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Editorial N°6

Bahnfahren als Klimaschutz: Es fehlen Kunden, Strecken und Geld

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Die Deutsche Bahn fährt jetzt grün, zumindest optisch. Denn seit 2019 sind einige ICEs mit einem besonderen Merkmal ausgestattet: Ihre vorderen und hinteren Seitenstreifen werden grün statt rot lackiert. Das soll laut Konzernleitung darauf aufmerksam machen, dass die Bahn das umweltfreundlichste Verkehrsmittel sei. Ob dadurch mehr Leute auf das Auto verzichten?

Wenn man wie die KATAPULT- und KNICKER-Redaktion in Greifswald wohnt, wird es zumindest schwierig, einem dieser ICEs zu begegnen. Denn die fahren im Nordosten äußerst selten. Zwar hat der Ausbau von Schnellstrecken die durchschnittliche Reisezeit deutschlandweit erheblich verkürzt. Allerdings sind zwischen 1990 und 2018 auch Tausende Kilometer Gleise stillgelegt worden.

Gerade in ländlichen Regionen stellt der Zug damit oft keine sinnvolle Alternative zum Auto mehr dar. Für hochfrequentierte Strecken fehlen hingegen Ausweichgleise. In der Folge kommt es zu Verspätungen, Nahverkehrszüge müssen warten. Deshalb fordern Fahrgastverbände und lokale Initiativen, Verbindungen wieder zu reaktivieren. Warum das jedoch mit Schwierigkeiten verbunden ist, erklärt diese Ausgabe des KNICKER.

Im Vergleich zu den deutschsprachigen Nachbarländern fahren in Deutschland nicht nur prozentual viel weniger Menschen mit dem Zug, das Image der Bahn ist auch deutlich schlechter. Verspätungen und gestrichene Fahrten, ausgefallene Klimaanlagen im Sommer, defekte Heizungen im Winter, nicht funktionierende Platzreservierungen, kaputte Ticketschalter und Preiserhöhungen führen nicht zu Eisenbahnromantik, sondern zu Frustration.

Die trifft nicht nur Passagiere, sondern auch Mitarbeiter. Zwischen 2013 und 2018 hat sich die Zahl der körperlichen Angriffe gegen Bahnmitarbeiter mehr als verdoppelt. Diese kommen auch, aber nicht nur von Schwarzfahrern und treffen jene, die die Probleme weder verursacht haben noch verhindern können. Denn die Gründe sind strukturell.

Beispielsweise sind zahlreiche Brücken marode und viele Gleise so veraltet, dass Züge sie nur in gedrosseltem Tempo befahren dürfen. Von den Stellwerken arbeitet nur ein kleiner Teil mit neuester digitaler Technologie, der Großteil besteht aus einer Kombination von Mechanik und elektromotorischen Antrieben. 26 Prozent werden nach wie vor rein mechanisch betrieben - also mit Technik wie zu Kaisers Zeiten.

Und: Die Deutsche Bahn hat in den vergangenen Jahrzehnten etwa 20 Milliarden Euro Schulden angehäuft. Kritiker machen dafür auch die Konzernstrategie verantwortlich.

Statt Gelder gewinnbringend anzulegen oder aber in den Ausbau der Infrastruktur zu investieren, hat die Deutsche Bahn zahlreiche Firmenanteile im Ausland erworben, um sich als weltweiter Logistikkonzern zu etablieren. Erreicht hat sie dieses Ziel nicht, von den Konzerntöchtern fließen zudem kaum Gewinne in das deutsche Bahnnetz. Auch innerhalb Deutschlands setzt sich beim Gütertransport der umweltfreundlichere Schienenverkehr nicht gegenüber der Straße durch. Warum? Das erfahren Sie in dieser Ausgabe.

Ins Portfolio des DB-Konzerns gehören dabei auch Firmen, die nichts mit dem Schienenverkehr zu tun haben: etwa ein VW-Autohaus in Slowenien, ein Versandunternehmen für einen schwedischen Reifenhändler, ein Ford-Transportdienstleister, eine britische Firma für Krankenwagen und -transporte oder ein dänisches Unternehmen, das unter anderem Sprach- und Fahrschulen anbietet. Der Bundesrechnungshof und viele Politiker kritisieren diese Shoppingtouren - und fordern, sich auf das Kerngeschäft zu konzentrieren. Schließlich bestehe erheblicher Modernisierungsbedarf.

Am Investitionsstau trägt die Politik jedoch eine Mitschuld. Der Straßenverkehr genoss politisch und finanziell stets Vorrang. Die jüngst geplanten Milliardeninvestitionen sind ein notwendiger, aber kein ausreichender Schritt. Um das Versprechen einer grünen Verkehrsalternative einzulösen, steht die Bahn demnach vor großen Herausforderungen. Es mangelt an Kunden, am Streckennetz und Geld.

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Autor:innen

Geboren 1988, von 2017 bis 2022 bei KATAPULT und Chefredakteur des KNICKER, dem Katapult-Faltmagazin. Er hat Politik- und Musikwissenschaft in Halle und Berlin studiert und lehrt als Dozent für GIS-Analysen. Zu seinen Schwerpunkten zählen Geoinformatik sowie vergleichende Politik- und Medienanalysen.

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