Polens Oberstes Gericht hat eine neue Vorsitzende. Die Wahl des nationalkonservativen Staatspräsidenten Andrzej Duda fiel auf die als regierungstreu geltende Małgorzata Manowska. Sie soll eine enge Verbündete des Justizministers sein und war von 25 ihrer Kollegen vorgeschlagen worden. Doppelt so viele hatten sich für den unabhängigen Juristen Włodzimierz Wróbel ausgesprochen, doch das war Duda egal. Er hat den Ratschlag der Richter ignoriert und seine Favoritin berufen. Manowskas Vorgängerin, Małgorzata Gersdorf, war eine profilierte Kritikerin der umstrittenen Justizreformen der polnischen Regierung. Im April endete ihre sechsjährige Amtszeit. Für Polens nationalkonservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und ihren mächtigen Vorsitzenden Jarosław Kaczyński ist das ein weiterer Etappensieg. Seit die Rechten 2015 die Macht übernommen haben, krempeln sie das Justizsystem grundlegend um. Kritiker sehen in den Reformen einen Angriff auf die Fundamente des Rechtsstaats. In vielen relevanten Demokratie-Indizes fiel Polen seither deutlich zurück. Polens Krise des Rechtsstaats Die PiS erachtet die Justiz als ein nach der Wende von 1989 nicht angemessen reformiertes, korruptes Relikt des postkommunistischen Systems. Mithilfe rechtlich fragwürdiger Richterernennungen hat sie bis Ende 2016 zuerst das polnische Verfassungsgericht unter ihre Kontrolle gebracht. In den Augen der EU-Kommission gelten die Juristen nicht mehr als unabhängig und auch nicht mehr als Garant der Verfassungsrechte. Die Nationalkonservativen versuchen seither, auch das Oberste Gericht Polens auf Linie zu bringen. So wird seit 2018 der Landesjustizrat, der dem Präsidenten neue Richter zur Ernennung vorschlägt, durch das Parlament gewählt. Sogleich verschob die PiS das Kräftegleichgewicht in dem Gremium zu ihren Gunsten. Der ehemalige Justizminister Borys Budka kritisierte das neue Verfahren als das „Ende der Gewaltenteilung“. Zuvor waren die Richter, die die Mehrheit des Gremiums stellen, unabhängig von anderen Richtern gewählt worden. Schon mehr als ein Drittel der Juristen am Obersten Gericht wurde vom Landesjustizrat ins Amt gehoben. „Merkmale einer autoritären Regierung“ Auch eine Disziplinarkammer wurde am Obersten Gericht installiert, die Richter entlassen kann. Die meisten ihrer Mitglieder stehen der PiS oder dem Justizminister Zbigniew Ziobro nahe. Ende 2019 schoben die PiS und ihre Verbündeten noch ein weiteres Richter-Disziplinierungsgesetz hinterher. Zukünftig können Richter bestraft werden, wenn sie die Entscheidungskompetenzen anderer Gerichte, etwa wegen deren mangelnden Unabhängigkeit von der Regierung, infrage stellen. Duda unterzeichnete das Gesetz im Februar. Human Rights Watch kritisierte damals: »Die politische Einmischung in die Justiz trägt alle Merkmale einer autoritären Regierung und trifft den Kern der Rechtsstaatlichkeit und des Schutzes der Menschenrechte«. Im April eröffnete die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren wegen dieses Gesetzes gegen Polen. Bereits Ende 2019 hatte das Oberste Gericht Polens die gesamte Disziplinarkammer für rechtswidrig erklärt. Auch der Landesjustizrat sei nicht ausreichend unabhängig, urteilten die Richter. Im April dieses Jahres stützte der Europäische Gerichtshof seine polnischen Kollegen und urteilte, dass die Disziplinarkammer ihre Arbeit vorerst aussetzen müsse. Ein endgültige Entscheidung steht aber noch aus. Auch andere Teile der Justizreformen wurden bereits von den Luxemburger Juristen verurteilt. So versuchte die PiS etwa, kritische Richter durch die Absenkung des Höchstalters loszuwerden. Auch Małgorzata Gersdorf, die regierungskritische ehemalige Vorsitzende des Obersten Gerichts, hatte man so erfolglos abzusetzen versucht. “Schwarze Schafe” eliminieren Schon im Dezember 2017 stieß die Europäische Kommission ein Artikel-7-Verfahren gegen Polen an. Damit fordert sie den EU-Ministerrat auf, festzustellen, ob Polen EU-Grundwerte wie Demokratie oder Rechtsstaatlichkeit verletzt. Mittelfristig könnte Polen durch dieses Verfahren das Stimmrecht im Ministerrat entzogen werden. Allerdings hat Ungarn bereits angekündigt, Polen schützen zu wollen. So wenig wie die Niederlagen vor dem Europäischen Gerichtshof konnte auch dieser Mechanismus die PiS also bislang nicht abhalten, immer neue Maßnahmen zu entwerfen, um Polens Rechtswesen nach ihren Vorstellungen umzuformen. Andrzej Duda beteiligt sich eifrig an der PiS-Kampagne gegen die Justiz. Einige polnische Richter fühlten sich offenbar als „Götter«, erklärte er im Januar. Die Disziplinarkammer müsse „schwarze Schafe“ schnell „eliminieren“. Über die EU sagte er: „Sie werden uns nicht in fremden Sprachen aufzwingen, wie wir unser System zu organisieren haben.“ Auch deswegen ist die Anfang Mai wegen der Corona-Pandemie verschobene Präsidentenwahl für die polnische Opposition so wichtig: Das Staatsoberhaupt könnte als Korrektiv gegen die Angriffe der PiS auf den Rechtsstaat wirken. Aktuelle Ausgabe KATAPULT ist gemeinnützig und unabhängig. Wir finanzieren uns durch Spenden und Abonnements. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 19,90 Euro im Jahr. KATAPULT abonnieren