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Demografie Chinas

China braucht Frauen, Deutschland Einwanderer

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China wird alt. Darum hat das 18. Zentralkomitee der Kommunistischen Partei im Oktober dieses Jahres die Ein-Kind-Politik beendet. Nach 35 Jahren der Begrenzung auf nur ein Kind ist es chinesischen Paaren nun erlaubt, ein zweites zu bekommen.

Die Kommunistische Partei hat die Entscheidung zur Beendigung der Ein-Kind-Politik aber nicht aus ethischen Gründen getroffen, sondern aus ökonomischen. Denn nun ist absehbar, welche Auswirkungen die jahrelange Geburtenkontrolle auf das Bevölkerungswachstum Chinas hat.

Das Ende der Familienbeschränkung löst bei den Chinesen jedoch kein besonderes Umdenken aus. So will einer Umfrage zufolge nur etwa ein Drittel der Chinesen ein zweites Kind bekommen. Das ergab die Befragung von 60.000 Lesern der Webseite »Ifeng«, dem Internetauftritt eines chinesischen Fernsehsenders. 23.000 der Befragten sprachen sich demnach für ein zweites Kind aus.

Der Schutz der Chinesinnen

Die Ein-Kind-Politik wurde 1979/80 eingeführt, um das Bevölkerungswachstum zu begrenzen. In den Anfangsjahren war die Politik besonders streng: Es wurden Zwangsabtreibungen vorgenommen und Mütter zwangssterilisiert. Rein funktional betrachtet, war dieses Vorgehen erfolgreich. Andernfalls würden in China heute etwa 300 Millionen Menschen mehr leben. Doch die Ein-Kind-Politik hat mehr Probleme verursacht als gelöst.

Bereits 1982 kamen in China 108,5 Jungengeburten auf 100 Mädchengeburten, 2009 kamen sogar 120 Jungen auf 100 Mädchen. Die Mädchengeburten liegen also unter dem durchschnittlichen weltweiten Verhältnis: auf 100 Mädchen kommen 102 bis 106 Jungen.

In China herrscht mittlerweile ein gravierender »Männerüberschuss«. Durch die Ein-Kind-Verordnung wurden viele weibliche Föten abgetrieben, neugeborene Mädchen getötet oder ausgesetzt. Denn Söhne gelten traditionell als wertvoller.

Um solche Handlungen zu verhindern, war es Bauernfamilien seit Mitte der 1980er Jahre erlaubt, ein zweites Kind zu bekommen, wenn ihr Erstgeborenes ein Mädchen war. Außerdem wurde es gesetzlich verboten, das Geschlecht des ungeborenen Kindes mittels Ultraschall zu bestimmen. Das sollte die Abtreibung weiblicher Föten stoppen. Bei einem Verstoß drohte der Familie, aber auch dem Arzt, eine hohe Geldstrafe.

Später wurde die Ein-Kind-Politik schrittweise gelockert. Ab 2004 durften verheiratete Paare ein gemeinsames Kind bekommen, auch wenn einer der Eheleute aus erster Ehe bereits ein Kind hatte. Seit zwei Jahren dürfen Paare ein zweites Kind bekommen, bei denen ein Partner als Einzelkind aufgewachsen ist. Die Regierung erhoffte sich von diesen Lockerungen eine Zunahme der Geburten und eine Verlangsamung des gesellschaftlichen Alterungsprozesses.

Allerdings ist kein nennenswerter Effekt zu beobachten. Derzeit sind über 185 Millionen Chinesen über 60 Jahre alt, bis 2050 wird diese Zahl auf 500 Millionen ansteigen. Das bedeutet, dass in 35 Jahren jeder vierte Chinese im Rentenalter sein wird. Die restliche Bevölkerung dürfte dann kaum in der Lage sein, genug Renten und Sozialleistungen einzuzahlen, um das Defizit auszugleichen.

Männer, die keine Frauen abbekommen

Doch um den erheblichen Alterungsprozess der chinesischen Bevölkerung aufzuhalten, kommt die Aufhebung der Ein-Kind-Politik zu spät. Darüber hinaus war die staatliche Geburtenkontrolle auch nicht der einzige Grund dafür, dass sich junge Ehepaare in den Städten für nur ein Kind entschieden. Ein zweites Kind war – und ist vielen Paaren heute noch – schlicht zu teuer.

Eine weitere Erklärung für den geringen Nachwuchs ist der Anstieg des allgemeinen Bildungsniveaus. Frauen wollen lieber Karriere machen, als Hausfrau und Mutter zu sein. Allerdings sind sie oft auch darauf angewiesen, arbeiten zu gehen, da das Leben in den Großstädten teuer ist. Nur ein Gehalt reicht oft nicht aus. Darüber hinaus sind private Betreuungsplätze für Kinder sind sehr kostenintensiv, staatliche sehr rar.

Auch der Mangel an heirats- und geburtsfähigen Frauen trägt dazu bei, dass nicht genügend Kinder geboren werden. Es wird vermutet, dass in zehn Jahren bis zu 40 Millionen chinesische Männer keine Frau mehr »abbekommen«.

Die Folgen daraus sind pragmatisch wie dramatisch: Frauen werden aus anderen Ländern nach China »importiert«. Praktisch bedeutet das, dass sie von Menschenhändlern aus »armen Gebieten in Vietnam, Nordkorea, Laos, Kambodscha und Myanmar als Zwangsbräute oder Prostituierte nach China« verschleppt werden.

In China hätte weitaus früher erkannt werden müssen, dass das Land auf ein Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen zusteuert. Mit der Ein-Kind-Politik hat sich China, perspektivisch betrachtet, selbst geschadet. Deren Aufhebung ist jedoch nur ein Schritt auf dem Weg zur Stabilisierung der Population.

Wenn China alt ist, ist Deutschland schon tot

Kommen in China pro Frau durchschnittlich 1,6 Kinder zur Welt, so sind es in Deutschland nur etwa 1,4 Kinder – wohlgemerkt, ohne Ein-Kind-Politik. Um einen stabilen Bevölkerungszuwachs zu erreichen, ist jedoch eine Quote von mindestens 2,1 Kindern pro Frau erforderlich.

63 Prozent der Deutschen halten zwei Kinder für ideal. China ist ein Land, in dem Kinderreichtum als Segen angesehen wird, schließlich galten Kinder vor der Einführung der Ein-Kind-Politik als Garant für die Altersvorsorge. Diese Einstellungen spiegeln sich jedoch nicht in den realen Geburtenraten wider.

Neben den allgemein hohen Lebenshaltungskosten liegt die schwache Geburtenrate auch in Deutschland wohl hauptsächlich an der Zunahme des Bildungsniveaus. Menschen, die einen Hochschulabschluss und damit eine größere Chance auf einen besser bezahlten Job haben, entscheiden sich häufig für nur ein Kind (oder sogar gar keines), damit beide Partner arbeiten gehen können. Es ist einfacher und günstiger, nur ein Kind betreuen zu lassen als zwei oder mehr Kinder.

Erst in den letzten zehn Jahren ist der demografische Wandel, dessen Problematik bereits seit den 1970er Jahren bekannt ist, verstärkt ins Blickfeld der öffentlichen Diskussion geraten und zu einem »Modethema« geworden. »Es besteht jetzt sogar die Gefahr, dass die notwendigen politischen Reformen von den inflationsartig zunehmenden Diskussionen und Tagungen in den Hintergrund gedrängt werden.«

Die konkreten Maßnahmen, die die negativen Folgen des demografischen Wandels dämpfen können, sind bekannt: für die Sicherung der Renten wären das beispielsweise eine längere Lebensarbeitszeit, eine höhere Beschäftigungsquote bei Frauen sowie die Integration von Einwanderern in den Arbeitsmarkt. Darüber hinaus benötigt Deutschland für einen Anstieg der Geburten eine Familienpolitik, die die »Vereinbarkeit von Familie und Beruf für beide Partner« gewährleistet. Deutschland könnte im Umgang mit dem demografischen Wandel eine Vorbildfunktion einnehmen – nicht nur für China.

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