. Und damit die religiöse Toleranz fördern. Rama ist Vorsitzender der Sozialistischen Partei Albaniens, der Nachfolgeorganisation jener Partei, die während der kommunistischen Ära in Albanien alle Religionen verboten hatte.