Russland ist durch die Krim-Krise und den Ausschluss aus der supranationalen Vereinigung der sieben führenden Industrienationen (ehemals G8, nun G7) seit längerer Zeit in den Nachrichten präsent. Berichtet wird hauptsächlich mit anti-russischer Grundhaltung. Das liegt zum einen an der fehlenden Kommunikation zwischen Russland und dem Westen, zum anderen an der fehlenden Bereitschaft der Menschen im Westen, sich mit der russischen Geschichte auseinanderzusetzen. Vor allem die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen, die die Auflösung der Sowjetunion 1990 mit sich brachte, haben eine tiefe Kluft zwischen Russland und dem Westen geschaffen. Eine Kluft, die sich vor allem im politischen System zeigt. So hat die Regierungsform Russlands Züge der Demokratie, aber auch von Autokratie und Oligarchie. Worin liegt eigentlich der Unterschied zwischen Autokratie und Oligarchie? Die Oligarchie ist nach Platon durch die Machtausübung einer Minderheit über einen Staat dadurch gekennzeichnet, die sich ausschließlich am eigenen Wohl orientiert. Für die Gegenwart bedeutet das, dass es in manchen Staaten trotz demokratischer Grundzüge dazu kommt, dass ein kleiner Kreis von Personen die wichtigen politischen Entscheidungen trifft und die eigenen Bedürfnisse dabei vor die der übrigen Bevölkerung stellt. Die Autokratie dagegen bedeutet wörtlich »Selbstherrschaft«. Es handelt sich also um eine durch sich selbst legitimierte Herrschaft. Es gibt demnach in dieser Herrschaftsform keine Auswahlmöglichkeiten der Regierenden durch die Regierten. Russland wurde über zweihundert Jahre lang durch autokratische Herrscher regiert. So kann das russische Zarenreich ab Zar Peter I. als Autokratie gesehen werden, da ab dieser Regentschaft der Zar als allrussischer Kaiser sich selbst legitimierte. Ebenso übte der Parteiführer der Kommunistischen Partei ab 1917 eine autokratische Herrschaft aus. 75 Menschen regieren Russland Als es 1990 schließlich zum Zusammenbruch der Sowjetunion kam, gelangten einige Geschäftsleute durch skrupelloses Vorgehen zu großem Reichtum und damit zu politischer Einflussnahme auf die sowjetische Regierung. Sie wurden und werden als Oligarchen bezeichnet und übten unter Präsident Jelzin großen Einfluss auf dessen Regierungspolitik aus, zumal sie 1996 seine Wiederwahl finanzierten. Auch unter den Präsidentschaftsherrschaften Wladimir Putins und Dimitry Medvedevs ist die politische Ausrichtung der Regierung von den Oligarchen geprägt. Und je nachdem welcher Präsident gerade an der Spitze des Landes steht, werden die Oligarchen mit politischen Ämtern betraut und dadurch neben ihrer wirtschaftlichen Macht auch mit politischer Macht ausgestattet. So gab es unter Präsident Medvedev 75 Menschen in Schlüsselpositionen der russischen Regierung, die Politik betrieben und die bereits unter Putin die gleiche politische Macht ausübten. Diese Regierungsform Russlands wird von der russischen Soziologin Olga Kryshtanovskaya allerdings als autokratisches System bezeichnet und nicht als Oligarchie, trotz der Wirtschaftsmagnaten, die sich nur durch ihr Geld und nicht durch ihre Qualifikationen zu Politikern machen lassen konnten. Ist diese Art der Regierungsbildung dadurch eher als Oligarchie oder doch eher als Autokratie zu verstehen? Und was ist mit der Demokratie? Schließlich besitzt Russland eine demokratische Verfassung mit Wahlen, Regierung, Parlament. Dennoch treten immer wieder Probleme in Bezug auf einige Grundpfeiler der Demokratie auf. So sind manche politische Rechte wie die Medien- und Pressefreiheit nicht mit dem Demokratiebegriff vereinbar, denn Russland betreibt politische Zensur und liegt auf Platz 152 der Rangliste der Pressefreiheit. Ebenso mangelt es in Russland noch an der Umsetzung des wichtigen Grundrechts der Meinungsfreiheit (Erinnerung an die Verhaftung der Aktivistinnen von Pussy Riot im März 2012) – das Volk darf keine laute Kritik äußern. Russland ist weder strikt auto- noch demokratisch. Es besitzt von beiden politischen Regimetypen Merkmale und durch die Rolle der Oligarchen kommt ein weiterer Faktor hinzu. Wenn man davon ausgeht, dass Russland politisch gesehen zwischen den Stühlen sitzt, kann man am ehesten von einer Wahldemokratie sprechen. In Russland wird der Präsident vom Volk gewählt, die Regierten bestimmen somit ihren Regierenden und es wird eine funktionsfähige Repräsentation ermöglicht, indem die Regierten zwischen konkurrierenden Eliten wählen können. Gleichzeitig kommt es jedoch oft zu Konflikten zwischen den zentralen Institutionen des Regierungssystems, wenn die zwei Lager – das des Kremls und das des Weißen Hauses – am gleichen Tag zur gleichen Uhrzeit tagen und sich die Politiker für ein Lager entscheiden müssen. Ein Teil der Ministerien (Innen-, Außen- und Verteidigungsministerium) untersteht direkt dem Präsidenten, der seine Verwaltungsbehörde im Kreml hat. Ein anderer Teil (Finanz-, Verkehrs-, Gesundheits- und Bildungsministerium) ist der russischen Regierung untergeordnet, die im Weißen Haus sitzt. Russland besitzt also alle demokratischen Institutionen, die jedoch nicht alle politisch genutzt werden. Dennoch scheint das für die Bevölkerung unbedeutend zu sein, da sie keine Bestrebungen hat, ihre Grundrechte einzufordern und sich anscheinend mit der momentanen politischen Situation zufrieden geben.