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Europäische Union

Berlin will Europa - aber anders

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Aktuell haben sechs Staaten den Status eines Beitrittskandidaten. Hiermit ist nicht gesagt, dass diese Länder tatsächlich Teil der Europäischen Union werden werden - aber zumindest die Perspektive besteht.

Angesichts dieser potentiellen Erweiterung fordert Scholz Reformen. Zum einen müsse vom Einstimmigkeitsprinzip im Rat der Europäischen Union abgerückt werden. In diesem kommen die Staats- und Regierungschefs zusammen, um über grundlegende politische Fragen zu entscheiden, etwa im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik. Wird die EU größer und somit diverser, so die Überlegung aus dem Kanzleramt, dann müssen Entscheidungen auch per Mehrheitsbeschluss getroffen werden können. Andernfalls drohe eine Blockade des Gremiums. Gerade der Fall Ungarn hat in den vergangenen Jahren immer wieder gezeigt, wie anfällig der Rat für Torpedierungen ist.

Zum anderen, so Kanzleramtsmininster Wolfgang Schmidt, müsse über die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments gesprochen werden. Aktuell gilt für das EP eine Obergrenze von 751 Abgeordneten. Je nach Bevölkerungsgröße entsendet jeder Mitgliedstaat derzeit zwischen sechs und 96 Parlamentarier:innen. Zugeteilt werden die Sitze nach dem Prinzip der degressiven Proportionalität. Das legt fest, dass die bevölkerungsreichen Mitgliedstaaten im Verhältnis weniger Sitze bekommen als die bevölkerungsarmen. So kommen auf einen Sitz für Deutschland mehr als 800.000 Menschen - auf einen Abgeordneten aus Malta aber nur gut 80.000.

Angst vor Einflussverlust

Hintergrund dieser Regel ist die Sorge der Parteien in kleineren Mitgliedstaaten, nicht ausreichend repräsentiert und im Zweifelsfall übergangen zu werden. Durch die Aufwertung des Europäischen Parlaments seit dem Vertrag von Maastricht aus dem Jahr 1992 sind diese Sorgen sicher nicht kleiner geworden. Seither wurde das Parlament von Vertrag zu Vertrag mächtiger. Vor allem durch den Vertrag von Lissabon, der 2009 in Kraft getreten ist, hat es neue gesetzgeberische Kompetenzen erhalten. Zudem ist es in letzter Instanz verantwortlich für die Wahl der Europäischen Kommission und entscheidet über den Haushalt der EU.

Diese parlamentarischen Befugnisse scheinen mitverantwortlich für den Vorstoß aus Berlin zu sein. Gerade mit der Aufnahme der Ukraine würden sich die Stimmenverhältnisse im Europäischen Parlament verschieben. Mit rund 44 Millionen Einwohner:innen würden dem Land vergleichsweise viele Sitze zustehen. Der Einfluss deutscher Wähler:innen und Parteien würde angesichts dessen kleiner werden. 

Wie genau sich die Sitzverteilung ändern soll, ist aktuell nicht bekannt. Sicher ist, dass die Verträge der Europäischen Union geändert werden müssten. Denn in diesen ist sowohl festgehalten, wie groß das Parlament sein darf, als auch wie viele Abgeordnete pro Staat minimal und maximal entsendet werden dürfen. Vertragsänderungen sind in aller Regel mühsame Verfahren, da alle Mitgliedstaaten zustimmen müssen. Teilweise bedarf es hierzu sogar nationaler Volksabstimmungen.

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Fußnoten

  1. Brössler, Daniel: Scholz pocht auf EU-Reformen, auf: sueddeutsche.de (20.6.2022).
  2. Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.): 60 Jahre Europäisches Parlament, auf: bpb.de (14.3.2018).
  3. Europäisches Parlament (Hg.): Das Europäische Parlament nach dem Vertrag von Lissabon: Eine größerer Einfluss auf die Gestaltung Europas, auf: europarl.europa.eu (ohne Datum).
  4. Grobe, Stefan; Tidey, Alice: Änderungen an den EU-Verträgen - wer will sie durchführen und warum?, auf: euronews.com (10.5.2022).  

Autor:innen

Geboren 1986, ist seit 2020 Redakteur bei KATAPULT. Er hat Politikwissenschaft und Geschichte in Freiburg und Greifswald studiert und wurde mit einer Arbeit im Bereich Politische Ideengeschichte promoviert. Zu seinen Schwerpunkten zählen die deutsche Innenpolitik sowie Zustand und Entwicklung demokratischer Regierungssysteme.

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